Der Staat Israel kämpft 75 Jahre nach seiner Gründung um seine Existenz. Bedroht sind aber auch die Juden in der Diaspora. Deutschland nimmt wieder einmal eine unrühmliche Rolle ein.

In nächster Zeit kommt ein Film in die Kinos, der schon bei der Produktion für etwas Aufregung gesorgt hat. Die Rede ist von „Maestro“, einem sogenannten Biopic über den Komponisten, Pianisten und Dirigenten Leonard Bernstein (1918-1990). Der Schauspieler Bradley Cooper, berühmt geworden durch die drei „Hangover“-Filme, führt nicht nur Regie bei „Maestro“, sondern spielt auch die Hauptrolle. Um dem echten Leonard Bernstein ähnlich zu sehen, hat er sich natürlich auch einer Maske unterzogen, zu der wohl auch eine Vergrößerung der Nase gehörte – schließlich hatte Bernstein, Sohn jüdisch-ukrainischer Einwanderer, eine große Nase, was bei etlichen Menschen schon vorgekommen sein soll. Aber ganz schlaue Diskursritter sahen darin so etwas wie „Jewfacing“ und fragten, ob Nicht-Juden überhaupt Juden spielen dürften. Natürlich wollten die Aktivisten mit ihrer Empörung die Welt zu einem besseren Ort machen, indem man Stereotype in Frage stellt. Nur kam es wie so oft in der heutigen Zeit, dass man vermeintliche Stereotype erst zum Leben weckt oder perpetuiert, wie bei einer billigen antisemitischen Kunst auf der Documenta. Große Nase = Jude? Wenn es nicht so gefährlich und bei der immer noch kursierenden antisemitischen Propaganda gebräuchlich wäre, könnte man vielleicht sogar über diesen Unfug lachen. Aber das Lachen sollte uns allen vergangen sein.

PRIVILEGIERTE DROHEN DEN JUDEN

Denn von der vermeintlichen Weltverbesserung durch Nasenkritik zum offenen Judenhass ist es nur ein kleiner Schritt. Zu viele „progressive“ Linke, die eben noch auf Demonstrationen Transparente mit „Hass ist keine Meinung“ vor sich her trugen, haben umdekoriert und fordern nun hasserfüllt die Auslöschung des Staates Israel („Free Palestine“). Mit dabei ist die schwedische Klima-Ikone Greta Thunberg von Fridays For Future, die anscheinend denkt: Der Klimawandel ist menschengemacht, aber hinter allen anderen Krisen steckt eine jüdische Internationale. Es sind die alten Gerüchte und Verschwörungsphantasien, die vor ein paar hundert Jahren den Mob mit Brandfackeln und Mistgabeln zu ihren Pogromen anstachelten. Doch was früher manipulierte Deklassierte in die Hand nahmen, das erledigen heute die Privilegierten aus gutem Elternhaus auf ihre Weise: Junge Menschen, sehr sensibel für Microdiskriminierungen und -aggressionen, mit kostbaren Studienstipendien ausgestattet, erklären Israel zum Angelpunkt für die Ungerechtigkeiten in der Welt; Influencerinnen versenden neben Schminktipps antisemitische Propaganda an ihre Millionen Follower; Eingewanderte mit zwei oder drei Staatsbürgerschaften tragen in ihrer neuen Heimat den Judenhass aus der alten Heimat weiter, so als wäre es eine kulturelle Tradition wie ein Backwerk und nicht einer der Gründe, warum die Herkunft, die man floh, sich nicht ändert mit ihrer Korruption, Unterdrückung und Menschenfeindlichkeit. Sie drohen den Juden, dem Staat Israel, den jüdischen Institutionen in der Nachbarschaft. Sie besetzen den öffentlichen Raum und skandieren den Tod der Juden. Das klappt übrigens auch gut auf Bluesky, wohin man als Anständiger vor der Zornbewirtschaftung Elon Musks auf eX-Twitter geflüchtet war, um sich jetzt progressiv dem Hass auf Israel und den Juden hinzugeben – natürlich ohne sich den Gefahren der Selbstreflexion im Wohlfühlraum auszusetzen.

In vielen europäischen Metropolen sind in den vergangenen Tagen mal zehn-, mal hunderttausende gegen Israel und die Juden auf die Straße gegangen. Ja, sie sind gegen eine kleine Minderheit in allen diesen Staaten durch die Straßen gezogen. Sie haben eine kleine Gruppe von Menschen als Feinde markiert, als Gefahr für die Menschheit, den Frieden usw. Sie haben eine kleine Gruppe von Menschen in Angst versetzt, sie haben sie eingeschüchtert, ihr altes Trauma aufgerufen, die ewige Verfolgung. Sie haben sie wieder gedemütigt, wieder ausgestoßen.

Israel und seine Einwohner, Juden und Araber, werden es zur Kenntnis genommen haben; sie werden enttäuscht den Kopf geschüttelt haben. Aber man kann sich nicht damit aufhalten, mit der Enttäuschung, mit der Unbelehrbarkeit im Ausland. Man hat gerade Anderes zu tun: Man muss ums Überleben kämpfen.

So etwas können sich die Menschen in Deutschland gar nicht vorstellen. Zu ihrer ideologischen Friedensdividende gehört dazu: Wir leben in Sicherheit, wir können uns alles erlauben: jede Indifferenz, jede Äquidistanz, jede Halbherzigkeit – das Lauwarme in der Politik. Es ist ein schwerer Irrtum. Es ist beim russischen Überfall auf die Ukraine ein Irrtum, es ist bei der existentiellen Bedrohung Israels durch den Iran und seine Helfershelfer ein Irrtum.

Zehntausende Raketen zielen aus dem Libanon, aus Syrien, aus dem Gazastreifen auf Israel.

Und natürlich greift Israel den Gazastreifen an. Sie hätten es nie getan, wenn die blutdürstigen Horden der Hamas nicht über 1400 Israelis in einer Terrorattacke gequält, ermordet und rund 230 als Geiseln entführt hätten. Dürfen die Israelis sich in diesem Fall nicht wehren?

Es ist nach dem humanitären Völkerrecht nicht verboten, bei Angriffen gegen militärische Ziele auch Zivilpersonen in Mitleidenschaft zu ziehen. Das ist schrecklich. Das ist sogar sehr schrecklich, da die Hamas die Opferzahlen gezielt nach oben treibt.

Aber wie soll sich Israel sonst wehren? Und doch muss das Land darauf achten, dass die zivilen Todesopfer nicht in einem exzessiven Missverhältnis zum angestrebten militärischen Erfolg stehen. Von den Opfern, die Israel selbst erbringen muss im Kampf gegen seine Todfeinde, ist allerdings nur selten die Rede.

DIE JUDEN KÖNNEN ES NIE RICHTIG MACHEN

Das gehört zur Demütigung durch die restliche Welt hinzu: Die Juden können es nie richtig machen. Wenn sie sich gegen den Hass wehren, zeiht man sie, arrogant zu sein. Lassen sie, weil sie sich kaum vorstellen konnten, was die Nazis mit ihnen vorhatten, die Vernichtung gezwungenermaßen über sich ergehen, dann wirft man ihnen, den Toten wie den Überlebenden, vor, sich nicht gewehrt zu haben. Wenn sie sich jetzt wehren und den Gaza-Streifen bombardieren, dann sei es ein Verbrechen, ein Genozid – während aus Gaza gleichzeitig Raketen auf Tel Aviv, Haifa und Eilat fliegen. Und die antijüdischen Koalitionen in den westlichen und arabischen Ländern applaudieren dem antijüdischen Terror oder protestieren gegen die Wehrhaftigkeit Israels. Immer geht es gegen Israel, immer geht es gegen die Juden. Es will nicht aufhören.

Es fehlt nur noch, dass sich der prächtige Precht erneut zu Wort meldet und verkündet: Natürlich hat Israel ein Recht auf Selbstverteidigung, aber auch die Pflicht einzusehen, dass man sich ergeben und den islamistischen Terror der Hamas, die Bedrohung durch den Iran erdulden und den Staat Israel wieder aufgeben muss.

Warum gibt es Israel? Das Land ist die Antwort auf den kruden Antisemitismus des 19. Jahrhunderts in Europa, den Holocaust der Nazis und die Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern. Nun ist dieser Antisemitismus wieder da, ausgebrochen aus den dunklen Höhlen der Niedertracht, des Hasses, der menschenfeindlichen Ideologien.

Wo ist der Emile Zola, der den Gerüchten, Lügen und Angriffen gegen die Juden und Israel sein „J’accuse“ („Ich klage an“) entgegenschleudert? Dass die israelische Siedlungspolitik in der Westbank falsch ist, das weiß die Mehrheit im Land selbst; und es ringt um diese Ungerechtigkeit.

Aber Israel braucht eine verlässliche Lobby. Die UN sind es nicht. Da sind nur die USA, drei kleine osteuropäische Staaten und ein paar pazifische Inseln, die sich in der UN-Vollversammlung gegen einen fragwürdigen Beschluss gestemmt haben, der den Terror der Hamas verschwiegen und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt hat. Die EU ist es bestimmt auch nicht. Deutschland, der ewige Stimmenthalter und zweifelhafte Saubermann, ist es ebenso nicht. Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson ist eine Farce. Deutschland könnte sich ja nicht einmal selbst verteidigen, geschweige denn seine jüdische Bevölkerung. Es würde mich nicht wundern, wenn die Juden in Deutschland, Frankreich, Belgien usw. den Juden in Israel darin folgen, sich selbst zu bewaffnen. Das Wissen um die Bedeutung von Sicherheit ist Deutschland völlig abhanden gekommen. Und in der Gesellschaft grassiert die Überzeugung, dass der Holocaust ein übertriebener Glaubenssatz ist, ein hinderlicher Fetisch. Was also haben Juden in Deutschland zu erwarten?

Womit wir bei der Antwort auf die Ausgangsfrage wären. Sie lautet: Ja, selbstverständlich ja, die Juden und Israel müssen sich wehren, um überleben zu können. Und jeder sollte ihnen, wie er es vermag, verdammt noch mal dabei helfen.