Fliegen ist, wie das Fleischessen, in Verruf geraten. Und trotzdem fliegen alle immer mehr. Wie ist dieser Widerspruch möglich? Und ist er auszuhalten?

Was haben eine Oper von Richard Wagner und ein Flug nach San Francisco gemeinsam? Die Chance, dass ein Wähler der Grünen neben, vor oder hinter einem sitzt, ist in beiden Fällen am höchsten. Bei einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen im Jahr 2014 bejahten die Aussage, „Ich bin noch nie mit einem Flugzeug geflogen“, rund 16 Prozent der CDU-Wähler, 13 Prozent der SPD- und 17 Prozent der Linken-Wähler; der Anteil der Personen, die noch nie geflogen waren, lag bei den Grünen-Sympathisanten bei: null Prozent. Der Grund für all dies ist einfach: Diese Wähler haben eine höhere Bildung als der Durchschnitt, und sie verdienen auch noch überdurchschnittlich. Sie sind Kinder des Wohlstands, der in den letzten 50 Jahren in Deutschland erwirtschaftet worden ist; und sie wissen diesen Wohlstand mit all seinen Möglichkeiten – Reisen in aller Damen Länder, Einkauf im Bio-Supermarkt, große Wohnung, teure Kleidung aus dem Outdoor-Shop – auch zu genießen. Ja, es könnte alles so schön sein – wenn man sich nicht täglich bewusst machen würde, dass dieser Lebensstil verdeckte Kosten und unbezweifelbare Folgen hat: er treibt den Klimawandel voran, schädigt die biologische Vielfalt, verschleudert kostbare Ressourcen und reduziert die Lebensmöglichkeiten kommender Generationen.

Nehmen wir noch einmal das Fliegen: Pro Person und Kilometer emittiert ein Flugzeug rund 211 Gramm an Treibhausgasen, ein durchschnittlicher PKW 142, eine Eisenbahn im Fernverkehr rund 41 Gramm (all diese Zahlen und Fakten können hier nachgelesen werden). Und weil der Grünen-Wähler mit seiner Bildung und seinem postmateriellen Wertekanon darüber so genau Bescheid weiß, hat er ein schlechtes Gewissen – und das nicht zu knapp. Schließlich wird er von Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern – die im Übrigen den gleichen Lebensstil pflegen – immer wieder an die Widersprüche seines Daseins erinnert und zu strengen und noch strengeren Maßnahmen aufgefordert: zu Ausstiegen und Abbitten, zu Enthaltsamkeit und Verzicht.

„IMMER-WENIGER“ KONTRA „IMMER-BESSER“

Es mutet manchmal wie im Mittelalter an: Der sündige Mensch weiß um seine Verderbtheit, aber es bleibt ihm nur, um sein Heil zu erreichen, sich auf den teuren Ablasshandel einzulassen, den die Kirche anbietet. Allein, heute gibt es diesen Ausweg nicht mehr. Da ist keine Kirche mehr, die seelische Erleichterung anbietet; doch immerhin eine Partei: die Grünen. Die kann nicht wirklich was dafür, dass ihr diese Funktion anheimfällt. Sie tut sich selber schwer. Denn sie zerfällt letztlich in zwei Flügel: in den der Suffizienz und den der Effizienz. Verkürzt kann man sagen: der erste predigt das „Immer-Weniger“, das Maßhalten; der andere das „Immer-Besser“, die technische Lösung. Hofreiter gegen Kretschmann – so könnte man das auch nennen.

Ich würde es so bezeichnen: den der Illusion und den der Avantgarde. Illusion deswegen, weil sich kaum jemand davon abhalten lässt, genau das weltläufige, freie, lustbetonte Leben zu führen. Es ist genau das, was die aufstrebenden Mittelschichten in Asien und auch die Migranten, die nach Deutschland kommen, wollen. Auch werden sie nicht darum betteln, dass man ihnen den Wohlstand bitte-bitte verbieten möge, weil der Geist doch so willig, aber das Fleisch so schwach sei. Allem Reden über Verzicht wohnt kein Zauber inne. Wer in einem Anfall von Orthodoxie auf den Verzehr von Fleisch und Käse, von Reisen zum New-York-Marathon und zu den Hobbits nach Neuseeland Abstand nimmt und die Wohnung auf 16 Grad herunterdreht, wird feststellen müssen, dass der Klimawandel auch noch nach diesen persönlichen Maßnahmen da ist.

Denn die Nachbarin, die Greta Thunberg gut findet und ihre Kinder ermutigt, freitags die Schule für das Klima zu schwänzen, fliegt mit diesen über Weihnachten nach Thailand und hat die Heizung auch wieder aufgedreht, nachdem die Kinder ständig verschnupft waren. Dessen unbenommen haben die Schüler und Gretas und Luisas dieser Welt natürlich recht, wenn sie uns an die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens erinnern; an den Report des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern, der die wirtschaftlichen Folgekosten des Klimawandels als erheblich höher einschätzt als die für Schutzmaßnahmen; und sie erinnern uns daran, dass der Treibhauseffekt schon seit den 1970er Jahren bekannt ist und wegen des Bevölkerungswachstums und der – erfreulichen – Wohlstandsmehrung in den alten Industriestaaten des Westens und den „Tigerstaaten“ Asiens immer spürbarer wird. Was also tun? Uns gegenseitig mit sinnlosen moralischen Appellen auf die Nerven gehen?

KEINE HEXEREI

Nicholas Stern hat damals, im Jahre 2006, wenige Punkte aufgezählt, die für eine Bekämpfung des Klimawandels echte Effekte erwarten lassen (es gibt sicher noch ein paar andere): Erstens, der CO2-Ausstoß muss deutlich mehr kosten; das erhöht, zweitens, den Druck zu beschleunigten Innovationen, aber gleichzeitig müsse der Einsatz von kohlenstoffarmen Technologien und die Energieeffizienz intensiv gefördert werden; drittens müssen alle Hemmnisse für einen effizienteren Energieeinsatz beseitigt werden.

Das alles und noch viel mehr wäre doch was für die neue Industriepolitik von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Es ist keine Hexerei und keine Zauberwissenschaft. Wir müssen nur endlich verstehen, dass uns allein der technische Fortschritt aus der Misere führen kann, aber ganz sicher keine Verzichtsmoral.