Mit einer neuen CO2-Richtlinie legt auch die EU-Kommission heute schon fest, was 2030 richtig und falsch zu sein hat. Die Verlängerung von Plänen und Regelungen bis in die ferne Zukunft wird zum besorgniserregenden Trend.

Mit der Zukunft tun sich alle schwer. Das wusste schon der große Karl Valentin: Prognosen, so der Komiker, seien besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. Wir kennen die Zukunft nicht, folglich beherrschen wir sie auch nicht. Zukunft ist eine Herausforderung an die eigene Fähigkeit, die Welt zu verstehen und zu lenken.

Mit all dem im Hinterkopf darf nun die Rede von einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung der EU-Kommission sein, die festlegt, dass in der Union neu zugelassene Autos ab 2025 maximal 85 und ab 2030 maximal 70 Prozent des heutigen CO2-Ausstoßlevels erreichen dürfen. Verstoßen die Autohersteller gegen diese Vorgaben, drohen ihnen empfindliche Strafen.

WEITER, IMMER WEITER

Per aspera ad astra will auch die EU hier bei der Beherrschung einer ungewissen, dräuenden Zukunft mit dem Kopf durch die Wand. Mit der Festlegung auf Schadstoffausstoßziele für einen Zeitpunkt, der 13 Jahre in der Zukunft liegt, würde ein politisches Gremium normalerweise den Boden der Satire betreten, wenn, ja wenn gerade wir in Deutschland nicht längst ungut daran gewöhnt wären. Denn hierzulande gilt, um nur ein Beispiel zu nennen, bereits seit 2011 das Regierungsprogramm Elektromobilität, dessen erklärtes Ziel es (noch immer) ist, bis 2020 eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen zu bringen, was angesichts von gut vierunddreißigtausend zugelassenen Fahrzeugen zum letzten Jahreswechsel ein ausgesprochen ambitioniertes Ziel bleibt. Sollte das Millionenspiel Elektroauto an der Klippe 2020 zerschellen, kann die Bundesregierung sich jedoch noch auf eine zweite Verteidigungslinie zurückziehen: Bis 2030 sollen es nämlich sechs Millionen Elektroautos sein, und das sind ja noch einmal volle zehn Jahre Handlungsspielraum.

Und wem selbst das noch nicht weit genug weg ist, für den gibt es immer noch das Metropolis des deutschen Ministerialbeamten, den „Klimaschutzplan 2050“. Jawohl, 2050 – drunter machen wir‘s nicht. Wäre nicht der Schutz des Planeten ein grundsätzlich sinnvolles und daher erst einmal unterstützenswertes Unterfangen, man müsste inzwischen zum Schluss kommen, dass der endlose Zyklus von Arbeitsgruppen, Klimagipfeln, nationalen Aktionsplänen und neuen Arbeitsgruppen und Klimagipfeln ein einziges großes Seelenstreichelprogramm für staatliche Planer ist, denen so das Gefühl besonderer, schicksalsschwangerer, ja nahezu epochemachender Bedeutung vermittelt wird, indem man ihre für gewöhnlich begrenzte Planungshoheit nun in eine lächerlich weit entfernte Zukunft ausdehnt.

GUT GEMEINT…

Und so ist es für uns heute auch völlig normal, dass die Bundesregierung einen Klimaschutzplan für das Jahr 2050 aufstellt, der, wie sie stolz betont, „Raum für Innovationen“ lässt und trotzdem „robuste transformative Pfade“ anstrebt, ohne dass „kritische Pfadabhängigkeiten und … Interdependenzen“ vernachlässigt werden. Den Leser schüttelt es beim Gedanken daran, dass dieses Horror-Crossover aus Seminararbeit und feuchtem Beamtentraum noch volle 33 Jahre lang verbindliche Politik bleiben soll, doch mag er sich damit trösten, dass schon die bisherigen großspurigen Ankündigungen und Planziele – Stichwort Elektroautos – noch sämtlich im Sande verlaufen sind.

Viele dieser Pläne sind schon auf den ersten Blick unausgegoren – der Betrieb von Elektroautos beispielsweise erfordert neben einer Stromladeinfrastruktur unausweichlich auch Strom, dessen Erzeugung in Deutschland leider ein eigenes Drama ist. Ganz generell sind exakte Zielsetzungen wie die des heutigen Kommissionsentscheides, die Jahre, teilweise sogar Jahrzehnte in die Zukunft reichen, nichts anderes als Hybris. Der ernsthafte Glaube, eine Bundesregierung des Jahres 2050 – wir nehmen hier wohlwollend an, dass es eine solche noch gibt – werde sich an die Beschlüsse des Kabinetts Merkel III stärker gebunden fühlen als Merkel III ihrerseits an die Langfristziele eines jungen, aufstrebenden Kanzlerneulings namens Helmut Kohl im Jahre 1984, sagt mehr über uns aus als über das Klima auf unserem Planeten in den nächsten Jahren.

…IST DAS GEGENTEIL VON GUT

Sicherlich kann man der Politik den Versuch, durch völlig überdrehte Langzeitplanungen von kurzfristigen Problemen und Risiken abzulenken, kaum zum Vorwurf machen, solange die öffentliche Meinung derartige Einlagen nicht nur durchgehen lässt, sondern sogar überwiegend goutiert. Freilich haben wir längst den Punkt erreicht, da schon die klare Benennung des Irrsinns wütende Ablehnungsreaktionen hervorruft, wie Alexander Dobrindt bestätigen kann (dass seine Äußerung taktisch unklug war, steht auf einem anderen Blatt).

Deswegen sollte die politische Spielerei auch dort enden, wo Autobauer der Zukunft sich womöglich noch gegen Ende des kommenden Jahrzehnts aus purer Willkür an Regelungen und Grenzwerte zu halten haben, deren Verabschiedung dann länger zurückliegen wird als die Gründung von Facebook oder die Erfindung des Smartphones heute – eine gefühlte Ewigkeit. Wenn der Verbrennungsmotor tatsächlich, wie ständig behauptet wird, ein Auslaufmodell ist, das sich trotz jahrzehntelangen Erfolgen plötzlich nur noch durch die schiere Kraft der Trägheit überhaupt auf dem Markt halten kann, warum sollte man dann nicht darauf vertrauen, dass der Innovationsdruck auf die Automobilindustrie ausreichen wird, um neue Antriebsformen herbeizuführen? Müssen wir heute unbedingt Mobilität in zehn, zwanzig, dreißig Jahren definieren? Ist es wirklich zu viel verlangt, uns und den nächsten Generationen mehr zuzutrauen als die Bereitschaft, ohne eigenen Anspruch nur „robuste transformative Pfade“ zu verwalten? Und wenn sogar der Präsident des weißgott nicht für seine Wirtschaftsnähe berühmten Club of Rome jüngst darum flehte, dem Verbrennungsmotor nicht undurchdacht den Gnadenschuss zu geben – wäre dann nicht für jeden, der ernstlich um das Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie besorgt ist, der Moment gekommen, innezuhalten und in sich zu gehen?

Planung mag ihre Vorteile haben. Doch sollte sie ihre Grenzen kennen: Wo Planer sich und ihren Referenzrahmen absolut zu setzen beginnen, verlassen sie den Rahmen des Konstruktiven und oszillieren bald irgendwo zwischen Realsatire und gut gemeintem Autoritarismus. Das bringt nichts – weder heute noch in 20 Jahren.