Als wäre der Eiertanz der Grünen ums Impfen nicht schon unappetitlich, greift die Nach-Merkel-CDU zu Methoden, die man eigentlich bei einer ganz anderen Partei erwarten würde.

Die Position der Grünen zum Impfen lässt sich relativ einfach herleiten. Die Grünen sind nicht dumm, sie wissen, dass das Impfen bei vielen Krankheiten sinnvoll ist – und sie wollen auch nicht als Aluhut-Impfgegner dastehen. Die Grünen sind sich jedoch auch bewusst, dass in dem urbanen, gebildeten Milieu, das die Grünen wählt, das verunglückte Denken besonders angesagt ist und es entsprechend überdurchschnittlich viele Impfgegner gibt. Um die eigenen Wähler nicht zu vergrätzen, führen die Grünen deshalb beim Impfen seit Jahren einen Spagat auf. Der zurechnungsfähige Teil der eigenen Wählerbasis wird bei Laune gehalten, indem die Grünen immer wieder betonen, wie sinnvoll das Impfen ist; der unzurechnungsfähige Teil der Wählerbasis wird dadurch beruhigt, dass sich die Partei im gleichen Atemzug gegen eine Impfpflicht ausspricht. Impfen ja, Impfpflicht nein.

Das mag man als opportunistisch empfinden (ist es), aber die Grünen verbreiten diese Position seit Jahren, die Spitzenpolitiker der Grünen können diese Position zum Impfen und zur Impfpflicht vermutlich sogar im Schlaf aufsagen.

Diskreditieren

Obwohl diese Position der Grünen eigentlich allen politisch interessierten Zeitgenossen bekannt sein dürfte, behauptet Nico Lange, immerhin der wohl engste und wichtigste Berater der neuen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und gleichzeitig Stellvertretender Bundesgeschäftsführer der CDU, auf Twitter das glatte Gegenteil: „2015 waren die Grünen noch für #Impfpflicht, 2019 haben sie der Anti-Impf-Ideologie nachgegeben und wollen Kinder nicht mehr gegen #Masern impfen.“ Mehr noch, er unterfüttert seine Behauptung mit zwei Screenshots von Texten, die von 2015 und 2019 stammen.

Bei der Behauptung handelt es sich um einen klassischen Menasse, sie entspricht nicht der Wirklichkeit, sondern ist ein Phantasieprodukt, das sich aber gut verkaufen lässt. Und das doppelt, weder stimmt der erste Teil des Satzes, noch der zweite. Die Grünen waren 2015 nicht (!) für eine Impfpflicht, noch wollen sie 2019 ihre Kinder nicht (!) impfen. Nico Langes Behauptung ist an den Haaren herbeigezogen.

Und das zeigt sich an den Screenshots – beziehungsweise an den Textstellen, die (warum wohl nur?) nicht auf den Screenshots zu sehen sind. Um seine Aussage zu 2015 („2015 waren die Grünen noch für #Impfpflicht“) zu unterfüttern, wählt Nico Lange diesen Screenshot eines Textes der Grünen:

Macht man sich jedoch die Mühe und sucht sich den ganzen Text zu dem Screenshot von 2015 heraus (Nico Lange hat, warum wohl nur?, keinen Link zum ganzen Text gepostet), dann findet man nämlich folgenden Absatz, der Langes Behauptung Lügen straft:

Wir haben in Deutschland aus guten Gründen keine Impfpflicht. Impfungen sind stets mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden, zu deren Inkaufnahme niemand gezwungen werden kann. Deshalb muss hier das Selbstbestimmungsrecht Vorrang haben. Eine umfassende Beratung ist aber notwendig und kann Eltern die schwierige und verantwortungsvolle Entscheidung erleichtern.

Macht man sich dann noch die Mühe und sucht sich den ganzen Text zu dem Screenshot von 2019 heraus, dann wiederholt sich das Spiel, wieder straft ein Absatz im Text, der sich auf dem Screenshot nicht findet (warum wohl nur?) Langes Behauptung („… und wollen Kinder nicht mehr gegen #Masern impfen“) Lügen.

Denn in dem Text, der aus der FAZ stammt, finden sich folgende Zeilen:

Die Grünen im Bundestag gehen auf Distanz zu Forderungen aus der SPD, die Impfung von Kindern gegen Masern zur Pflicht machen. Statt auf Zwang und Sanktionen müsse man das Vertrauen in eine gute Beratung stärken und auf herrschende Verunsicherungen eingehen, sagte die Grünen-Gesundheitsexpertin Kordula Schulz-Asche den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). „Dazu brauchen wir eine Aufwertung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und bessere personelle Ausstattung.“ Schulz-Asche betonte zugleich, Impfen sei ein Akt gesellschaftlicher Solidarität. „Je mehr Menschen geimpft sind, desto größer ist der Schutz für die Bevölkerung, auch gerade für diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können.“

Nico Lange unterfüttert seine inhaltlich falschen Aussagen über die Grünen also mit Screenshots, die so gewählt sind, dass sie die relevanten Textinhalte nicht wiedergeben, sondern das glatte Gegenteil suggerieren.

Jetzt mag man für den Rechtsschwenk der Nach-Merkel-CDU (bei der Nico Lange ein entscheidender Protagonist ist) sicherlich mehre gute Gründe benennen können, etwa das gezielte Abgraben der AfD-Wählerbasis, indem man sich inhaltlich weiter rechts aufstellt. Was Nico Lange hier jedoch macht, ist keine inhaltliche Neuausrichtung in bestimmten Themengebieten, sondern eine Übernahme der Methoden der AfD; der politische Gegner (hier: Die Grünen) wird diskreditiert, indem Unwahrheiten über ihn verbreitet werden – und das auch noch mit irreführenden Screenshots.

Und wenn das kein einzelner Ausrutscher der Nach-Merkel-CDU bleibt, sondern zum neuen Mittel der Partei bei der politischen Auseinandersetzung wird, dann wähle ich lieber die SPD. Die sind zwar dumm, aber wenigstens ehrlich.