Ob Umvolkung oder Klimakatastrophe: Wenn mit der Apokalypse gedroht wird, ist die offene, demokratische Debatte in Gefahr und aus politischen Gegnern werden Feinde.

Alle paar Jahrzehnte spielt die Band auf zum Apocalypso. Der Weltuntergang naht. Die Vorstellung des baldigen Endes des Planeten zieht sich durch nahezu alle Kulturen, die die Menschheit bislang hervorgebracht hat. Es ist immer dasselbe Schema: Wir haben gesündigt, und nur Buße und Rückkehr zu reinen Taten und einem reinen Gewissen können uns noch retten.

Ob mittelalterliche Flagellanten, wegen des angeblich drohenden Untergangs des deutschen Volkes besorgte Bürger oder die Hohepriester der Ökoreligion, die sich nicht ganz entscheiden können, ob wir nun den Hitzetod sterben oder im Plastikmüll ersticken werden: Wer die Botschaft des nahen Endes verkündet, zeichnet sich weder durch allzu großen Humor noch durch Kompromissbereitschaft aus. Könnte man das eine noch verkraften, widerspricht das andere den Grundlagen der Demokratie.

Egal ob Großbritannien, USA, Deutschland oder Frankreich – in allen Demokratien ist ein mehr oder weniger ausgeprägtes System der Checks and Balances üblich. Nie kommt jemand demokratisch an die absolute Macht. In den Demokratien der Gegenwart berufen die Parlamente nicht, wie noch der römische Senat, einen Diktator auf Zeit. Sie wählen Präsidenten und Regierungschefs – und die sind denkbar ungeeignet für die heroische Geste, mit der Probleme schnell und radikal gelöst werden. Demokratische Politiker gleichen eher Händlern. Je nach Ausgangslage sind sie mal mehr und mal weniger in der Lage, ihre Positionen durchzusetzen. Das Ergebnis jeder Politik ist dann auch ein Kompromiss, mit dem niemand ganz zufrieden ist, aber jeder irgendwie leben kann.

Ödes Verfahren

Entsprechend laufen auch die Debatten ab: Jeder Teilnehmer weiß, er wird sich sowieso nicht ganz durchsetzen. Aber er weiß im Idealfall auch, dass sein Gegenüber es ebenfalls gut meint, ernst zu nehmende Argumente hat und Interessen vertritt, die es zu berücksichtigen gilt.

Dieses etwas öde Verfahren hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt. Es sorgte dafür, dass es zwischen Staaten weniger Kriege gab und die unterschiedlichen Gruppen, aus denen Gesellschaften nun einmal bestehen, sich wenigstens teilweise immer in der Politik wiederfanden.

Kommt allerdings die Apokalypse ins Spiel, ist es mit diesem etwas langweiligen, aber zivilisierten und bislang erfolgreichen Vorgehen vorbei.

Das politische Geschäft der Apokalyptiker ist die Angst. Und dieses Geschäft können sie nur erfolgreich betreiben, wenn sie sich auf keinen Kompromiss einlassen. Ihre Logik zwingt sie dazu, immer radikalere Forderungen zu stellen. Und so folgte auf die Forderung nach dem Ausstieg aus der Kernenergie die Forderung nach dem Ausstieg aus der Kohle, der sich die Forderung nach dem Ausstieg aus dem Erdgas anschließt. Erst ist Dieselruß tödlich, dann der Feinstaub aus den erkämpften Dieselfiltern, dann die CO2-sparenden Diesel und schließlich auch das Elektroauto, denn die individuelle Mobilität, die Freiheit, sich auch mal lustvoll von einem Punkt an den anderen zu bewegen, gilt es zu vernichten.

Am anderen Ende des politischen Spektrums sieht es kaum anders aus: Wer an die Umvolkung glaubt, glaubt an das reine Blut. Verschärfte Asylgesetze, eine Einwanderung von qualifizierten Zuwanderern, all das kann niemanden zufrieden stellen, der den Volkstod vor Augen hat. Selbst Grenzen, so dicht wie die Mauer der Ostzone, würden die Vertreter dieser Politik nicht beruhigen, sondern nur dazu führen, dass sich ihr Blick auf die eingesperrte Bevölkerung richten würde. Denn ganz sicher gibt es dort auch Spuren von Verunreinigungen zu entdecken – und auszumerzen.

Heute gibt es viele Menschen, die einen Verfall der Debattenkultur und eine zunehmende Hysterisierung von Politik, Medien und Gesellschaft beklagen und anprangern und beklagen, dass jeder, der sich nicht freudig den radikalsten Forderungen verschreibt, als Rassist oder Globalist abgestempelt wird, dem unser Planet und all die niedlichen Pinguine offenbar so egal sind wie die von Diesel fahrenden Araberhorden gemeuchelten Nachbarn, die allerdings sicher Plastiktüten benutzende Kommunistennazis waren. In diesem verwirrenden und aufgeheizten Klima sollte man sich klar machen, dass diese Zuspitzung kein Zufall ist, sondern das logische Ergebnis eines politischen Geschäftsmodells – eines Geschäftsmodells, das nicht zur Demokratie passt, denn die kennt weder hermetisch verschlossene Grenzen und ein blutreines Volk noch autoritäre Träume von einer großen Transformation.

Illusion der Reinheit

Sowohl die Angst vor Zuwanderung als auch die autoritären Öko-Visionen beziehen sich auf eine imaginierte, reine Vergangenheit. So unversöhnlich sich beide Lager scheinbar gegenüberstehen, so ähnlich ist nicht nur ihr auf Angst bezogenes politisches Geschäftsmodell, sondern auch ihre gesellschaftliche Vision. Es gab nie ein rassereines, homogenes Volk und es gab nie eine menschliche Kultur, die nicht massiv in ihre Umwelt eingriff. Reinheit ist eine Illusion. Die Lösungsvorschläge – seien sie geschlossene Grenzen oder eine Postwachstumsökonomie – widersprechen allen erfolgreichen Wegen, die die Menschen in der Vergangenheit einschlugen: Neue Gruppen wurden in Gesellschaften integriert, veränderten sie oder assimilierten sich. Auf Probleme jeder Art wurde mit technischen Innovationen reagiert, die vor allem in den vergangenen zwei Jahrhunderten das Leben der Menschheit weltweit auf ein nie vorhandenes Niveau angehoben haben.

Alle Versuche, auf Herausforderungen mit Abschottung oder Einschränkungen zu reagieren, erwiesen sich indes bislang als Einbahnstraßen ins Elend. Die Grundlage von Fortschritt besteht nun einmal in der Ausweitung von Möglichkeiten, nicht in ihrer Einschränkung – und das betrifft Kulturen wie Technologien. Dazu braucht es Mut und Optimismus, und beides ist auch die Grundlage für offene Debatten. Wer von Angst lebt, will nicht streiten, sondern verbieten.

Lesen Sie ebenfalls: Wirtschaftstheorie aus dem braun-grünen Sumpf