Die International Agency for Research on Cancer (IARC) ist zum Werkzeug von bezahlten Lobbyisten geworden, die den Ruf und die Glaubwürdigkeit dieser Einrichtung schwer beschädigt haben. Sie sollte aufgelöst werden.

Kennen Sie den Unterschied zwischen Gefahr und Risiko? Am schnellsten lernen Sie ihn mit Kleinkindern kennen. Sobald die krabbeln oder laufen können, lauern im Haushalt überall Gefahren: Steckdosen, heißes Wasser, Herdplatten, Plastiktüten, kleine Gegenstände, Reinigungsmittel – selbst eine Wäschekommode, die nicht gegen das Umkippen gesichert ist, ist eine tödliche Gefahr. Mit den Jahren lernt jedes Kind jedoch, mit diesen Gefahren umzugehen. Dann ist der Stieltopf mit der heißen Milch zwar nach wie vor eine Gefahr, aber das Risiko, dass ein Zehnjähriger ihn vom Herd zieht und sich den Inhalt über den Kopf schüttet, ist gering.

Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC bewertet Gefahren, nicht Risiken. Würde sie Haushalte untersuchen, kämen Steckdosen, Kochplatten und heißes Wasser auf die Liste „tödlich für Menschen“.

Doch IARC bewertet nicht Lebens-, sondern Krebsgefahren, und zwar von Faktoren, die uns in unserem Alltag begegnen: Chemikalien ebenso wie physikalische Einwirkungen (Mobilfunk, Sonnenlicht) und Lebensumstände (Beruf, Freizeitverhalten, Genussmittel usw.). Dazu sichtet die Agentur vorhandene Literatur und bewertet sie.

Lebensfremde Kategorisierung

Am Ende einer solchen Bewertung erfolgt eine Einstufung nach 5 Kategorien:

  • Gruppe 1: karzinogen (also krebserregend) für Menschen
  • Gruppe 2A: wahrscheinlich karzinogen
  • Gruppe 2B: möglicherweise karzinogen
  • Gruppe 3: nicht eingestuft
  • Gruppe 4: wahrscheinlich nicht karzinogen

Die Gruppierung in Gefahrenklassen führt dazu, dass z. B. in Gruppe 1 neben Plutonium und Senfgas auch Wurst, Holzstaub, der Schusterberuf, der Genuss von Alkohol und salzig eingelegter Fisch aufgeführt sind, weil es sicher ist, dass hier Krebsgefahr droht.

Betrachtet man nur die Gefahr, die von etwas ausgeht, so kann man von Wurst und Holzstaub ebenso Krebs bekommen wie von Plutonium. Allerdings: Jeder vernünftige Mensch fürchtet sich zu Recht wesentlich weniger vor einer Brotzeit mit Wurst und Bier als vor Plutonium, obwohl beide krebserregend sind.

Gefahr ist nicht gleich Risiko

Die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, unter welchen Umständen ein schädlicher Effekt auftritt und ggf. Sicherheitsmaßnahmen zu empfehlen, ist Aufgabe der Risikobewertung. Sie liegt in den Händen anderer Institutionen. Am Ende eines Risikobewertungsprozesses kommen Empfehlungen heraus – etwa, den Alkoholkonsum einzuschränken oder Holzstaub am Arbeitsplatz abzusaugen. Das nennt man Risikomanagement und auch wir tun es im Alltag täglich. Um Kleinkinder vor der Gefahr eines Stromschlags zu schützen, kündigen wir nicht die Stromversorgung, sondern verschließen unsere Steckdosen mit Kunststoffkappen. Das Risiko ist dann immer noch nicht null (Kinder sind sehr erfindungsreich), aber erheblich reduziert.

Diese Risikoabschätzung funktioniert im Alltag, nicht aber bei unbekannten oder nicht gleich sichtbaren Gefahren. Wenn das IARC Wurst und Alkohol als „krebserregend für Menschen“ einstuft, nehmen die wenigsten Menschen das wirklich ernst und ändern ihr Verhalten; handelt es sich um eine unbekannte Substanz, ist die Verunsicherung groß und die meisten Menschen sind überzeugt, es wäre besser, deren Herstellung oder Verwendung zu verbieten. Insofern ist die Kategorisierung der IARC lebensfremd und lädt zu Missverständnissen ein.

Missbrauch der Einrichtung

Das allein wäre kein Grund, die Abschaffung der Agentur zu fordern. Doch die irreführende und für den Umgang mit Gefahren untaugliche Kategorisierung öffnet Tür und Tor für Missbrauch. Das beklagen auch Aktivisten, die sich gegen vermutete Einflüsse der Industrie wehren.

Der Vorwurf ist nicht unberechtigt. Die Agentur lädt Wissenschaftler zur Bewertung ein, die als Experten für bestimmte Stoffe gelten, und da die IARC keine eigene Forschung, sondern lediglich Literaturstudien betreibt, sind die Experten in der Situation, dass sie ihre eigenen Arbeiten und die möglicherweise widersprechenden Veröffentlichungen von Kollegen, die nicht am Tisch sitzen und mitdiskutieren können, bewerten und gewichten können.

Zwischen 2012 und 2015, so fand Kate Kelland von der Nachrichtenagentur Reuters heraus, arbeitete die IARC an 18 Monographien, an denen 314 Wissenschaftler beteiligt waren und mindestens 61 dieser Forscher mussten dabei ihre eigenen Arbeiten bewerten. Die Frage ist, ob diese Forscher wirklich am besten geeignet sind, die Validität und methodische Qualität ihrer eigenen Studien und die ihrer Kollegen und Konkurrenten objektiv zu beurteilen. Sie müssten frei sein von Eigeninteresse und sich weder um ihren Ruf noch um ihre Karriere scheren.

Hinzu kommt, dass die IARC widersprüchliche Maßstäbe an Interessenskonflikte anlegt, so dass Wissenschaftler mit finanziellen Interessen am Ausgang der Bewertung nicht rigoros vom Bewertungsprozess ausgeschlossen werden.

In den letzten Jahren ist die IARC daher mehr und mehr Instrument für Kampagnen und für Geschäftemacherei geworden; beides hängt eng miteinander zusammen, wie das Beispiel des Biostatistikers Christopher Portier zeigt.

Das Beispiel Christopher Portier

Portier, bis 2013 Leiter der amerikanischen Regierungsbehörde National Center for Environmental Health bei den Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta sowie der dort angesiedelten Agency for Toxic Substances and Disease Registry, war mehrfach an Prozessen der IARC beteiligt, an deren Ende die Einstufung einer Technologie bzw. einer Chemikalie als „krebserregend“, „wahrscheinlich krebserregend“ oder „möglicherweise krebserregend für Menschen“ stand, so bei der Bewertung von

Zudem war er an der Festlegung der Prioritäten beteiligt, d.h. welche Substanzen von der Agentur bewertet werden sollen und in welcher Reihenfolge.

Portier ist seit mindestens Oktober 2013 Senior Collaborating Scientist des Environmental Defense Fund (New York, USA), einer der größten Umweltschutzorganisation der USA (Jahresetat 2016: 164 Mio. US-$). Der Environmental Defense Fund kämpft u.a. gegen Abgase von Verbrennungsmotoren, gegen Luftverschmutzung und Pestizide. Für seine Teilnahme an der Glyphosat-Bewertung – er war dort der einzige externe Berater – erhielt Portier ein Stipendium des Environmental Defense Fund. Auch hatte er bereits eine Reihe von kritischen Artikeln zu Monsanto, einem der Hersteller von Glyphosat, veröffentlicht. Diese Interessenskonflikte waren der IARC bekannt, aber weder ein Grund, Portier auszuschließen, noch Anlass, sie öffentlich zu machen. Bei der Bewertung der Krebsgefahr von Mobilfunk war die Agentur mit Industrievertretern gänzlich anders umgegangen. Anders Ahlbom, Leiter des Instituts für Umweltmedizin am Karolinksa-Institut in Stockholm, wurde von der IARC ausgeschlossen, weil er einen Sitz im Aufsichtsrat einer Firma hatte, die Telefongesellschaften beriet – Portier nicht.

Portier war darüber hinaus wie sieben seiner Kollegen, die an dem Glyphosat-Bericht mitgearbeitet haben, zugleich Stipendiat des Ramazzini-Instituts, einer privaten Krebsforschungseinrichtung, die bislang vor allem durch Intransparenz und Studien mit schlechtem Design aufgefallen ist, so z. B. im Fall der Süßstoffe Aspartam und Sucralose. Das Institut, das immer neuen Chemikalien und technischen Prozessen ein Krebsrisiko attestiert, gibt die Ergebnisse seiner Studien zumeist in sensationell aufgemachten Pressemitteilungen, nicht aber in Fachzeitschriften mit peer review oder auf Fachkonferenzen bekannt.

Viele Wissenschaftler betrachten das Institut daher nicht als seriöse Forschungseinrichtung, sondern als einen Zentrum von und für Umweltaktivisten, das gegen die „Chemisierung unseres Alltags“ („living in a chemical world“) kämpft. Finanzierung, Struktur und Haushalt des Instituts sind nicht bekannt, auch nicht für das Collegium Ramazzini, dem das Institut offenbar untersteht.

Verheimlicht hat Portier lange Zeit auch, dass er aus seinem Engagement beim IARC eine weitere Verdienstquelle gemacht hat. In mindestens zwei Fällen, elektromagnetische Strahlung und Glyphosat, ist er lukrative Beraterverträge mit Anwaltskanzleien eingegangen, die in den USA Sammelklagen gegen Mobilfunkhersteller sowie Monsanto betreiben. Im Fall Glyphosat unterzeichnete er im Frühjahr 2015 – unklar ist, ob vor oder unmittelbar nach dem Abschluss der Glyphosat-Monographie der IARC – Verträge mit gleich zwei US-Anwaltskanzleien: Lundy, Lundy, Soleau & South sowie Weitz & Luxenberg. Bis zum Juni 2017 erhielt er dafür rund 160.000 US-Dollar. Bei den Klagen geht es darum, Schadenersatz für Menschen zu erstreiten, die an Non-Hodgkin-Lymphom, Haarzellleukämie oder chronischer lymphatischer Leukämie erkrankt sind. Derzeit wird eine erste Klage von 184 Krebspatienten gegen Monsanto in Kalifornien verhandelt. Die Verträge, so kam in diesem Prozess heraus, enthielten eine Verschwiegenheitsklausel, so dass Portier gegenüber Medien und Journalisten nach der Unterzeichnung noch im Oktober 2016 behauptete: „Nobody has paid me a cent to do what I am doing with glyphosate … I have no conflict of interest whatsoever.“

Portier tritt seither als „IARC-Experte“ vor NGOs, europäischen Parlamenten und Regierungskommissionen auf, um die Schlussfolgerung der IARC-Monographie zu unterstreichen, dass Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend“ sei. Seine Interessenskonflikte hat er auch dort so lange verschwiegen, bis verschiedene Online-Blogs darüber berichtet hatten.

Weitere Merkwürdigkeiten

Aaron Blair, ein Epidemiologe, der die IARC-Evaluierung von Glyphosat leitete, war zugleich Mitglied des Exekutivausschusses der prospektiven Agricultural Health Study (AHS), die u.a. vom U.S. National Cancer Institute und dem National Institute of Environmental Health Sciences durchgeführt wird. Sie untersucht seit 1993 Krebs und andere gesundheitliche Probleme bei knapp 90.000 beruflichen Anwendern von Pestiziden und deren Partnern in Iowa and North Carolina. Im Rahmen dieser Studie wurde anhand der Daten von mehr als 54.000 Menschen dieser Gruppe, die im Zeitraum von 1993 bis 2005 beruflichen Umgang mit Glyphosat hatten, geprüft, ob Glyphosat Krebs auslösen kann. Blair, der im Rahmen der Agricultural Health Study verschiedentlich selbst über Glyphosat publiziert hatte, kannte die noch unveröffentlichten Ergebnisse und wusste, dass sie keine Hinweise auf eine krebsauslösende Wirkung von Glyphosat enthielten.

Vor Gericht sagte er später unter Eid aus, dass sich die IARC-Einstufung von Glyphosat „wahrscheinlich geändert hätten“, wenn die Ergebnisse der AHS-Studie berücksichtigt worden wären. Da sie jedoch noch nicht publiziert waren, schieden sie aus formalen Gründen aus und fanden keinen Eingang in die Beratungen.

Kate Kelland, die den Umgang mit den erst jetzt publizierten Glyphosat-Daten der Agricultural Health Study  im Detail untersucht hat, erhielt für ihre Recherchen in der vergangenen Woche den „Science Story of the Year Award“ der Foreign Press Association. Kelland fand zudem heraus, dass der ursprüngliche Entwurf des Berichts zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen war und erst kurz vor der Veröffentlichung so verändert wurde, dass eine gegenteilige Einstufung von Glyphosat vorgenommen wurde.

Dafür wurden zentrale Abschnitte des Entwurfs verändert oder gelöscht und Schlussfolgerungen von mehreren Studien, die keine Verbindung zwischen Glyphosat und Krebs in Labortieren zeigten, entfernt. In anderen Fällen wurden negative Schlussfolgerungen hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen Glyphosat und Krebs mit positiven oder neutralen ersetzt.

Warum und auf wessen Veranlassung das geschah, hat die IARC bislang ebensowenig mitgeteilt wie sie die Versionsgeschichten des Entwurfs öffentlich gemacht hat –  ein weiteres Beispiel für die intransparente Vorgehensweise der Einrichtung.

Ein Wissenschaftler, der als Spezialist zur Arbeitsgruppe über rotes Fleisch und Wurst eingeladen war, sprach später mit Reuters anonym über seine Erfahrungen. Er hatte den Eindruck, dass die Experten des Panels die wissenschaftlichen Befunde mit einem bestimmten Ziel im Hinterkopf durchsuchten. Bei der Beurteilung von Fleisch und Wurst beschränkte sich die IARC nicht auf die übliche Bewertung der Gefahr, sondern sprach von Risiken: mit jedem 50g-Stück von verarbeitetem Fleisch das täglich gegessen werde, steige das Risiko für Darmkrebs um 18 Prozent. Diese Daten, so der Wissenschaftler, seien „praktisch über Nacht aus dem Nichts“ erschienen. „Ich hatte erwartet, dass die Wissenschaft mit äußerster Strenge betrachtet würde. Aber, um offen zu sein, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus war ich am Ende dieser zehn Tage ziemlich schockiert.“

Die Ursachen von Krebs – Natur oder „Chemie“?

Gründe genug, die IARC aufzulösen. Überflüssig ist sie ohnehin, denn es gibt besser ausgerüstete Agenturen, die zudem wesentlich mehr Daten heranziehen, auch unveröffentlichte. Dazu zählen Studien, die Firmen den Zulassungsbehörden vorlegen müssen und die zum Schutz des geistigen Eigentums der Geheimhaltung unterliegen.

Die Hauptursachen für Krebs liegen auch nicht in unserer mit Chemikalien angeblich „überladenen“ Umwelt, sondern bei unserem Verhalten und bei Mikroorganismen. Die WHO hat dazu Anfang 2017 festgestellt: Ein Drittel aller Krebstoten geht auf das Konto von Übergewicht, zu wenig Verzehr von Obst und Gemüse, Bewegungsmangel, Tabak- und Alkoholkonsum. Weitere 25 Prozent werden durch Mikroorganismen ausgelöst: Helicobacter-Bakterien sowie Hepatitis- und HPV-Infektionen. Als weitere Ursache kommt die stark gestiegene Lebenserwartung hinzu, denn je älter ein Mensch wird, desto mehr lässt die Fähigkeit seiner Zellen nach, Schäden am Erbgut zu reparieren, die durch Sonnenlicht, die natürliche Hintergrundstrahlung, Flugreisen usw. ausgelöst werden. Erst danach kommen Chemikalien, darunter viele natürlich vorkommende. Und was hierbei zählt, ist nicht die Gefahr, sondern das Risiko und geeignete Mittel zu seiner Beherrschung.

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Glyphosat-Rückstände – Krebsrisiko für Verbraucher?

Die einhellige Antwort lautet nein. So urteilten das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA, die Europäische Chemikalienagentur ECHA, die U.S. Environmental Protection Agency (EPA), das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR)  von WHO und FAO, die kanadische Pest Management Regulatory Agency (PMRA), die Australian Pesticides and Veterinary Medicines Authority (APVMA) und die neuseeländsiche Environmental Protection Authority.

Auch die IARC konstatiert kein Krebsrisiko für Verbraucher.

Die Opposition gegen Glyphosat wird in Europa maßgeblich von den Grünen im Europaparlament sowie in Deutschland und Österreich vorangetrieben, unterstützt von NGOs wie Greenpeace, Friends of the Earth (BUND, Global2000), Campact und anderen und einer Gruppe von Wissenschaftlern um Christopher Portier. Sie alle unterstellen, Glyphosat sei für den Großteil der Krebsfälle in der Bevölkerung verantwortlich und Monsanto habe die oben erwähnten Behörden und öffentlichen Einrichtungen in Europa, den USA, Kanada, Australien und Neuseeland bestochen, um die Profite des Unternehmens mit dem Herbizid zu sichern. Allerdings ist das Patent auf Glyphosat seit Jahren abgelaufen. Es wird daher vor allem von chinesischen Herstellern produziert.

Bisheriger Höhepunkt der Anti-Glyphosat-Kampagne sind Morddrohungen gegen BfR-Mitarbeiter und ihre Familien sowie Briefbomben, die in Italien mehrere Angestellte der EFSA verletzten.