Den Angriff auf unsere Demokratie persönlich nehmen
Unsere pluralistische Gesellschaft wird angegriffen, unser demokratisches System von Rechten untergraben. Deshalb fordert Deana Mrkaja zu mehr Widerstand auf.
Angenommen, Sie seien Fan des FC Bayern München und ein BVB-Fan greift Ihre Mannschaft an und bezeichnete sie als „unfähig“, „Störenfried innerhalb der Liga“ oder schlichtweg als „scheiße“, wie würden Sie reagieren? Und wie, wenn ein guter Freund, ein Familienmitglied verbal oder auch physisch angegriffen werden würde? Würden Sie ihre Lieben verteidigen? Höchstwahrscheinlich wird diese Frage affirmativ beantwortet.
Mehreren Studien zufolge ist der Großteil der Deutschen zufrieden mit ihrem Leben innerhalb unserer Gesellschaft. Das bedeutet auch, dass die meisten von uns Anhänger und Anhängerinnen unserer offenen, pluralistische Gesellschaft sind und zudem unsere freie demokratische Ordnung schätzen oder sogar stolz auf diese sind. Wie kann es also sein, dass obwohl „unsere Lieben“ – die Demokratie und die offene Gesellschaft – derzeit so heftig angegriffen werden wie seit mehr als 70 Jahren nicht mehr, wir uns so wenig für sie einsetzen? Wenn wir uns als Demokraten bezeichnen, dann sollten wir jeglichen Angriff auf diese Ordnung, nein, müssen wir jeden Angriff auf diese persönlich nehmen. Demokratien gehen nämlich nicht an zu vielen Feinden kaputt, sondern an zu wenig Verteidigern.
Wir brauchen Demokratie-Kämpfer
Wir haben ein weiteres Problem. Doch dieses ist nicht allein die AfD. Sie könnte an dieser Stelle fast schon als „Vogelschiss“ unseres wahren Problems bezeichnet werden. Es sind Männer wie Markus Söder, Horst Seehofer, Christian Lindner oder Alexander Dobrindt, die es schaffen, mit ihren verbalen Entgleisungen menschenfeindliche, teilweise rassistische Aussagen in einen „normalen“, gehobenen Diskurs zu heben, eben gerade weil sie nicht der AfD angehören. Es scheint, als seien sie sich der Gefahr eigener Aussagen nicht bewusst. Es herrscht fast schon politischer Konsens darüber, dass der Großteil der Bevölkerung Angst vor der Globalisierung, Digitalisierung, vor Fremden, vor dem Islam, vor Wirtschaftsflüchtlingen, der Anti-Abschiebe-Industrie, dem Inder in der Schlange beim Bäcker oder der Masseneinwanderung hat, obwohl es hierzu keinerlei empirischen Ansatzpunkte gibt. Wie kann es sein, dass Aussagen, bei denen uns vor einiger Zeit noch die Kinnlade auf den Gehweg geknallt wäre, plötzlich teilgesellschaftlich akzeptiert werden?
Die Angst vor all diesen Begriffen scheint sogar so groß zu sein, dass wir Kreuze an Wände nageln, Obergrenzen einführen, Heimatministerien gründen und eine Leitkultur definieren müssen. Wir leben in einem so reichen Land und lassen es dennoch zu, dass die schwächsten und ärmsten innerhalb unserer Gesellschaft angegriffen werden. Natürlich widerstrebt uns das allen, wenn wir AfD-Reden im Bundestag lauschen, doch muss auch aktiv etwas dagegen unternommen werden, wenn wir, die Freunde und Anhänger der Demokratie, wirklich gehört werden wollen. Denn derzeit inszenieren sich die Rechten in der Öffentlichkeit noch geschickter. Noch sind die Vernünftigen zu leise.
Wir haben ein Menschenfeindproblem
Deutschland ist wohl das erste Land, das sein Selbstverständnis nicht auf ruhmreiche Schlachten vergangener Zeiten gründet, sondern auf Reue der eigenen Taten. Diese Tatsache hat mich seit jeher beeindruckt, brüsten sich doch Teile meiner eigenen serbischen Familie bis heute mit Erzählungen von der Schlacht auf dem Amselfeld. Beeindruckend ist gerade deswegen, was für eine pluralistische, offene Gesellschaft aus dem Umgang mit der eigenen Geschichte geworden ist. Umso schlimmer erscheint es, dass genau diese derzeit zu zerbrechen droht, weil die Geister, die Alexander Gauland und Konsorten auf der einen Seite und Seehofer und die anderen Männer auf der anderen Seite riefen, nun angekommen zu sein scheinen. Kann es wirklich sein, dass wir vergessen haben, was in unserer Vergangenheit passiert ist? Kann es sein, dass unsere Gedächtniszellen von damals langsam absterben und wir uns nicht mehr erinnern, was es bedeutet Unterschiede zwischen „denen“ und „uns“ zu machen?
Meiner Meinung nach haben wir keine Flüchtlingskrise, keine Islamfrage, kein Integrationsproblem – was wir haben, ist ein Menschen- und Demokratiefeindproblem. Nicht die Opfer des rechten Gedankenguts sind unsere Herausforderung, sondern diejenigen, die auf jene herabschauen und sie für ihre Zwecke instrumentalisieren. Wir dürfen die Minderheit nicht wie eine Mehrheit aussehen lassen. Die große Anti-AfD-Demonstration, die kürzlich in Berlin stattfand, ist ein Zeichen in die richtige Richtung. Denn eigentlich ist es ganz einfach, gegen die genannten Ressentiments anzukämpfen. Immer dann, wenn wir Menschenfeindlichkeit wahrnehmen, sprechen wir sie an. Und immer dann, wenn jemand unsere Demokratie und Gesellschaft angreift, gehen wir für sie friedlich auf die Straße. Gerne begleitet von viel Bass.