Der Gipfel von Helsinki ist ein Desaster. Präsident Trump hat vor der Weltöffentlichkeit sein Land, dessen Institutionen und Werte verraten. Dieser Mann ist schwach und Putins Russland nutzt das eiskalt aus. Europa muss jetzt dringend eine Sicherheitsarchitektur erschaffen. Es geht um alles.

Russland hat eine Schwäche für starke Führer. Von Iwan, dem Schrecklichen über Peter, Stalin bis zu Putin glorifiziert die staatliche Geschichtspolitik ihre Größe. Größe ist in Russland Stärke, Macht und Skrupellosigkeit und seine imperiale Staatsräson schlägt das Völkerrecht oder gar die Menschenrechte. Dazu braucht die russische Elite nicht einmal Carl Schmitt zu lesen.

Was bedeuten diese Einblicke in die politische Kultur Russlands für unser Verständnis des Gipfels in Helsinki? Zunächst einmal: Helsinki war kein Jalta. In Jalta kamen mit Stalin, Churchill und Roosevelt drei politische Alphatiere zusammen, die gemeinsam die Nachkriegsordnung in Europa bestimmten. Helsinki 2018 hingegen, und das hat die russische Seite den ersten Reaktionen nach zu urteilen weit besser verstanden als westliche Kommentatoren, war das Treffen eines autoritären Führers und eines reality-TV erprobten Unternehmerdarstellers, der mittlerweile ein Staatsamt bekleidet, aber in russischen Augen vermutlich eher wie ein trauriger Clown aussah.

Die russische Kultur verachtet die Schwachen. In Moskau gilt als stark, wer die Schwäche anderer ausnutzt. Das tat die russische Führung im Frühjahr 2014 nach der Revolution auf dem Maidan und nahm sich von der Ukraine die Krim. Die deutsche Außenpolitik, die mit sozialpädagogischen Ansätzen (Steinmeier) oder auch Kumpelei (Gabriel) nichts erreichte, hat diese russische Weltsicht nicht verstanden oder nicht verstehen wollen. Doch im Vergleich zur deutschen Ostpolitik eröffnete Trump in Helsinki neue Dimensionen westlicher Schwäche: ein Präsident, der sein eigenes Land, der amerikanische Institutionen und Werte vor laufenden Kameras verleugnet: das hat es noch nicht gegeben. Trump nahm die Rolle als Stichwortgeber für Putin an. Die russische Seite dürfte verstanden haben: dieser Mann ist unsicher, schwach, er weiß selbst, dass seine Wahl nicht legitim war und das schränkt seine Handlungsfähigkeit ein. 

Angst zu widersprechen

Allenthalben beruhigten sich nach der Pressekonferenz die Kommentatoren, dass der amerikanische Präsident keine großen Konzessionen gemacht habe. Das ist ein kulturelles Missverständnis. Denn was für die russische Seite zählt ist, dass er vor Putin eingeknickt ist. Er hatte Angst zu widersprechen. In der politischen Kultur Russland zählen Symbole und Trump hat Signale der Unterwerfung gesendet. Sprachlich etwas simpel, aber in bestechender Offenheit, hat Außenminister Lavrov dies bestätigt. Er sagte, der Gipfel sei für Russland „besser als super“ gelaufen. 

Die innenpolitische Dimension des Desasters von Helsinki dürfen wir getrost den Amerikanern, insbesondere den Republikanern, überlassen. Doch was bedeutet Trumps schwacher Auftritt für Deutschland und Europa?

Es gibt eine Grundregel, die von der deutschen Öffentlichkeit und Politik auch vier Jahre nach der Krim noch nicht verstanden wurde: Wenn es um Russland geht, sollte man sich getrost auf den worst case vorbereiten. Geistig verharrt die deutsche Politik lieber im Jahr 1989 – eine konfliktscheue Kanzlerin schweigt und der linke SPD-Flügel wettert dieser Tage gegen Aufrüstung, als hätten wir eine funktionierende Armee. Das ist ja auch für alle Seiten bequemer als die ungemütlichen Realitäten zu diskutieren. 

Für die nahe Zukunft gilt: Russische Innen- und Außenpolitik hängen zusammen. Das Regime hat in den vergangenen Jahren den Konflikt mit dem Westen angeheizt, um fehlende wirtschaftliche Erfolge und mangelnde politische Legitimität zu kompensieren. Nicht ohne Erfolg. Doch der Zauber der Fußball-WM ist seit Sonntag vorbei und im Donbas geht es nicht voran. Putins Popularität ist in diesen Sommer am Schwinden, wirtschaftlich hat er seiner Bevölkerung wenig zu bieten und die jüngsten Reformen wie die Erhöhung des Rentenalters haben Proteste ausgelöst. Noch sind die Moskauer auf ihren Datschen, doch spätestens im September kehrt der russische Alltag zurück. Dann benötigt der Kreml eine neue große Erzählung, die seine Legitimität unterfüttert. In der Vergangenheit hat Moskau in solchen Situationen auf außenpolitische Aggression gesetzt. Nach Sotschi 2014 kam die Krim und der Donbas, dann kam Syrien, was kommt nach Luschniki und Helsinki?

Die Befürchtungen von 2016 werden Wirklichkeit

Trump räumt der russischen Politik den Weg frei. Er ist gegen die EU, unterminiert die NATO und vertraut laut eigener Aussage in Helsinki Putin mehr als seinen eigenen Diensten. Aus Moskauer Perspektive bedeutet der Gipfel, dass die USA ein noch größeres Machtvakuum hinterlassen als vor Helsinki angenommen wurde. Mit Trump ist glaubwürdiges containment kaum noch möglich. Der Kreml nutzt schnell und skrupellos die Schwäche anderer, um seine Interessen durchzusetzen. Das ist eine schlechte Nachricht für Europa.

Trump und Putin konnten in Helsinki keinen deal oder grand bargain abschließen, weil der amerikanische Präsident zu schwach dazu ist. Russland hat nun die Möglichkeit, jene Freiräume zu nutzen, die Trump schafft. Besonders für unsere Verbündeten in Osteuropa dürfte die Unsicherheit rasch zunehmen. Mit einiger Verspätung werden die Befürchtungen von 2016 Wirklichkeit. Auch Deutschland und Westeuropa trifft Helsinki unvorbereitet: Angela Merkel hatte seit 2014 vier lange Jahre Zeit, die neuen Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und mehr für Deutschlands Sicherheit zu tun. Das hat sie versäumt. Jetzt benötigt die Bundesrepublik weit mehr als eine besser ausgestatte Armee. Wir müssen uns als Gesellschaft über eine belastbare Sicherheitsarchitektur verständigen. In dieser schwierigen Lage ist die beste Option der Schulterschluss mit Frankreich, Polen und – soweit trotz Brexit möglich – mit dem Vereinigten Königreich. Es ist Zeit, zu handeln. Längst geht es um mehr als um eine neue Ostpolitik. Es geht um die Sicherheit Europas.

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