Unser Autor Andreas Öhler hat neulich an dieser Stelle eine Tirade gegen die Millennials veröffentlicht. Viele Leser und unsere Autorin Judith Sevinç Basad machte das Stück wütend. Hier ist ihre Erwiderung.

…es gibt dieses Bild von den Millennials, wie es in Ihrem Text gezeichnet wird: Eine unpolitische Masse von BWL-Studenten, die sich nur noch für ihre Karriere und ihr Smartphone interessiert und den kritischen Geist verloren hat. Millennials, so schreiben Sie, seien vom „neoliberalen Denken“ gesteuerte Zombies, die „weder nach links noch nach rechts gucken, während sie sich ihren Energieriegel reinschieben“.

Ich bin ein typisches Millennial und ich habe einen anderen Eindruck. Meine Generation ist eine Kämpfer-Generation. Viele meiner Kommilitonen waren Arbeiterkinder, die sich mit Bafög und zwei Nebenjobs über tausend unbezahlte Praktika bis zum Philosophie-Master und der Festanstellung im Verlag gekämpft haben. Nebenbei haben wir gegen Bologna protestiert, Hörsäle besetzt, Flyer verteilt und von der Revolution geträumt. Wir haben Philosophie, Genderstudies und „Vergleichende Literatur und Kunstwissenschaften“ studiert – wir waren super unangepasst. Wieso behaupten Sie das Gegenteil, Herr Öhler?

Natürlich gab es auch die unpolitischen BWL und Jura-Studenten. Das waren nicht selten Kinder von Einwanderungsfamilien, die in krasser Armut aufgewachsen sind und es einfach besser haben wollten als ihre Eltern. Ich weiß nicht, was so verwerflich daran ist, sich deswegen ans „neoliberale“ System anzupassen.

Die Millennials sind bekanntlich Menschen, denen alle Türen offen stehen: Sie überspringen soziale Schichten, finden sich auf einem hochprofessionalisierten Markt zurecht und sind dabei politisch so divers unterwegs, dass man sie unmöglich über einen Kamm scheren kann. Ein Generationentrend bestimmt doch nicht die politische Orientierung. Kategorien wie „links“, „rechts“ und „konservativ“ waren schon immer da und sie sind es auch jetzt bei den Millennials.

Aber ich weiß schon, Kollege Öhler, was Sie meinen: Es ist diese politische Haltung, die Sie vermissen, zu wenig Protest, zu sehr angepasst, nicht so wie auf dem Woodstock-Festival damals oder bei der 68er-Hörsaalbesetzung, als die Kommilitonin ihren BH verbrannt hat. Auch das ist nicht wahr. Die Jugend von heute protestiert genauso wie die ältere Generation aber sie macht es eben anders: Übers Netz zum Beispiel, über Hashtags, Blogs und Social Media und wenn das nicht reicht, geht sie sogar wie „in den guten alten Zeiten“ auf die Straße und fordern mehr Klimaschutz. Denn: Umweltpolitik ist der neue Klassenkampf. Eigentlich hat sich doch gar nichts verändert: Die Utopie findet jetzt einfach im Hambacher Forst statt.

Einfach nur reaktionär

Aber nein! Diese Millennials! Die haben nicht nur keine Ahnung, sie haben auch keinen Geschmack! „Deren gestreamte Plastik-Musik ist nur ein schlechter Abklatsch meiner Rolling-Stones-Platten“, nörgelt der Babyboomer. Der Glaube an „das eine wahre Kulturgut“, das sich nur in der Vergangenheit, nein: in MEINER Vergangenheit, genauer: in MEINER Jugend befindet, ist ganz einfach super reaktionär. Irgendwann merkt man doch, dass die emotionalen Hochphasen, die man damals auf Konzerten seiner Lieblingsband gefeiert hat, niemanden mehr interessieren.

Ein Beispiel: Einmal stürmte auf einer Geburtstagsparty ein Pulk 20-jähriger Mädchen meinen Spotify-Account und verspottete meine Gorillaz-Playlist. Natürlich, erster Reflex: «Die haben ja keine Ahnung!» Irgendwann kam dann aber der Moment, an dem ich mir eingestehen musste, dass tatsächlich niemand mehr Damon Albarn hört, außer mein 14-jähriges Ich und ein paar andere hängengebliebene Ü-30er. Und das ist erst der Anfang. In 20 Jahren wird Britpop so out sein, wie die Musik der Babyboomer, denen am Samstagabend bei Hitradio Antenne 1 das Herz auf geht. Diese Erkenntnis ist bitter. Aber am eigenem Losertum sind nicht die Jungen schuld.

Und überhaupt: Dieses Millennial-Bashing erinnert mich an die Reden von Franz Josef Strauß, in denen er über lange Haare und Popmusik schimpft, weil er glaubt, er habe es mit einer kommunistischen Umwälzung zu tun. Oder an das Bellen meiner oberfränkischen Gymnasiallehrer, die ihre Schüler – wie in einem deutschen Heimatfilm – als „elendige Saubande“ oder „Lausbuben“ beschimpften. Die Hierarchien sind hier klar verteilt: Die Jungen haben keine Ahnung, weil sie jung sind. Und die Alten haben recht, weil sie alt sind. 

Autoritärer geht es eigentlich nicht mehr. Ich finde so eine Haltung fürchterlich. 

Die Jungen sind die Zukunft, sie werden sich um uns kümmern, wenn wir alt sind. Man sollte sie nicht so fertig machen, bloß weil man selbst nicht mehr hinterherkommt.

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