Vor fünfzig Jahren landeten die Amerikaner auf dem Mond. Bald geht das Wettrennen in den Weltraum weiter.

Die Ansprache für den Fall, dass es schief gegangen wäre, lag schon vor. Präsident Nixon wäre 1969 vor die Fernsehkameras der amerikanischen Nation getreten und hätte gesagt: „Das Schicksal hat beschlossen, dass die Männer, die zum Mond gereist sind, um ihn friedlich zu erkunden, dort in Frieden ruhen werden. Diese tapferen Menschen, Neil Armstrong und Edwin Aldrin, wissen, dass es für sie keine Hoffnung auf Rettung gibt. Aber sie wissen auch, dass in ihrem Opfer eine Hoffnung für die Menschheit liegt.“ Die NASA rechnete damit, dass womöglich irgendein technischer Defekt das Mondlandemodul daran hindern würde, in die Mondumlaufbahn zurückzukehren – wo Michael Collins im Raumschiff „Columbia“ mutterseelenallein auf seine Kollegen wartete. Dann wären Armstrong und Aldrin auf der Mondoberfläche erstickt. Kurz vor dem Ende hätte die NASA den Kontakt mit den Todgeweihten abgebrochen. Auf dem Redemanuskript des Präsidenten stand: „Vor Ansprache mit zukünftigen Witwen telefonieren.“

Zum Glück ging alles gut an jenem Sonntag, dem 20. Juli 1969 um 20.17 Uhr Greenwich-Zeit. Neil Armstrong fand einen sicheren Landeplatz. Buzz Aldrin, der ein gläubiger Christ war, nahm das Abendmahl ein, das sein Pastor ihm eingepackt hatte. Die Männer ruhten sich aus. Sechseinhalb Stunden nach der Landung betrat das erste Mal ein Mensch einen fremden Himmelskörper und sprach die berühmten Worte von dem Riesensprung für die Menschheit. Und jeder, der dies damals – und sei es als Kind – am Fernsehschirm mitverfolgt hat, rechnete damit, dass nun ein neues Zeitalter der Entdeckungen begonnen hatte: dass er noch erleben würde, wie wir Kolonien auf dem Erdtrabanten errichten. Aber obwohl danach noch fünf Mal amerikanische Astronauten auf dem Mond landeten, wurde nichts daraus. Der ganz große, ganz kühne Aufbruch zu den Sternen fand nicht statt. Nur drei Jahre nach Armstrongs und Aldrins großem Abenteuer beendete die amerikanische Regierung das Apollo-Programm. Danach begann nicht etwa das Zeitalter der Weltraumentdeckungen, sondern die Explosion der Informationstechnologie: immer kleinere Computer, immer größere Rechenleistungen, das Universum in der Hosentasche jedes Smartphonebesitzers. Heute staunen wir, dass es den Astronauten vor fünfzig Jahren mit ihren vorsintflutlichen Rechenmaschinen gelang, ihr Ziel zu erreichen – noch das schäbigste iPhone kann mehr als die Computer der NASA, die ganze Häuser ausfüllten.

Es begann mit einem Schock

Nichts gegen Smartphones. Aber wer als Kind zum Mond aufschaute und ungläubig und ehrfurchtsvoll dachte: „Dort oben bewegen sich jetzt Menschen, Leute wie ich“, kann nicht umhin, von der Richtung, die der technische Fortschritt genommen hat, ein wenig enttäuscht zu sein. Gewiss, es ist der pure Blödsinn, zum Mond zu fliegen. Aber es ist ein erhabener Blödsinn. Und auf lange Sicht wird uns gar nichts anderes übrigbleiben, als das Sonnensystem in Besitz zu nehmen. Glücklicherweise gibt es Anzeichen, dass die 47 Jahre unserer Abwesenheit vom Mond nur eine kleine Pause waren: Längst hat ein neues Wettrennen im Weltraum begonnen.

Die Apollo-Missionen wurden nicht aus der reinen wissenschaftlichen Neugier geboren, sie waren Kinder des kalten Krieges. Als 1957 der erste Sputnik im Orbit um die Erde herumsauste, löste dies einen tiefen Schock aus. Dass die Sowjets so etwas konnten! Dass sie von nun an die militärischen Geheimnisse des Westens bequem aus dem Weltraum ausspionieren konnten! Sobald die ersten Piepstöne des künstlichen sowjetischen Satelliten zu vernehmen waren, schoss ein Adrenalinstoß durch den kollektiven Körper Amerikas. Genau einen solchen Adrenalinstoß wird auch hervorrufen, wenn die Chinesen eines schönen Tages verraten, dass sie einen bemannten Flug zum Mond planen. Am Anfang dieses Jahres ist ihnen mit der Mission „Chang’e 4“ schon etwas Historisches und Großartiges gelungen: Sie haben einen Satelliten auf der erdabgewandten Seite des Mondes landen lassen. Dass das chinesische Regime mit solchen Missionen keineswegs nur friedliche, sondern auch militärische Ziele verfolgt, ist ein offenes Geheimnis. Die Chinesen haben mit „Chang’e 4“ bewiesen, dass sie ihre ferngesteuerten Vehikel auf der gesamten Mondoberfläche manövrieren können. Sie erheben Anspruch auf einen Himmelskörper. In dem neuen Wettrennen im Kosmos haben die Chinesen die Nase vorn.

Unter Kommando des Militärs

Dieses Mal stehen sich freilich keine zwei feindlichen Machtblöcke gegenüber. Die Welt ist komplizierter geworden: Nicht nur die Amerikaner müssen sich von den Chinesen herausgefordert fühlen, sondern auch die Inder, die Israelis, die Russen und – last but not least – die Europäer. Noch etwas Zweites ist heute grundsätzlich anders als vor fünfzig Jahren. Es sind nicht mehr nur Nationalstaaten und Imperien, die über das technische Know-How für die Raumfahrt verfügen: Die leistungsfähigste Rakete der Welt (sie kann eine Last von 64 Tonnen in den Orbit befördern) wurde von der Firma des exzentrischen Multimilliardärs Elon Musk zusammengeschraubt. Wer sich ein Bild von dem kommenden Weltraum-Wettrennen machen will, sollte sich also weniger an Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem kalten Krieg, sondern eher an einen Farbfilm aus dem Jahr 1965 erinnern – Ken Annakins Klamauk-Komödie „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“. Die künftigen Astronauten werden Gefährte besteigen, die jeder Beschreibung spotten. Und anders als die Pioniere des Jahres 1969 werden sie keineswegs alle weiß und alle männlich sein. An der Eroberung des Weltraums werden sich Hindus, Juden, Muslime und Atheisten jeden Geschlechts und jeder Couleur beteiligen.

Allerdings heißt dies nicht, dass bald jene multiethnische Idylle ausbricht, von der uns die Science-Fiction-Serie „Raumschiff Enterprise“ erzählt. Astronomie und militärische Forschung waren schon immer eng miteinander verwoben, denken wir an Galileos verbessertes Teleskop, das der Republik Venedig dazu diente, feindliche Schiffe am Horizont aufzuspüren. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Der amerikanische Präsident hat verkündet, dass er eine Raumflotte zu gründen gedenkt. Der französische Präsident hat es ihm gleich getan. Der chinesische Polizeistaat muss dies gar nicht erst verkünden – dort versteht sich von selbst, dass alle Weltraummissionen unter dem Kommando des Militärs stehen. Wir werden unsere kleinlichen Streitereien nicht auf der Erde hinter uns zurücklassen, sondern sie mit uns ins All hinaustragen. Na und? Einen reinen Fortschritt hat es noch nie gegeben. Und besser einen unreinen als gar keinen Fortschritt. Ad astra!