Café Endzeit
Schulkinder ziehen mit apokalyptischen Klima-Visionen durch die Straßen. Journalisten und Aktivisten sind sich einig, dass nur eine Öko-Diktatur uns noch rettet. Wer sich ans 20. Jahrhundert erinnern kann, dem kommt das ziemlich bekannt vor.
Vorbemerkung: 1995 schrieb ich über Endzeitpropheten und die Sehnsucht nach einer Öko-Diktatur – nicht ahnend, dass ein Vierteljahrhundert später die gleichen totalitären Utopien wieder in Mode sein werden. Einziger Unterschied: Es diente weniger der Klimawandel als Begründung, sondern die damals populäreren Themen Ozonloch, Waldsterben und die Risiken der Kernkraft. Der Text erschien im Buch „Öko-Optimismus“ von Dirk Maxeiner und mir (hier leicht gekürzt).
Müttergespräch auf einem Spielplatz in München Schwabing: „Ozon, Atom, Kälbermasthormon!“ Das Wortstakkato der jungen Frau bündelt alle Übel der Welt. Ihre Zuhörerin nickt betroffen. Schnell sind sich die beiden einig: Schwabing und der Rest der Welt stehen vor dem Untergang. Man sollte seine Lieben in diesen letzten Tagen möglichst noch vollwertig vegetarisch ernähren und sich ansonsten auf das Ende einstellen.
Die Spielplatzmütter können sich auf seriöse Quellen berufen. Zum Beispiel auf die „Frankfurter Rundschau“, welche in ihrer Ausgabe vom 18.12.95 die Zukunft folgendermaßen beschreibt:
„Weite Teile der Erde sind versteppt, einstige Küstenlandschaften und Inseln sind überflutet, besiegt geglaubt Seuchenkrankheiten kehren zurück.“
Auch ein Blick in die Frauenillustrierte „Amica“ würde die beiden kaum aufmuntern. Unter dem Titel „Wo Öl und Jauche fließen“ zieht das Modeblatt Bilanz:„Zigtausende von kleinen Umweltkatastrophen verderben die Heimat von Millionen – alltäglich und flächendeckend…Im Lärm-Land, im Gülle-Land, wo die Allergene fliegen, wo das Wasser nicht mehr trinkbar ist, und weiter: im Abfall-Land, im Kohle-Land. Millionen leben in diesen Problemländern, mitten in Deutschland. Weiter wären nennenswert: Elektro-Smog, Ozon-Smog, Dioxin. So muss man sie sich vorstellen: die belastete Republik.“
Wenn man sich die Bundesrepublik wirklich so vorstellt, erscheint der Weltuntergang nur noch als humane Sterbehilfe. Die jungen Amica-Leserinnen können im Grunde froh sein, dass ihre alltäglichen Höllenqualen ein Ende finden.
Ein Wissenschaftlerteam der US-Zeitschrift „Sience“ legte bereits in den 60er-Jahren das Datum des Weltuntergangs fest: Natürlich wird es der 13. und ein Freitag sein, und zwar im November 2026. Bis dahin haben Umweltschmutz und Bevölkerungswachstum den Planeten endgültig vernichtet, so die Verfasser jener speziellen Doomsday-Ausgabe. Charles Taze Russel, Gründer der Zeugen Jehovas, war immerhin so vorsichtig, sich nicht auf den Tag, sondern nur auf das Jahr festzulegen. Er las aus der Bibel, dass die Menschheit 1914 untergehen werde, was sie aber bekanntermaßen nur teilweise befolgte. Die christliche Sekte setzte daraufhin immer neu Weltuntergangstermine. War der ein vorüber, wurde der nächste verkündet. Auch Martin Luther verrechnete sich im Datum. Er kündigte das Ende gleich zweimal an. Zunächst für den Sommer 1541, und als dieser ohne jüngstes Gericht verstrichen war, für Mitte des 17. Jahrhunderts. Von der Spätantike bis in die Neuzeit deuteten Christen verschiedenster Glaubensrichtungen jede größere Naturkatastrophe, jede Hungersnot und Epidemie als Vorzeichen, dass bald endgültig Schluss mit allem sei.
Apokalyptiker der 70er- und frühen 80er-Jahre prophezeiten den großen Knall bevorzugt für die Jahrtausendwende. Bis dahin sollten sich alle Umweltprobleme zum großen Finale angestaut haben. Jimmy Carters Expertenstudie „Global 2000“ verlieh der Zahlenmystik ein amtliches Gütesiegel.
Am Ende kommt es dick
Ob jüngstes Gericht oder Endkampf von Gut und Böse: Am Schluss kommt immer die große Strafe. Oft genügen schon geringste Vergehen, um den Zorn der Höchsten zu entfachen. Im viertausend Jahre alten Gilgamesch-Epos der Sumerer setzten die Götter die Welt nur deshalb unter Wasser, weil die Menschen ein wenig zu laut waren. Um 1520 konnten Lesekundige in deutschen Landen unter fast 150 Endzeit-Pamphleten wählen. In einem Punkt bestand Einigkeit: Die nächste Sintflut kommt bestimmt. Zweifel herrschte lediglich darüber, warum Gott die Menschheit abstrafen wollte: War es das ketzerische Treiben der Reformatoren? Die Dekadenz des Papstes? Die Lasterhaftigkeit der Menschen? Sollte man beten, Buße tun, Boote bauen oder alle Hoffnung fahren lassen? Darüber stritten die Autoren heftig.
Wer sich heute auf die Endzeit einstellen will, findet ein aktualisiertes Angebot vor. Spitzenreiter in den Weltuntergangs-Charts ist eindeutig die Umweltapokalypse. Zwar existieren nebenher noch ein paar altertümliche Varianten, die das Ende etwa durch Werteverfall, Krieg oder Kriminalität erwarten. Doch der ökologische Global-GAU lässt alle anderen Szenarien wie einen gemütlichen Ausklang des Erdenlebens erscheinen. Fraglich ist nur, welches Umweltdesaster zuerst über uns kommen wird. Stirbt erst der Wald und dann der Mensch, oder umgekehrt? Rafft die Chlorchemie alle dahin oder verdorrt die Welt unter den gleißenden UV-Strahlen aus dem Ozonloch? Das ökologisch-fundamentalistische Weltbild offeriert einen bunten Strauß passender Untergangs-Accessoires.
Nur pathologische Schönfärber räumen ein, dass die Umweltpolitik durchaus einige Erfolge vorweisen kann: Die Antarktis steht unter Naturschutz. Der Walfang ist so gut wie abgeschafft. Die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf wurde nicht gebaut, die Stadt Kalkar bekommt einen Vergnügungspark statt eines Schnellen Brüters. Fabrikschlote sind gefiltert, Flüsse sauberer, Biber, Uhu, Luchs und Lachs wieder zurückgekehrt. Eigentlich eine ganz passable Bilanz. Doch echte Apokalyptiker lassen sich durch keinen Silberstreifen am Horizont beirren.
„Die endgültige Weltkatastrophe“
Je älter sie sind, desto düsterer ihr Endzeitgeraune. Im Herbst des Lebens hat der Gedanke an Weltuntergang etwas trotziges: Ohne mich läuft nichts! „Zu spät, ich sehe keine Hoffnung mehr,“ konstatierte der Verhaltenspsychologe Skinner als er 77 war. Der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm war im Alter überzeugt, dass „die endgültige Weltkatastrophe eine rationale und wissenschaftlich fundierte Vision“ sei. Herbert Gruhl, Mitbegründer der Grünen, umriss die Lage der Umwelt kurz vor seinem Tod mit den Worten: „Der Patient stirbt, deshalb braucht man auch keine Therapie mehr.“ Sein letztes Buch nannte er „Himmelfahrt ins Nichts“. Endzeitprophet Rudolf Bahro raunt von der drohenden „Selbstausrottung“. Horst Stern, der Pionier des deutschen Umweltjournalismus hofft nur noch auf eine „Vielzahl flächendeckender Kleinkatastrophen“, welche die Menschheit zur Umkehr bewegen könnten.
Warum ist eine Bewegung vom Untergang fasziniert, die in nur 25 Jahren die Meinungsführerschaft erobert, reihenweise technische Großprojekte abwürgt, Gesetzgeber erfolgreich unter Druck setzt, Weltkonzerne wie „Shell“ in die Knie zwingt und mit zweistelligen Wahlergebnissen in die Parlamente einzieht? Wie, so fragt man sich, stellen sich die grauhaarigen Grünen eigentlich gesellschaftlichen Wandel vor?
Veränderungsprozesse in offenen Gesellschaften sind zäh und ziemlich unromantisch. Doch alle großen Reformen, alle sozialen Fortschritte, gingen von Menschen aus, die an ein besseres Morgen glaubten und nicht an den bevorstehenden Weltuntergang. Die zornigen alten Männer schulden den Jüngeren eine Antwort, wie denn ökologischer Umbau im Eilverfahren zu erreichen sei. Ihr Jammergesang nützt niemandem – am wenigsten der Umwelt. Wenn wirklich schon alles zu spät ist, wäre jedes Engagement überflüssig.
Kurt Tucholsky schrieb über männliche Eitelkeit:
„Wenn ein Mann weiß, dass die Epoche seiner stärksten Potenz nicht zugleich die ausschlaggebende Epoche der Weltgeschichte ist, dann ist das schon sehr viel.“
Angesichts der wortgewaltigen Altersapokalyptiker möchte man ergänzen: Ein Mann sollte eigentlich auch wissen, dass sein eigener Lebensabend nicht unbedingt mit dem Weltuntergang identisch ist.
Der eitle Pessimismus der Greise hat einen schwarzseherischen Schick hervorgebracht, der mittlerweile zur intellektuellen Grundausstattung gehört. Tübinger Kulturwissenschaftler sammeln bereits Endzeitszenarien aus dem Volke. Schon den Jüngsten wird ihr natürlicher Optimismus aberzogen. Die Journalistinnen Christiane Grefe und Ilona Jerger befragten Kinder und hörten Sätze, die die grassierende Öko-Panik beklemmend wiedergeben. „Bald gibt es keine Bäume mehr und wir müssen alle sterben“, gab eine Dreizehnjährige zu Protokoll. „Im Jahr 2000 gibt es kein Wasser mehr und nicht mehr genug Sauerstoff,“ diktierte der kleine Andreas aus München. Der elfjährige Clemens ist sich sicher: „Wenn ich groß bin, gibt es kein einziges grünes Fleckchen mehr. Da tät ich lieber tot sein.“
Apokalyptischer Konsens
Unsere Nachbarvölker beobachten mit Staunen, dass die wegen ihres Wohlstandes beneideten Deutschen sich ständig am Rande des Weltuntergangs wähnen. Sie schütteln den Kopf und bereichern ihre Sprachen mit Germanismen wie „l´angst“, „el waldsterben“ oder „the weltschmerz“. Die Apokalypse sei, so der französische Anthropologe Pierre-Yves Gaudard, „ein immer wiederkehrendes Thema germanischer Kultur“. „Wer in Deutschland nicht sorgenvoll und gedankenschwer düster schreibt“, so der Brite John Ardagh in seinem Buch „Germany and the Germans“, „hat keine Chance als seriöser Schriftsteller und Denker ernstgenommen zu werden.“ Vielleicht hatte er dabei Deutschlands Großschriftsteller Günter Grass im Sinn, der das Ende des Waldes bereits literarisch besiegelt hat und eine Zukunft prophezeit, wo nur noch „großräumige Parkplätze, vielstöckige Kaufhäuser und Müllhalden am Rand der Städte zum Verlaufen einladen.“
Wer den apokalyptischen Konsens der Intellektuellen nicht teilt, wird sofort abgestraft. So einer kann nur naiv sein, oder ein bezahlter Schönredner, der im Solde finsterer Mächte die Wahrheit leugnet. Der 25jährige Schriftsteller Marko Martin weigerte sich in einem „Wochenpost“-Gespräch, die Untergangsdoktrin nachzubeten. Er sagte: „Den Problemen hier kann man sich doch auch ohne dieses apokalyptische Vokabular zuwenden. Indem man nach Lösungen sucht. Und wenn man die nicht beim ersten mal schafft, sucht man eben weiter, oder?“ Doch der Alt-Intellektuelle Ekkehart Krippendorff zeigte dem jungen Autor sofort, wo der Hammer hängt: „Wer nicht leidet an dieser Gesellschaft, der kann mir gestohlen bleiben.“ Offenbar ist dieses schreckliche Leiden unter Inhabern von Professorenstellen und in den Chefetagen von Verlagshäusern und Theatern besonders schmerzhaft. Die verbeamtete Intelligenz sitzt im Café Endzeit und kriegt wohlige Schauer beim Gedanken an den dräuenden Untergang.
Einige intellektuelle Vordenker bieten Lösungen auch für renitente Optimisten an. Wer nicht hören will, der braucht offenbar ein wenig wohlmeinende Erziehungsdiktatur. Der prominente DDR-Dissident und Bündnis-90-Sprecher Jens Reich wünscht sich einen mächtigen „Ökorat“, der ohne Rücksicht auf das „Legislaturperioden-Gewusel“ und die „impotenten politischen Strukturen“ seine Entscheidungen zum Wohle aller trifft, denn der Welt drohe „ein schlagartiger Kollaps“.
Luise Rinser ist ein Musterbeispiel dafür, was die Autoren Richard Herzinger und Hannes Stein in ihrem Buch Endzeit-Propheten als „Totalitarismus in grün“ beschreiben. Das große Idol der katholischen Schriftstellerin ist Kim Il Sung, der stalinistische Diktator Nordkoreas. Sie empfiehlt: „Ein halbes Jahrhundert Erziehung des nordkoreanischen Volkes müsste ein international wirksames Beispiel sein.“ Sie fragt sich besorgt: „Wie bringt man dem pervertierten Westen eine gesunde Moral bei?“ und ist bekümmert darüber, dass „…in den westlichen Parlamenten sehr viel Zeit, Kraft und Volksvermögen vergeudet“ wird. Eine Sorge, die offenbar auch den grünen Hausphilosophen Hans Jonas plagte. Er war sich sicher, dass Demokratie „auf die Dauer nicht die geeignete Regierungsform ist“. Dann doch lieber eine deftige Diktatur, wie sie dem Philosoph Wolfgang Harich vorschwebt. Er ist davon überzeugt, dass die dummen Menschen zum grünen Glück gezwungen werden müssen und wünscht sich eine Weltregierung, die „selbst vor Umsiedlung großer Menschenmassen nicht zurückschreckt.“ Gunnar Sohn, Autor des Buches „Die Ökopharisäer“, schreibt über diese beiden Fälle:
„Der ökologische Kahlschlag, der seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in allen Ländern des ehemaligen Ostblocks zu besichtigen ist, beweist die Heuchelei der Ökopharisäer Harich und Jonas. Die Zerstörung von Umwelt und Natur gedeiht vor allem unter diktatorischen Verhältnissen.“
Die Ideen des Hardliners Harich verdünnt Fernsehprediger Franz Alt zur gefälligeren Light-Version. Er fordert den „Gegenentwurf zum real existierenden westlichen System“, das „psychisch kränker als frühere Gesellschaften“ sei. Diesen Gegenentwurf könnte sich der fromme Christ etwa in Form einer „ökologischen Weltrevolution“ vorstellen. Kim Il Sung lässt grüßen. Franz Alt wäre ein prima Kandidat der Grünen zur nächsten Wahl des Bundespräsidenten. Beim letzten Mal war es Jens Reich und davor Luise Rinser.
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