Manche halten sie nur für Modethemen: Klimawandel und Ökologie. Aber sie werden bleiben. Das hat auch mit Marktversagen zu tun. Doch das lässt sich beheben.

In der grauen Vorzeit ökologischen Denkens – sprich: vor gerade einmal vierzig Jahren – gab es zwei einfache Sätze, die nicht nur bei grünen, sondern auch bei konservativen Umweltschützern und weit hinein in die Sozialdemokratie (vor allem durch Erhard Eppler) Geltung erlangten. Der eine ging ungefähr so: „Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geborgt.“ Der andere lautete: „Die Preise müssen die Wahrheit sagen.“ Nun scheint es, als wären beide Feststellungen auf ihrem langen Weg quasi kommunikativ nachhaltig in Politik und Gesellschaft angekommen: Die Bewegung Fridays for Future will nicht nachlassen, bis auch der Letzte begriffen hat, dass ökologische Fragen Zukunftsfragen sind, die vor allem unsere Kinder und Kindeskinder betreffen; und mit der nunmehr intensiven Diskussion um eine CO2-Besteuerung kommt ein politisches Instrument in Reichweite, mit dem sogenannte „externalisierte Kosten“ einen Preis bekommen.

DAS VERSAGEN DER MÄRKTE

Denn unser Wirtschaften war bislang sehr geschickt darin, Preise niedrig zu halten, indem man Folgekosten wie durch Magie verschwinden ließ: Der Müll wird ins Ausland verschifft, durch Entwaldung verursachte Bodenerosion durch fortgesetzten Geländefraß in intakten Wäldern ausgeglichen, die Abgase werden in die Luft geblasen, Gift und Gülle auf Gewässer und Böden in der Ferne verteilt usw. Am Körper der Marktwirtschaft befindet sich also nicht nur jene „unsichtbare Hand“, die der Ökonom und Moralphilosoph Adam Smith schon im 18. Jahrhundert beschrieb und mit der die auf Eigenwohl gestimmten Marktteilnehmer quasi unbewusst und selbstregulierend das Gemeinwohl förderten, sondern auch eine listige Zauberhand, die das Wohl der Zukünftigen hintertrieb.

Der Wirtschaftsprofessor an der London School of Economics und ehemalige Chefökonom der Weltbank, Nicholas Stern, hat dies – nicht als erster, aber dafür mit viel Sachverstand und Aplomb – in seinem berühmten Report für die britische Regierung von 2006 und bald darauf in seinem Buch Der Global Deal  dezidiert als „Marktversagen“ beschrieben: Wenn der wichtigste Koordinationsmechanismus des Marktes, nämlich der Preis für eine Ware oder eine Dienstleistung, das falsche Signal gibt, indem er die wahren Kosten nicht nur räumlich, sondern vor allem in die Zukunft externalisiert, dann liegt ein eklatantes Versagen des Marktes vor. Solch ein Versagen gibt es öfters, und die Gründe liegen meist in Informationsmangel, Missbrauch von Marktmacht und eben in sogenannten „externen Effekten“, wie oben knapp beschrieben. Aber gerade dieses Versagen ist mittlerweile unübersehbar.

DAS JAHRHUNDERT DER ÖKOLOGIE

Das Problem der Ökonomie mag sein, dass sie zu einem großen Teil nicht in die Zukunft schaut und nur kurzfristige Bedürfnisse befriedigt oder hervorkitzelt. Das Problem der Politik und der Gesellschaft als Ganzes aber ist ihre hartnäckige und sich verschlimmernde Amnesie: das systematische Vergessen bereits vorhandener und besprochener Erkenntnisse. Man mag dies damit erklären oder rechtfertigen, dass es zu viele Themen und Probleme gibt, die bearbeitet werden müssen. Doch jetzt kommen wir in eine Situation, in der die externen Effekte zurückkehren und direkt vor unserer Haustür auftauchen: asiatische Staaten verweigern die Annahme unseres Plastik- und Giftmülls, das durch Treibhausgase aufgepumpte Klima entlädt sich immer häufiger durch Wetterextreme, und die junge Generation hält uns ununterbrochen Transparente mit Fakten ins Gesicht und in die Kameras. Gleichzeitig – auch das wird gerne vergessen – werden die Konkurrenzen und Konflikte um die verbliebenen und weiter schwindenden globalen Ressourcen heftiger. Die Endlichkeit unseres Planeten ist die ökonomische, ökologische und soziale Wahrheit unserer Spezies. Dieser Tatsache werden wir nun gewahr – und zwar durchgreifend. Und wenn es auch viele nicht wahrhaben wollen, es sich schlichtweg nicht vorstellen können oder es mit einem bestimmten Personal bei den Grünen in Verbindung bringen oder mit aufdringlichen Moralaposteln in Umweltverbänden, denen sie alle mit Abneigung begegnen, so ist es doch nicht mehr von der Hand zu weisen, dass wir uns mittendrin befinden – im Jahrhundert der Ökologie.

FÜR EIN PRÄZISES HANDELN

Die wichtigsten Erkenntnisse, die Nicholas Stern in seiner Arbeit vor über zehn Jahren hatte und die unsere Erinnerung verdienen, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Erstens, der externe Effekt der Treibhausgasemissionen ist langfristig, weltumspannend, voller Unsicherheitsfaktoren und schlichtweg gewaltig.

Zweitens, die passende Reaktion auf ein solch großes Marktversagen ist nicht die Abschaffung der Märkte, „sondern präzises Handeln, um es durch Steuern, durch andere Formen der Preiskorrektur oder durch Regulierung zu beheben“. Das Marktversagen nicht zu beheben würde die ökologischen Schäden verstärken, das wirtschaftliche Wachstum senken und zu weiteren Verwerfungen und Konflikten führen.

Drittens, die Kosten für die Bekämpfung des Klimawandels sind deutlich niedriger als die Kosten zur Behebung der Folgen des Klimawandels. Da nun aber über zehn Jahre seit Sterns Berechnungen ohne relevante Maßnahmen verstrichen sind, dürfte es fortan teurer werden.

Dieses präzise Handeln  muss in gezielten Investitionen bei Umwelttechnologie und zur Förderung einer Effizienzrevolution, bei Erzeugung und Verbrauch von Energie und Strom, bei jeder Form von Mobilität und beim Umgang mit den Wäldern seinen Niederschlag finden.

Unser besonderes Augenmerk muss nun der Bepreisung der externen Kosten gelten – d.h. auf den Klimawandel bezogen: den Treibhausgasemissionen. Sie können vor allem durch eine CO2-Steuer, den intensivierten Handel mit Emissionszertifikaten und durch eine konstruktive Wirtschaftspolitik, die technologische Entwicklungen anstößt, minimiert werden. Aber alle Instrumente haben neben ihren Vor- auch Nachteile wie hohen Verwaltungsaufwand, verzögerte Effekte, schwierige internationale Koordination von Steuern und das gesellschaftliche Misstrauen gegenüber solchen. Trotzdem muss umgehend damit begonnen werden, um nicht weiter Zeit zu verlieren und die Kosten noch mehr in die Höhe zu treiben.

Wer sich jedoch immer noch schwer tut mit solchen Maßnahmen, dem sei gesagt: CO2-Steuern beispielsweise sind nicht nur ein Mittel zur Klimabekämpfung – sie sind vielmehr die Voraussetzung, die Springquellen unseres Wirtschaftens, die Natur und unsere Freiheit, zu erhalten.

Letztlich läuft es darauf hinaus, nicht Arbeit, sondern Verbrauch zu besteuern. Die Netto-Einkommen würden steigen, die Konsumausgaben aber auch, vor allem die, die CO2-belastet sind. Eine Kompensation gerade für Geringverdiener ist unumgänglich.

GLOBAL HANDELN

Auch das sollte klar sein: Deutschland kann nicht das Klima „retten“. Die EU kann schon erheblich mehr tun. Aber an einer globalen Lösung kommt niemand vorbei. Während hier um den geradezu winzigen Hambacher Forst gekämpft wird, erschließt China das größte Braunkohlefeld der Welt in Pakistan. Der Sachverständigenrat Wirtschaft hat nicht nur in seinem jüngsten Gutachten für die Bundesregierung viele der Punkte aufgegriffen, die schon von Nicholas Stern vorgeschlagen wurden, sondern auch gezeigt, dass die Zukunft des Klimas eher von China, Indien, Indonesien, Brasilien und den USA bestimmt werden denn von Europa oder gar Deutschland. Das hängt mit der Bevölkerungszahl und dem schnellen Wachstum zusammen, mit denen die Bevölkerungen des Südens wie alle anderen auch Wohlstand erlangen wollen. Aber es sind gerade die Länder Asiens und vor allem China, deren Emissionen in den letzten vierzig Jahren enorm gestiegen sind, während sie in Europa und den USA auf hohem Niveau verharren oder leicht sanken.

Schon aus Verantwortung wegen der Emissionen in der Vergangenheit, viel mehr aber noch wegen ihres immer noch vorhandenen Reichtums, ihrer technologischen Möglichkeiten, ihrer eigenen Abhängigkeit von Innovationskraft und Produktivität müssen die westlichen Industrienationen den Wettbewerb um die besten Umwelttechnologien vorantreiben und anführen.

Gerade in der Wirtschaft gilt – wir sehen es tagtäglich beim digitalen Fortschritt –, dass es besser ist, Avantgarde zu sein denn Nachzügler. Und nicht zu vergessen: „Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geborgt, und die Preise müssen die Wahrheit sagen.“