Der beschissene 25. Juni
Die AfD hat eine Wahl gewonnen. Ist es ein Menetekel oder nur ein Versehen? Der Versuch einer Einordnung.
Man kann, wenn man das Thüringer Sonneberg sucht, es auch am Himmel versuchen. Es gibt einen Kleinstplaneten im Asteroidengürtel, der nach Sonneberg benannt wurde. Aber Vorsicht beim Absuchen des Firmaments! Es wäre nicht nur vergeblich, die Steinkugel ist einfach zu weit entfernt, sondern auch gefährlich, könnte man doch – Pauz! Perdauz! – Abgründe übersehen, die auf dem Weg lauern.
Viele hatten bis vorgestern wahrscheinlich noch nicht von dem Landkreis mit der gleichnamigen Stadt gehört. Dabei beherbergt sie das Deutsche Spielzeugmuseum in einem stattlichen neobarocken Gebäude, besitzt eine fast hundert Jahre alte Sternwarte und veranstaltet jedes Jahr internationale Jazztage. Das Städtchen (und seine Umgebung) könnte man als „schmuck“ bezeichnen – und konservativ. Bei der letzten Bürgermeisterwahl gewann der Kandidat der CDU haushoch das Amt. Doch gestern kam das Konservative bei der Landratswahl ins Rutschen wie eine Geröllhalde in den Alpen: Der Kandidat der AfD gewann die Wahl mit 52 Prozent, obwohl – oder weil? – er alle anderen Parteien gemeinsam gegen sich hatte. Auf den Fotos sah man den Wahlgewinner Robert Sesselmann zwischen den AfD-Möchtegerngroßen Björn Höcke und Tino Chrupalla stehen. Dabei machte er ein Gesicht wie jemand, der gerade vom Fernseher weggeholt wurde und mit einem Klaps auf den Rücken erklärt bekam, dass er nun der neue Landrat sei.
Ich werde hier nicht das Klischee eines Autors aus der Berliner Blase bedienen, der mal wieder die Faschos unterschätzt. Im Gegenteil. Dieses verschmitzte Lächeln, das mit scholzigem Schmunzeln nichts gemein hat, bereitet mir viel mehr Sorgen als eine Tatoo-Fratze mit schnaubenden Nüstern.
Kaum war das amtliche Endergebnis veröffentlicht, gab es auch schon die Beruhiger, die dem Leser ihre Argumente wie Tetrazepam verabreichten: „Vergessen Sie die Wahl, entspannen Sie sich, der neue Landrat kann gar nichts Wichtiges in seinem Amt bewirken“; „Sie werden sehen, ist die AfD erst einmal in Verantwortung, entzaubert sie sich selbst“; „Sie können mir glauben, wir sind nicht Weimar, wir haben gefestigte Institutionen“. Natürlich sind wir nicht Weimar, wir sind Berlin. Aber ist das wirklich eine Garantie für irgendwas?
Was mich etwas beunruhigt, das sind drei Dinge.
UNSINNIGE STELLUNGNAHMEN
Erstens, ein Erfolg ist ein Erfolg ist ein Erfolg. Das ermutigt die Rechtsextremisten um Höcke frisch und freudig weiterzumachen. Das jubeln sie zu einem historischen Tag hoch, und da wir alle nicht hellsehen können, wissen wir nicht, ob in einem zukünftigen Geschichtsbuch über diesen Tag steht, das sei der Anfang von allem Schrecken gewesen. Das kleinzureden könnte eine Gegenstrategie sein. Ich bezweifle, dass sie funktioniert. (Vielleicht liegt das daran, weil ich Uwe Wittstocks geniales Buch Februar 1933 gelesen habe, aus dem ich entnehmen musste, dass Künstler und Intellektuelle bis auf wenige Ausnahmen die Situation völlig falsch eingeschätzt haben. Lesen prägt.)
Zweitens, die Politikerinnen und Politiker der ehrbaren Parteien geben jeweils den anderen Parteien die Schuld und überspielen ihre Ratlosigkeit mit unsinnigen Stellungnahmen: Man möge den Leuten zuhören. Aber wie viele Mikros und Klemmbretter muss man ihnen denn noch unter die Nase halten, bis man begreift, dass die einen auf die Demokratie pfeifen, die anderen mal in der Wahlkabine die Sau rauslassen wollen und die dritten den Habeck einfach doof finden. Darüberhinaus gibt es noch die eine oder andere Variation, und wenn sie ein Problem wegen der grünen Heizungspläne gehabt haben, dann hätten sie auch den Gegenkandidaten der CDU wählen können. Aber letztlich lief es auf dieses leicht zu aktivierende Disruptionspotential hinaus, das da schon lange gärt.
Es liege an der rechten Diskursverschiebung durch die CDU/CSU. Sie solle mit dem Kulturkampf aufhören. Okay. Nur haben diejenigen, die das fordern, in der Regel den Kulturkampf ja begonnen und eine kulturelle Hegemonie manifestiert, die der Mehrheit ständig eine Nase dreht. Die CDU/CSU reagiert darauf, weil sie sich davon etwas verspricht, was sie wahrscheinlich nicht bekommen wird: nämlich Wählerstimmen „am rechten Rand“.
Investitionen! Man müsse mehr Geld in die abgehangenen Gebiete pumpen. Nur ist der Kreis Sonneberg wirtschaftlich recht gesund und die Arbeitslosigkeit niedrig. Seit weit über hundert Jahren glaubt man aber an diesen dämlichen Marxisten-Vers, dass das Sein das Bewusstsein bestimme. Demnach dürfte es in Skandinavien eigentlich keine Rechtsextremisten geben. Das Gegenteil ist der Fall. Ideologien sind große Illusionsprogramme, die man, einmal in der Welt, nicht mehr los wird. Deshalb sagen Erhebungen seit Jahrzehnten, dass es einen festen Kern von rund 10 Prozent in der Bevölkerung gibt, die rechtsextremem Gedankengut anhängen. Die wird man nicht mit guten Worten, Steuersenkungen und Kugelschreibern erreichen. Diejenigen, die jetzt ein erstes Tête-à-tête mit den Rechtsextremen haben, auf die sollte man schauen, die muss man da wieder wegholen.
Fortan wolle man die Grünen stärker bekämpfen, heißt es wundermittelselig von Seiten der CDU/CSU. Nun, das ist ihr gutes Recht. Als politischer Gegner der Grünen werden Merz und Söder also jetzt noch mehr aschermittwochmäßig gegen Habeck und Lang stänkern. Nur hätte keiner der AfD-Wähler ohnehin die Grünen gewählt, niemals. Die CDU/CSU hat jetzt aber wieder etwas, wogegen sie sein kann. Aber wofür steht sie eigentlich? Und da haben wir das Problem.
Es ist nämlich, drittens, die Ratlosigkeit gegenüber der wirklich anstrengenden Realität, die Sorgen bereiten muss. Keine Partei kann jemals auf alle Fragen des Alltags eine Antwort haben. Aber sie muss sich zumindest bemühen. Und da ist bei der CDU/CSU wenig zu sehen und zu hören. Wortreich schweigt man zu den großen Herausforderungen: die notwendige ökologische Transformation der Wirtschaft, die Anpassung an den Klimawandel, die Migration, die Energie, die innere und äußere Sicherheit, den Erhalt des gesellschaftlichen Wohlstands und und und. Die CDU/CSU muss als größte Oppositionspartei ein Angebot machen: der Gesellschaft und den Menschen rechts der Mitte, die mit den schnellen Veränderungen Probleme haben und die wie wir alle Stress empfinden bei all den Herausforderungen, die unübersehbar sind. Stattdessen lassen sie die AfD die Wähler in den Märchenwald führen, wo die Zeit angeblich still steht und Friede und Ruhe herrscht, aber in Wirklichkeit die Dämonen wohnen, die den Menschenkindern die Seelen verheeren.
DER AfD-VERHINDERUNGSSCHLÜSSEL
Merz und Söder werden es nicht gerne hören, aber der AfD-Verhinderungsschlüssel liegt in erster Linie bei ihnen und in zweiter Linie – auch da wird man es nicht gerne hören – bei der Linken, die auch in weltanschaulicher Nähe mit ihrer Putin-Liebe und ihrem Antiamerikanismus den rechtsextremen Humus noch düngen. Aber aufgerufen sind wir natürlich alle, das Unmögliche zu tun: angesichts der Gefahr gelassen zu sein und zugleich entschlossen, die Demokratie zu verteidigen.
Hier noch eine Empfehlung für einen früheren Beitrag zum Thema.
Bohrleute 51 - Die AfD - Ursachen, Strategien und Lösungen, mit Marcel Lewandowsky - Deliberation Daily
1 Jahr ago[…] Salonkolumnisten: Der beschissene 25. Juni […]
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