Populisten – das sind angeblich immer die Anderen. Doch die sozialen Medien machen es uns leicht, selbst zu Populisten zu werden. Mit verheerenden Folgen für die politische Kultur.

Ich liebe Twitter. Ich liebe es, weil es, wenn man gut auswählt, höchst interessante, anregende, lesenswerte Texte in den eigenen Account spült. Man kann es wie einen Nachrichten-Ticker nutzen und natürlich als winzige Sendeanstalt eigener Gedanken, Belanglosigkeiten und poetischer Momente. Manchmal, eher selten, kommt auch ein kurzes Gespräch mit anderen Nutzern zustande. Das ist nett. Kann aber natürlich nie mit der Lektüre einiger Buchseiten von Stefan Zweig, Hannah Arendt oder Richard J. Evans mithalten. So sind die Konkurrenzen in der Lebenszeit halt nun mal – oder sollten sie sein: Man muss sich nur für das Richtige entscheiden.

Ist man ein Nichts, ist Twitter ohnehin Arbeit, intensive Arbeit; man muss sich ständig damit beschäftigen, wenn man denn unbedingt viele Empfänger und so etwas wie Anerkennung und Bedeutung kriegen will. Das kann süchtig machen. Ist man schon bekannt, prominent, populär, dann braucht man eigentlich nicht viel tun, man kriegt auch so seine Follower, die es einem nicht verübeln, wenn man mal eine Auszeit nimmt.

Mit den sozialen Medien sind wir, wenn wir mitmachen, nun also alle Sender geworden: der linke Medien-Traum der Emanzipation. Der allerdings auch schon beim Radio geträumt wurde, bis ihn Goebbels spielend leicht umpolte. Heute tummeln sich bei Twitter, Facebook & Co. dubiose, gemeine und artifizielle Verderber und Zerstörer mit dem Charakter und der Mission eines Dr. Mabuse. Man muss lernen, damit umzugehen. Es ist nicht leicht.

So gesehen, ist Twitter also ein Medium wie alle: es spielt mit unseren Erwartungen, Hoffnungen, Wünschen und stößt uns immer wieder in die staubige Arena der Realität. Es schafft keine Nähe, sondern Distanz.

EIN INSTRUMENT DER AUFKLÄRUNG

Ich hasse Twitter. Ich hasse es unter anderem, weil es mein Menschenbild verschlechtert hat. Tatsächlich habe ich hier vermeintlich intellektuelle und seriöse Journalisten erlebt, wie sie mit Lust verbal die Sau rausließen. Einige Politiker entpuppten sich Tweet für Tweet als schlichte Gemüter (deren Unerschütterlichkeit ob der Unmengen an Hohn und Spott, die sie ernteten, einem allerdings auch ein wenig Respekt abnötigt). Ich sah unser aller Schwächen, Defekte und Unzulänglichkeiten ungefiltert und roh. So ist auch dieses soziale Medium in seiner mit raffinierter Technik herauskitzelnden brutalen Offenheit in unangenehmer Weise ein Instrument der Aufklärung. Denn auch hier funktioniert das „Erkenne Dich selbst!“ nur sehr selten – und alles bleibt beim Alten.

Vor allem aber ist es eine Schule des gesellschaftlichen Populismus! Wenn man eine Spielart des Populismus die von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik ansieht, „die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen“, dann kann man nicht anders, als Twitter als die Volkshochschule dieses Populismus zu bezeichnen. Manche Nutzer wirken – hier spielt das Geschlecht wirklich keine Rolle und die politische Überzeugung letztlich auch nicht –, als wären sie auf Koks, Ketamin und Viagra zugleich und hauen ungehemmt ihre Hashtag-Parolen, Vergröberungen und Aufrufe raus, die nur dazu dienen, Follower-Massen zu generieren, also virtuelle Lemminge, und die eigene Wichtigkeit aufzupumpen. Eine vernünftige politische Auseinandersetzung ist nicht vorgesehen. Sie werfen ihren politischen Gegnern nicht vor, die falschen programmatischen Punkte oder politisch-moralischen Werte hochzuhalten, sie sprechen ihnen vielmehr die politische Legitimität prinzipiell ab. Der Aufbau einer Freund-Feind-Frontstellung ist das erste und letzte Ziel. Für unsere politische Kultur haben sich Twitter, Facebook & Co. bislang nicht als Segen herausgestellt. So bleibt uns nur, aus Verantwortung das Unmögliche zu tun: uns zu mäßigen. Denn wir haben alle mit den Folgen zu kämpfen – gleich, ob man dabei ist oder nicht.