Zehn Thesen zur Zukunft von ARD und ZDF sind aufgetaucht. Verschwörungstheoretiker, ein Ex-Terrorist, eine grüne Bundestagsabgeordnete, ein prominenter Blogger und weitere Unterzeichner machen sich Sorgen.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben auch schon bessere Zeiten erlebt. Etwa als es weder Internet noch Privatfernsehen gab. Da erreichte ein eher schlichter Krimi wie der Sechsteiler „Das Halstuch“ noch Einschaltquoten von fast 90 Prozent – in den 60ern war das. Das sind Zahlen, die ARD und ZDF seit langem nur noch bei Welt- oder Europameisterschaftsspielen der Nationalmannschaft erreichen. Es ist also (mal wieder) an der Zeit, über die Zukunft und die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu reden, das fast alle über die Haushaltsabgabe bezahlen. (Der Fairness halber sei gesagt: Auch die Privaten leiden: Die unter 50-Jährigen schalten auch dort immer seltener ein.)

Wer schreibt, der bleibt

Ein Versuch, diese Debatte anzuzetteln sollen offenbar „Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“ sein. Sie seien das Ergebnis von eineinhalb Jahren laufenden Treffen von „Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft in einem Gesprächskreis mit Politik und öffentlich-rechtlichen Sendern“, heißt es. Man sollte sich genau anschauen, wer zu den Vertreterinnen und Vertretern gehört: Markus Beckedahl, Chef von „Netzpolitik.org“, und die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne) haben unterschrieben, aber auch BUND-Chef Hubert Weiger, dessen größte Fans in den Redaktionen von ARD und ZDF sitzen, außerdem der ehemalige Terrorist und heutige Kleinverleger Karl-Heinz Dellwo oder die Bochumer Medienwissenschaftlerin Christine Horz und ihr süddeutsches Pendant Sabine Schiffer. Beide geben ihr Wissen schon mal gerne über den Youtube-Kanal des Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen weiter.

Viele, die da unterschrieben haben, sitzen in Aufsichtsgremien von ARD und ZDF, engagieren sich beim Medienblog „Carta“ oder arbeiten bei Projekten wie „Kooperative Berlin“, das sich in erster Linie aus Steuern und Gebühren finanziert.

Die Thesen:

1. Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, müsste man ihn gerade jetzt erfinden.

Die Demokratie benötigt einen offenen Prozess der Meinungsbildung. In diesem Prozess kommt den öffentlich-rechtlichen Medien eine unverzichtbare Rolle zu. Sie sind auch und gerade in der digitalen Medienwelt wichtiger denn je. Denn aufgrund ihrer öffentlichen Beauftragung und Finanzierung können sie von sich heraus leisten, was privaten Anbietern aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht oder nur begrenzt möglich ist: eine journalistisch-redaktionelle Selbstbeobachtung der Gesellschaft im öffentlichen Interesse.

Schon Jörg Schönenborn, heute Fernsehdirektor des WDR, nannte die Haushaltsabgabe eine „Demokratieabgabe“. Dieser Gedanke schwingt in dieser Forderung mit. Doch bringen ARD und ZDF eine journalistische Qualität, die private Medienunternehmen nicht erreichen? Die Königsklasse der politischen Berichterstattung – über Talkshows wollen wir an dieser Stelle freundlich den Mantel des Schweigens legen – stellen die Polit-Magazine dar. Ihnen attestierte der ehemalige Chef des Adolf-Grimme Institutes Bernd Gäbler 2015 in einer Studie der Otto Brenner Stiftung: „Generell aber gab es zu wenige Highlights, zu viele durchschnittliche Berichte, die teilweise eher in Regionalmagazinen gut aufgehoben gewesen wären, als dass man den politischen Magazinen dauerhaft und nachhaltig die Eigenschaft hätte zusprechen können, für das Agenda Setting eine bedeutende Kraft zu sein.“

Wo bleibt die Qualität?

Gäbler warf den Polit-Magazinen vor, dass die Leerstelle zu groß sei, wenn „während eines Vierteljahrs die Bundeskanzlerin Angela Merkel nie als Gegenstand der Analyse, sondern allenfalls als Satire-Objekt vorkommt, wenn Parteien und Parlament nur am Rande gestreift werden, wenn Europa nur in einem einzigen ökonomischen Exkurs thematisiert wird, wenn nie nach der politischen und militärischen Zukunft Europas gefragt wird“. Und die Wirtschaftsmagazine der Sender seien „nahezu vollständig zu Sendungen für den Verbraucher mutiert“. Mit den 8,324 Milliarden Euro, die im Jahr bei den Anstalten landen, werden 22 Fernseh-, 67 Radiosender und zahlreiche Online-Plattformen finanziert. Mehr als 25.000 Mitarbeiter erfreuen sich eines regelmäßigen Einkommens. Allzu viel journalistische Qualität kommt allerdings nicht dabei heraus.

2. Der Online-Auftrag muss weiter gefasst werden.

Damit die öffentlich-rechtlichen Medien Öffentlichkeit in der Netzwelt schaffen können, muss der Auftrag weiterentwickelt werden. Dazu gehört, dass der Auftrag von nicht mehr zeitgemäßen Einschränkungen befreit wird, die die Erfüllung der Öffentlichkeit stiftendenden Funktion beeinträchtigen.

Die Forderung, die Löschfristen aufzuheben, macht Sinn. Wer gezwungen wurde, tausende Folgen „Tatort“, „Der Landarzt“ oder „Sturm der Liebe“ zu bezahlen, soll auch die Möglichkeit haben, den Stoff jederzeit zu sehen.

Transparenz ist immer gut

3. Mehr Transparenz ist Voraussetzung für mehr Beteiligung.

Das öffentlich-rechtliche Angebot ist rechtlich dazu verpflichtet, eine Grundversorgung für die Allgemeinheit sicherzustellen, und wird deshalb von der Allgemeinheit finanziert. Zugleich soll es mehr Gestaltungsspielraum der Anstalten geben. Deshalb haben Beitragszahlerinnen und Beitragszahler einen berechtigten Anspruch auf Transparenz. Transparenz über Finanzentscheidungen allein reicht nicht aus – wobei es bei der Zugänglichkeit von Berichten der Landesrechnungshöfe einiges zu verbessern gäbe. Es geht auch um Transparenz von Entscheidungen hinsichtlich der Auftragsfortentwicklung sowie organisatorischer und programmlicher Umsetzung.

Transparenz, das ist eine Binse, ist immer gut. Vor allem Journalisten würden gerne wissen, wozu die Anstalten ihr Geld ausgeben. Schon was man weiß, klingt beunruhigend: Allein in den Pensionskassen von ARD und ZDF fehlen Milliarden. Die Anstalten entwickeln sich zu Rentenversicherungen mit Sendebetrieb.

4. Erfolg ist mehr als Quote

Der Erfolg des öffentlich-rechtlichen Angebots ist dann gegeben, wenn es seine Funktion im Hinblick auf den öffentlichen Diskurs tatsächlich erfüllt und bei dem Publikum eine breitere Faktenbasis und breiteres Bewusstsein für die Vielfalt an Sichtweisen, Einstellungen und Meinungen schaffen kann. Im Hinblick darauf ist die Quote nicht aussagekräftig genug. Denn die öffentlich-rechtlichen Angebote müssen sich eben auch und vor allem an Minderheiten richten. Daher bedarf es qualitativ ausgerichteter Testverfahren von Sendungen, öffentlicher Befragungen und Auswertungen von Publikumsäußerungen, journalistischer Medienkritik und fortwährender wissenschaftlichen Begleitung.

Ist nicht neu. So redeten schon immer alle, die sich mit Medien entweder wissenschaftlich oder erfolglos beschäftigt haben. Interessant ist die Idee, dass sich die Programme von ARD und ZDF an Minderheiten zu richten haben. Nur was, wenn sie die auch nicht erreichen? Wenn türkischstämmige Menschen lieber türkische Soaps sehen als die Multi-Kulti Version von „Aspekte“, Schwule und Lesben sich an Netflix erfreuen und Jugendliche, längst eine Minderheit, ihren Stars auf Youtube folgen, aber „Die Pfefferkörner“ verschmähen?

5. Sender müssen Plattform werden.

Im Interesse der Allgemeinheit muss es starke Plattformen geben, die dem Publikum eine leicht erkennbare Anlaufstelle für öffentlich-rechtliche Angebote bieten, und welche die oben genannten Kriterien und Standards erfüllen. Auf eigenen Plattformen haben die öffentlich-rechtlichen Anbieter auch die besten Chancen, diesen gerecht zu werden. Denkbar wäre auch eine gemeinsame, offene und nicht kommerzielle Plattform aller öffentlich-rechtlichen Anbieter als „Public Open Space“. Auf dieser Plattform sollten nicht nur öffentlich-rechtlich produzierte Inhalte verfügbar sein, sondern beispielsweise auch solche von Museen, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Wikipedia etc. Neben einem möglichst umfangreichen Angebot muss diese nutzerfreundlich, über diverse Endgeräte zugänglich und vor allem auffindbar sein. Durch Bewertungs- und Kommentarfunktionen sollte dem Publikum eine Mitwirkung ermöglicht werden. Die Verbreitung von öffentlich-rechtlichen Angeboten über Drittplattformen sollte demgegenüber nur eine ergänzende Funktion haben.

Ja, kann man machen. Ändert allerdings nichts am Grundproblem: Was ist, wenn es keiner sehen will? Der Traum eines digitalen Dritten Programms mit dem Schulfernsehen der 70er Jahre zu verbinden hat schon fast etwas Romantisches, wenn nicht alle dafür zahlen sollten, ihn zu verwirklichen.

Lokal wird global, sonst ändert sich nichts

6. Lokale Berichterstattung muss – wo notwendig – ermöglicht werden.

Den öffentlich-rechtlichen Telemedien ist eine flächendeckende lokale Berichterstattung bislang verboten. Dies dient in erster Linie zum Schutz der lokalen Presse. An eine Lockerung dieses Verbots kann aber gedacht werden, soweit für bestimmte Gebiete eine lokale Berichterstattung nicht mehr existiert bzw. Meinungsmonopole der publizistischen Konkurrenz bedürfen. Werbung, die zum Abfließen von Werbegeldern führen könnte, ist dem öffentlich-rechtlichen Angebot ohnehin nicht erlaubt. Ob die Presse der Unterstützung bedarf, muss an anderer Stelle diskutiert werden.

Mit der Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Systems ins Lokale würden Anstaltsträume wahr. Tausende neuer Stellen, aber auch enge Kontakte zur Politik in Städten würden das System wahrscheinlich auf ewig absichern. Das Problem der vielen Ein-Zeitungs-Städte ist ernst zu nehmen, aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass eine Behörde mit zahlreichen Verwaltungsmitarbeitern und einem langsamen Apparat die Lösung ist. Das hängt zum einen mit der Qualität zusammen. In NRW bietet der WDR zahlreiche „Lokalzeit“-Sendungen an. Sie decken allerdings nicht eine, sondern mehrere Städte ab. Betrachten wir das Programm. Zum Beispiel an einem Tag. Zum Beispiel am 8. September:

„Lokalzeit Köln“: „Tennisheim in Leverkusen-Opladen abgebrannt“, „Tag des alkoholgeschädigten Kindes“, „Studiogast: Matthias Falke, Zentrum für Pflegekinder mit FASD Köln“, „Ein weißer Hirsch für den Tierpark Quadrath-Ichendorf“, „Beethoven-Orchester mit Bläck Fööss“, „Wochenendtipp: ‚Miró – Welt der Monster‘ im Max-Ernst-Haus Brühl“, „Sondersendung Gartenzeit“.

Am selben Tag berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger nicht nur über mehr Themen, sondern war auch politischer und kontroverser: „Erdogan-Plakate in der Kölner Keupstraße polarisieren“, „Welche Konsequenzen hätte ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in Köln?“, „Kölner Architekten fordern mehr Grundstücke für Genossenschaften“.

Dagegen lieferte der WDR lieferte ein gefälliges Programm der Langeweile.

Längst gibt es andere Ideen, als die Anstalten auch noch mit Lokalberichterstattung zu betrauen. Die NRW-Landesregierung will im Bundesrat eine Initiative starten, damit Journalismus als gemeinnützig anerkannt wird. In Städten könnten Initiativen so unabhängige journalistische Projekte starten. Eine wesentlich bessere und flexiblere Idee.

7. Die Öffentlich-Rechtlichen müssen mehr Europa wagen.

Seit vielen Jahren befindet sich die Europäische Union in einer permanenten Krise und steht unter erhöhtem Legitimationsdruck. Eines der wichtigen Mitgliedsländer ist dabei, die Europäische Union zu verlassen. Zugleich sieht sich die EU im Äußeren wie auch im Inneren starken Herausforderungen gegenüber. Dem gegenüber ist die Europäische Union für die Bewahrung zukünftiger Entwicklungschancen der Europäerinnen und Europäer von größter Bedeutung. Umso wichtiger ist es, einen Prozess der europäischen Meinungsbildung zu etablieren, der einer medialen Unterstützung bedarf. Hierin liegt eine zentrale Aufgabe der öffentlich-rechtliche Anbieter: die Intensivierung der Europa-Berichterstattung.

Nett gedacht. Und wenn niemand Berichte über ein Parlament sehen will, das noch nicht einmal einen Haushalt beschließen darf und kein Initiativrecht hat? Und wenn sich Menschen in Berlin mehr darum sorgen, ob die Schulklos ihrer Kinder funktionieren als darüber, wie es Obdachlosen in Madrid geht? Und wie bitte sollen deutsche Medien einen Meinungsbildungsprozess in ganz Europa etablieren?

8. Der Auftrag bestimmt den Beitrag – nicht umgekehrt.

Alle bisherigen Thesen gelten dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Angebots. Denn der Auftrag bestimmt den Beitrag und nicht umgekehrt. Natürlich bezahlen die Bürgerinnen und Bürger die Öffentlich-Rechtlichen durch ihren Beitrag. Sie haben einen Anspruch, dass die Sender mit diesen Beiträgen wirtschaftlich und sparsam umgehen. Aber zunächst muss unabhängig von finanziellen Überlegungen die Diskussion geführt werden, welches der zeitgemäße Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der digitalen Welt ist. Von Verfassungs wegen ist dieser Auftrag ohnehin auf das Funktionserforderliche zu begrenzen und trägt insoweit den Interessen der Beitragszahler bereits Rechnung.

Eine gute Idee – allerdings könnte das Ergebnis der Diskussion für die Unterzeichner unangenehm ausfallen, wenn auch Menschen außerhalb der öffentlich-rechtlichen Diskursblase sich äußern werden. Vielleicht meinen ja viele, ein Sender oder eine Sendegruppe reicht und das ZDF kann dichtgemacht werden. Ein Sendeplatz für den „Landarzt“ wird sich sowohl auch in der ARD finden lassen.

These 9: Klassische Angebote müssen überprüft werden.

Im Gegenzug zur Weiterentwicklung des Online-Angebots sind die Länder im Übrigen aufgefordert zu überprüfen, ob und inwieweit bei einer Herausbildung des Internet als Leitmedium auf klassische Angebote verzichtet werden kann.

Ja, sollte man tun. Jeder, der seine Gebühren nicht mit großer Begeisterung zahlt, weil er das Angebot von ARD und ZDF kaum nutzt, bekommt beim Wort „Verzicht“ leuchtende Augen.

These 10: Ein Verbreitungsweg neben dem Internet unter öffentlicher Kontrolle muss zukünftig erhalten bleiben.

Die Erhaltung eines Verbreitungsweges neben dem Internet muss gewährleistet werden, weil so der Zugang zu den öffentlich-rechtlichen Angeboten für Personen sichergestellt wird, die nicht über einen Internetanschluss verfügen. Auch unter sicherheitsrelevanten Aspekten ist der terrestrische Ausspielweg notwendig, um im Gefahrenfall über eine vom Netz unabhängige Verbreitungsinfrastruktur zu verfügen.

Eine UKW-Frequenz, die von einem Radio mit Röhren empfangen werden kann, ist eine gute Sache und extrem sicher.

Fazit:

Man kann festhalten, dass die Verfasser der zehn Thesen an vieles gedacht haben: An sich, die Menschen in den Anstalten und auch daran, was sie gerne im Programm hätten. Ja, es war ein wenig wie an Weihnachten. An einen haben sie jedoch kaum einen Gedanken verschwendet: den Zuschauer – bei den Sendern bekannt als „der Gebührenzahler“. Die Programme, welche die „Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft in einem Gesprächskreis mit Politik und öffentlich-rechtlichen Sendern zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“ gerne schauen, darf er zwar bezahlen, aber soweit er keine Minderheit ist, hat er sich zurückzuhalten. Warum läuft „Games of Thrones“ nicht im ZDF und wieso sehe ich nicht alle Spiele der Bundesliga in der ARD? Diese Fragen werden mehr Menschen bewegen als jene, die sich von anderen ihr Wunsch-TV mit möglichst vielen Jobs für sich selbst und die eigene Klientel wünschen. Wenn ARD und ZDF dumm sind, steigen sie auf diese zehn Thesen ein. Es würde ihren Untergang beschleunigen und den des unsäglichen Medienpaternalismus, der aus den zehn Thesen strömt, auch.