Liebe Sozialdemokraten, was hat Euch nur so ruiniert?
Einst habt Ihr Eure Prinzipien hochgehalten, habt Ihr gegen das Unrecht in der Welt gekämpft. Heute macht Ihr Euch zum willigen Helfer von Gazprom und Rosneft, was ein Elend.
Dass sich die FDP immer stärker dem Kreml zuwendet, geschenkt. Am Ende ist es egal, weil man von dem Laden nichts anderes erwartet. Manche nennen sie die Umfallerpartei, was jedoch albern ist, impliziert es doch, dass die FDP jemals gestanden hätte. Was ein Unsinn, zeichnet sich die politische Heimat von Werner Naumann, Jürgen Möllemann und Wolfgang Kubicki doch seit Jahrzehnten durch Rückgratlosigkeit aus. Wer hingegen mal gestanden hat, wer mal den aufrechten Gang beherrscht hat, das wart Ihr, liebe Sozialdemokraten.
Im nächsten Jahr wird Jubiläum gefeiert, dann jährt sich die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland zum hundertsten Mal. Und nach all der Zeit verblasst die Erinnerung. Wer war es denn, der das in den Anfängen der Weimarer Republik durchgesetzt hatte? Richtig, das wart Ihr, die deutsche Sozialdemokratie. Und, warum? Weil es das Richtige war. Weil es seit dem Erfurter Programm von 1891 eine Eurer Kernforderungen war. Weil Ihr Euch mit dem Unrecht nicht abfinden wolltet, habt Ihr für etwas gekämpft, was uns heute selbstverständlich ist. Verdammt, Ihr könnt stolz drauf sein, Ihr wart mal die große emanzipatorische Kraft. Heute dagegen biedert Ihr Euch dem Hort der Reaktion an, Russland.
Oder damals, als in den Anfängen der Bundesrepublik die Todesstrafe abgeschafft wurde. Andere hatten dabei durchaus schmuddelige Motive (es sorgten sich gar viele Deutsche um zum Tode verurteilte Naziverbrecher), Ihr hingegen seid einfach nur Euch und Euren Werten treu geblieben. Stand die Abschaffung der Todesstrafe doch ebenfalls schon im Erfurter Programm von 1891. Ihr habt jahrzehntelang für die Abschaffung gekämpft, habt jahrzehntelang Eure Prinzipien hochgehalten, um schließlich, als sich die Möglichkeit ergab, der staatlichen Hinrichtungspraxis endlich ein verdientes Ende zu bereiten. Heute gebt Ihr Euch bei einem Regime die Klinke in die Hand, das Journalisten liquidiert.
Obwohl sonst dem verunglückten Denken durchaus nicht abgeneigt, schaffen es ausgerechnet die Grünen, bei Russland sauber zu bleiben. Sind sie es doch, die sich konsequent für die Verfolgten und Bedrängten des Putin-Regimes einsetzen. Denen im Gegensatz zu Euch Memoria, Memorial Komi oder Perm-36 etwas sagen, die bei dem mittlerweile allgegenwärtigen „Die Gesprächskanäle mit Russland offen halten“ zuallererst an die Oppositionellen denken. Aber für Euch ist Russland der Kreml, Eure bevorzugten Gesprächspartner sind Sergej Lawrow und Alexej Miller; die Kanäle, die Ihr offen haltet, sind die Pipelines, durch die das russische Gas nach Deutschland strömt.
Otto Wels hatte Anstand, Ihr habt Gerhard Schröder.
Gerhard Schröder hat das geschafft, wovon so manche „Schlecker-Frau“ nur träumen kann, am 22. November 2005 wurde Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt, am 9. Dezember 2005 gab Alexej Miller die Verpflichtung Schröders für Gazproms Nord-Stream-Projekt bekannt. So schnell findet findet kaum ein normaler Arbeitnehmer eine Anschlussverwendung, aber vermutlich war es einfach hilfreich, dass die an Nord Stream beteiligten Unternehmen die Grundsatzvereinbarungen erst am 8. September 2005 in Anwesenheit von Schröder und Putin unterschrieben hatten. Ein fliegender Wechsel vom Kanzleramt zu einem Projekt, das er als Kanzler selbst vorangetrieben hat; durchaus beeindruckend, zumindest, wenn der Kontostand das Einzige ist, was einen umtreibt.
Aber Euer ehemaliger Parteivorsitzender war wohl jeden Rubel wert, anders lässt es sich kaum erklären, dass Rosneft ihm jetzt auch noch einen lukrativen Nebenjob angeboten hat. Die „Bild“ legt nahe, dass er dort ein Jahresgehalt von bis zu sechs Millionen Euro erzielen könnte, was von Schröder umgehend dementiert wurde, das Salär würde sich angeblich auf weniger als ein Zehntel der kolportierten Summe belaufen. Bei den „Schlecker-Frauen“ betrug der Verdienst zwar weniger als zwei Hundertstel (Vollzeit), aber was soll’s, der Mensch lebt nicht vom Brot allein, manchmal muss es eben auch mal russischer Kaviar sein.
Im Wahlkampf bringt Euer neuer Parteivorsitzender Martin Schulz Tweets wie „15 Jahre nach G. Schröders Nein zum Irakkrieg steht unser Land vor Richtungsentscheidung. CDU & CSU setzen auf Aufrüstung, wir auf Abrüstung“, womit er sogar einen Treffer landet. Kriegsgerät ist teuer, sehr teuer, das viele schöne Geld ist womöglich im Bildungsbereich besser aufgehoben. Noch teurer als Kriegsgerät sind nur Kriegseinsätze, da werden die Milliarden nur so verbrannt. Und jetzt zählt doch bitte mal eins und eins zusammen, liebe Sozialdemokraten, womit finanziert Schröders Männerfreund Putin wohl den Krieg in Syrien und in der Ukraine?
Richtig, mit Eurem Steckenpferd, dem russischen Gasexport.
Damals, vor fünfzehn Jahren, habt Ihr noch „Kein Blut für Öl“ gerufen, jetzt habt Ihr kein Problem damit, dass das Gas, das aus Nord Stream strömt, auch mit syrischem und ukrainischem Blut erkauft wird. Stattdessen jubelt Ihr Pseudo-Pazifisten auf Eurem Wahlparteitag dem Nord-Stream-Mann Schröder zu, als sei er ein zweiter Willy Brandt. Von zerbombten Krankenhäusern in Aleppo, russischen Mehrfachraketenwerfern in der Ukraine und abgeschossenen Passagierflugzeugen lasst Ihr Euch doch nicht Eure Parteitagsstimmung versauen, für Schröder gab es am Ende sogar Standing Ovations.
Schlimmer noch, Eure Großkopferten setzen alles daran, den russischen Gasexport nach Deutschland auszuweiten. Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel und Martin Schulz führen sich auf, als sei Nord Stream 2 das neue sozialdemokratische Kernanliegen, als würde die deutsche Arbeitnehmerschaft ohne zusätzliches russisches Gas den Weihnachtsabend in unbeheizten Wohnungen verbringen. Und das ohne Rücksicht auf Verluste. Nicht nur nehmen Eure Gazprom-Freunde in der Partei schulterzuckend eine sich verschärfende Energieabhängigkeit von Russland in Kauf, sondern betreiben dabei gleichzeitig eine Politik, die gegen die Interessen der osteuropäischen Staaten gerichtet ist. Letztere sollen sich doch gefälligst nicht so haben.
Was haben wir alle über Gerhard Schröders Geografiekenntnisse gelacht, als Euer ehemaliger Parteivorsitzender auf dem Wahlparteitag von „unserem großen Nachbarn Russland“ geredet hat. Leider hat der bekennende Biertrinker jedoch einen Punkt, für Euch Sozialdemokraten sind die osteuropäischen Länder nur noch Beiwerk, echte Politik wird von den alten Großmächten Deutschland und Russland gemacht. Was eine geschichtsvergessene Einstellung für die Partei Willy Brandts, waren es doch erst deutsche Panzer, dann sowjetische Panzer, die über diese Länder gerollt sind, um erst der Nazi-Barbarei, dann der jahrzehntelangen Sowjet-Herrschaft den Weg zu ebnen. Bei manchen Ländern waren es sogar erst die sowjetischen Panzer, dann die deutschen, dann wieder die sowjetischen, aber das könnt Ihr gerne im Geschichtsbuch nachlesen, liebe Sozialdemokraten.
Apropos Geschichte, Eure hässliche Schwester, die KPD, hat sich 1932 nicht einmal mehr dafür geschämt, gemeinsam mit der NSDAP die Berliner Verkehrsbetriebe zu bestreiken. Euch, liebe Sozialdemokraten, wäre das niemals passiert, seid Ihr doch immer sauber geblieben, was die braune Brut betrifft. Ja, Euch sind in der Weimarer Republik strategische Fehler unterlaufen, aber Ihr wart immer die Guten, Ihr wart die, die für Nazis nur Abscheu und Verachtung übriggehabt haben. Eine Abneigung auf Gegenseitigkeit, auf die Ihr wahrlich stolz sein könnt, das kann Euch niemand mehr nehmen.
Auch heute noch ist Euch der Kampf gegen Rechts eine Herzensangelegenheit, keine Frage. Nur wie kriegt Ihr das damit zusammen, dass der Kreml der große Patron aller Viertel-, Halb- und Vollnazis ist, von der FPÖ bis zum Front National? Ein Patron, der bei knappen Kassen einspringt, der bei der internationalen Vernetzung hilft, der seine Troll- und Bot-Armeen für die braune Sache einsetzt, der sein schrilles Medienimperium dazu nutzt, um Verschwörungstheorien und „alternative Fakten“ in die Welt zu setzen, der zur Unterminierung demokratischer Prozesse hacken und leaken lässt, als würde es kein Morgen geben. Ein Patron, der keinen Aufwand scheut, wenn es den Feinden der Demokratie nützt, der seine enormen Ressourcen schamlos den rechten Schmuddelkindern zur Verfügung stellt. Andererseits kann er sich’s natürlich auch leisten, denn mit Eurem Gas-Fimmel sorgt Ihr bei ihm schließlich fürs notwendige Kleingeld.
Liebe Sozialdemokraten, ich mag Euch einfach nicht mehr so.