Von der kritischen Öffentlichkeit unbemerkt, hat die Bundesregierung in der Forschungspolitik eine Bankrotterklärung abgegeben. Statt Fachwissenschaftler um die Evaluierung einer Technologie zu bitten, nimmt sie ein Beraterkonsortium unter Vertrag, das dafür bekannt ist, die Technologie in Bausch und Bogen abzulehnen.

Man stelle sich für einen Moment das folgende Szenario vor: Das Bundesgesundheitsministerium richtet eine Fachstelle für Impfen und Gesundheit ein, die die „aktuelle wissenschaftliche und regulatorische Entwicklungen“ auf dem Gebiet des Impfens beobachten und bewerten soll. Die Fachstelle solle „wissenschaftlich und unabhängig von Anwendern“ des Impfens arbeiten. Ihr Schwerpunkt werde in einer Analyse der Themen aus der Perspektive des „vorsorgenden Schutzes“ für Gesundheit und Kinder liegen. „Sie dient damit als eine Art ‚Clearing-House‘, eine von der Industrie unabhängige Fachstelle.“

„Entsprechend aufbereitete Informationen“, hieße es aus dem Ministerium, „werden, unter anderem in Form von Factsheets, dem öffentlichen Diskurs zur Verfügung gestellt.“ Die Themenauswahl steuert ein Beirat, dem „zivilgesellschaftliche Organisationen“ angehören. „Eine Einflussnahme von Akteuren, die ein wirtschaftliches Interesse an der Verwertung der Technologien haben, wird auf diese Weise ausgeschlossen“, heißt es in der Selbstbeschreibung der Fachstelle. Diese „zivilgesellschaftlichen Organisationen“ wären eine impfkritische anthroposophische Ärztevereinigung, ein Hersteller homöopathischer Präparate zur Ausleitung von Impfschäden, eine Heilpraktikervereinigung, die Eltern impfgeschädigter Kinder berät, eine Verband von Herstellern homöopathischer Nosoden-Impfstoffe, der Hebammenverein „Impfen? Nicht mit uns!“ und ein Verein impfkritischer Filmemacher. Unter den Vertretern befände sich eine Biologin, die die Existenz von Viren bestreitet, ein Landwirt, der bereits mehrere impfkritische Bücher veröffentlich hat und der Co-Produzent eines Films, der zeigen will, wie die Bill-Gates-Stiftung Afrika mit Hilfe von Impfstoffen entvölkert. Getragen würde die Fachstelle von einem Verein, der das Impfen strikt ablehnt, weil Impfen das Immunsystem überfordere und zu Autismus führe. 

Bestellte Gutachten

Das halten Sie für undenkbar? Im Gesundheitsministerium ist es tatsächlich noch nicht so weit. Im SPD-geführten Umweltministerium dagegen wurde soeben eine „Fachstelle für Gentechnik und Umwelt (FGU)“ geschaffen, die von dem Verein „Testbiotech e. V.“ getragen wird, der seit zehn Jahren unermüdlich gegen den Einsatz von Gentechnik, gegen die synthetische Biologie und gegen die Patentierung von biotechnologischen Erfindungen kämpft. Die FGU soll sich mit der Evaluierung von Genome Editing und Gene Drives – neuen Technologien der Pflanzenzucht – beschäftigen. Wie oben beschrieben wurde ein Beirat aus „zivilgesellschaftlichen Organisationen“ eingerichtet, die ohne Ausnahme die Gentechnik in allen ihren Aspekten ablehnen und bekämpfen (Gentechnik in der Medizin wird zähneknirschend akzeptiert) und sich für ein Totalverbot von Gentechnik in Landwirtschaft und Pflanzenzucht einsetzen. Alle oben angeführten Zitate sind wörtlich der Selbstdarstellung der FGU bzw. einer Pressemitteilung des Vereins Testbiotech zur Gründung der FGU entnommen. Thens Verein erhält für seinen Einsatz gegen neue Pflanzenzuchtverfahren für die Zeit vom 1.10.2017 bis 28.2.2020, d.h. zweieinhalb Jahre, eine Zuwendung von EUR 203.580 – nicht wenig, wenn man bedenkt, dass ein kleiner DFG-Antrag bei Pflanzenforschern üblicherweise bei ca. EUR 60.000 pro Jahr (= EUR 150.000 für 2,5 Jahre) liegt. Davon sind EUR 15.000 Sachmittel, die bei Testbiotech nicht anfallen, da der Verein nicht experimentell arbeitet. Das SPD-Ministerium lässt sich seinen Kampf gegen Gentechnik bzw. was es dafür halten möchte, eine Menge Geld kosten.

Bei den „zivilgesellschaftlichen Organisationen“ handelt es sich um NGOs wie den Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), das Gen-ethische Netzwerk, die mehrheitlich von anthroposophischen Vereinen und Stiftungen getragene Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut), die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL), ein Zusammenschluss von gentechnikfeindlichen Bio-Bauern, und die Organisation Save our Seeds, eine anthroposophische Initiative zur „Reinhaltung des Saatguts“. Saatgutfirmen und Pflanzenforscher gehören offenbar nicht zur Zivilgesellschaft, sondern sind als autoritäre (?), anti-demokratische(?) Elemente einzuordnen, die nicht über die Zulässigkeit moderner Technologien mitreden dürfen.

Alle Beiratsmitglieder sind langjährige und überzeugte Gegner jeder modernen Pflanzenzuchtmethode: Sie lehnen Hybridpflanzen ebenso ab wie den Einsatz von Gentechnik oder von Genome Editing (nachgewiesen haben das im Detail die Agrarbloggerinnen Dr. Kathrin Naumann und Christina Annelies). Im übrigen gehören alle Beiratsmitglieder zu den Erstunterzeichnern einer Resolution, die Anfang Juli von der Politik forderte, „dass alle Verfahren, die unter Begriffen wie ‚Genome-Editing‘, ‚zielgerichtete Mutagenese‘, ‚neuere Mutagenese-Verfahren‘ etc. firmieren, als Gentechnik reguliert werden.“  Die Resolution enthält biologisch unsinnige Behauptungen („dabei unterlaufen sie die natürlichen Mechanismen der Genregulation, mit denen sich Lebewesen normalerweise vor negativen Folgen von DNA- Veränderungen schützen“ … DNA-bschnitte, die „durch die natürliche Genregulation besonders geschützt sind“) und demonstriert damit die fachliche Inkompetenz des Beirats, der an vitalistische Mechanismen zum Schutz des Erbguts zu glauben scheint.

Auf Fachwissen und Fakten kommt es dem Ministerium also nicht an; es geht um das Ergebnis der Beratung der Fachstelle, das bereits feststeht. Fest steht auch, dass die Informationen, die Fachstelle und Beirat „dem öffentlichen Diskurs“ zur Verfügung stellen werden, falsch und bereits sattsam bekannt sind – nur waren sie noch nicht mit dem Stempel des Ministeriums versehen.

Mit der CDU gegen Pflanzenforschung

Nicht nur die SPD, auch die CDU ist mittlerweile stramm auf Anti-Gentechnikkurs. Sie paktiert ebenfalls mit Testbiotech e.V. Im vorigen Jahr beschloss das damals noch von Johanna Wanka geleitete Ministerium eine Förderung des Vereins in Höhe von EUR 73.500 für zwei Jahre. Testbiotech e.V. soll im Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ für die „prospektive Erforschung ökologischer Gefährdungsdimensionen, die sich auf der Basis neuer gentechnischer Entwicklungen mit gezielter Freisetzungsabsicht eröffnen“, sorgen. Mit von der Partie sind die Universitäten Bremen und Vechta (beides keine Leuchttürme der Genforschung) und als assoziierter Partner die vor allem durch esoterische Quack-Forschung aufgefallene Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU).

Projektpartner an der Uni Bremen ist Professor Arnim von Gleich, der in den 1990er Jahren mit seinem Plädoyer für eine „andere Chemie“ bei den Grünen viel Aufmerksamkeit erhielt. Die synthetische Chemie „cracke“ Moleküle durch hohen Druck und unnatürlich hohe Temperaturen und zwinge sie, widernatürliche Verbindungen einzugehen, klagte er. Stattdessen brauche man “sanfte Chemie”: “Anstatt also mit Gewalt alles selbst neu und besser schaffen zu wollen, setzen wir auf eine ‚Sanfte Chemie‘, auf die Überwindung dieses ‚Machbarkeitswahns‘”, schrieb von Gleich 1991 in der Zeitschrift Wechselwirkung, und setzte hinzu: “Nur eine radikale (Selbst-) Beschränkung bei der Synthese erfüllt wirklich die Ansprüche an eine vorsorgende Chemie- und Umweltpolitik.” Selbstverständlich lehnt v. Gleich Gentechnik wegen ihrer angeblich hohen Eingriffstiefe ebenso ab wie die Chlor- und Erdölchemie.

Auch die Verantwortlichen an der Universität Vechta, die Landschaftsökologie-Professoren Broder Breckling und Winfried Schröder, sind stramme Gentechnikgegner („ein bisschen Horror auf dem Feld“).

Ferner sind an dem Projekt die Organisationen Ecovalia – Valor Ecológico Association (Spanien), AGROBIO – The Portuguese Association for Organic Farming (Portugal) und Attiki Association of Organic farmers markets (Griechenland) beteiligt. Alle drei sind Vereine, die Biolandbau befürworten und ebenfalls schon vor Fertigstellung des Projekts wissen, dass sie Genome Editing, Gene Drive und andere Technologien aus grundsätzlichen Erwägungen in Bausch und Boden ablehnen.

Testbiotech selbst – im wesentlichen ein Ein-Mann-Verein des Tierarztes und ehemaligen Greenpeace-Mitarbeiters Christoph Then, der über den positiven Effekt von homöopathischen Mitteln auf Zellkulturen promovierte – ist bislang vor allem durch unseriöse und wissenschaftlich unhaltbare Behauptungen über Genome Editing und Gene Drives aufgefallen. Gelegentlich publiziert er gemeinsam mit dem sattsam bekannten Gentechnik-Gegner und Homöopathieforscher Gilles-Eric Séralini, der vor allem durch Veröffentlichungen mit groben methodische Fehlern und kreativen Interpretationen aufgefallen ist und etwa so glaubwürdig ist wie ein Astronom, der behauptet, die Erde sei eine Scheibe und befinde sich im Zentrum des Universums. Der Pflanzenforscher Detlev Weigel, Professor für Entwicklungsbiologie und Direktor und Wissenschaftliches Mitglied am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie hat Thens Behauptungen hier Punkt für Punkt widerlegt.

Gemeinsam alternative Fakten schaffen!

Beide Bundesministerien lassen also die neuen Technologien der Pflanzenzucht von Organisationen und Partnern „evaluieren“, die diese Technologien von vornherein prinzipiell ablehnen, unseriös argumentieren und fachlich ungeeignet sind – was zählt, ist offenbar die richtige Gesinnung und die Fähigkeit, sich einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Kritische Nachfragen beantwortet das BMBF mit der nichtssagenden Phrase, es fördere „transdisziplinäre Forschung unter Einbindung unterschiedlicher Stakeholder.“  Das Umweltministerium sitzt auf ähnlich hohem Ross und verweist auf sein „Forschungsverständnis“, das es mit der federführenden Behörde, dem Bundesnaturschutzamt (BfN) teile. Dort findet sich nichts zur Klärung der Frage, warum es für „verwertbare, wissenschaftsbasierte Lösungen“ und „wissenschaftsbasierte Politikberatung“ ausschließlich ausgewiesene Gegner des Genome Editing und anderer Methoden unter Vertrag nimmt, die zudem auf diesem Gebiet keinerlei eigene Forschungsergebnisse vorzuweisen haben.

Hintergrund der Scharade ist die Frage, ob die Verfahren des Genome Editing Gentechnik sind und damit streng reguliert bzw. (nach deutschem Recht) für Anwendungen im Freiland komplett verboten werden müssen oder ob sie nur Varianten der künstlichen Mutationsauslösung sind, die in der Pflanzenzucht seit fast hundert Jahren praktiziert wird. Diese künstliche Mutagenese gilt als kompatibel mit der Biolandwirtschaft, obwohl sie ungerichtete, zerstörerische Verfahren (mutagene Chemikalien und radioaktive Strahlung) nutzt, um bestimmte Eigenschaften zu „züchten“. Sie richtet im Genom regelmäßig Veränderungen und Umlagerungen an, die mehrere tausend bis zehntausend Gene betreffen, auch Thens Meinung aber von einer Art Schutzengel überwacht und ins Gute gewendet werden. Trotz der unbekannten Effekte können die so erzeugten genveränderten Pflanzen ohne weitere Prüfungen auf den Markt gebracht werden. Pflanzenzüchter wissen, dass diese grobschlächtigen Methoden bereits mehrfach zu neuen Sorten geführt haben, die anschließend wegen gesundheitsschädlicher Inhaltsstoffe vom Markt genommen werden mussten. Diese unerwarteten und potenziell riskanten Nebenwirkungen soll die gezielte Mutagenese mit Genome Editing ausschließen. Genome Editing ist zudem schneller – eine Beschleunigung, die sich nach Jahren oder sogar Jahrzehnten bemisst. Das ist keine Kleinigkeit angesichts der Bedrohung zahlreicher Nutzpflanzen durch neu auftretende Pflanzenkrankheiten, Parasiten wie dem Herbstheerwurm oder Klimaveränderungen. Da die Methode zudem preiswert ist, könnte sie auch kleinen Saatgutherstellern nutzen und damit zu einem breiteren Angebot an Saaten führen.

Wissenschaftlicher Konsens ignoriert

Wissenschaft und zuständige Behörden auf der ganzen Welt urteilen bislang unisono: Genome Editing ist nichts anderes als Mutationszüchtung, nur schneller, genauer und mit einem – gegenüber der traditionellen Mutationszüchtung – um Größenordnungen geringeren Risiko für unerwartete Folgewirkungen. Ende dieses Monats wird auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) dazu Stellung nehmen. Er muss über eine Klage entscheiden, die von dem französischen Biolandwirtschaftsverband Confédération paysanne gemeinsam mit weiteren Tier- und Naturschutzverbänden gegen die Umsetzung der Freisetzungsrichtline 2001/18/EG (GVO-Richtline) erhoben wurde. Sie wurde in Übereinstimmung mit Wissenschaft und Aufsichtsbehörden bislang so interpretiert, dass die neuen Mutagenese-Verfahren wie das Genome Editing von den umfassenden strengen Regelungen des allgemeinen Gentechnikrechtes ausgenommen sind. Es wird erwartet, dass der EuGH der Klage nicht stattgeben wird, denn in einem (rechtlich allerdings nicht bindenden) Vorabentscheidungsersuchen des Generalanwalts Michal Bobek hieß es Anfang 2018: „Ich habe somit keinen Zweifel, dass der Gesetzgeber im Jahr 2001 das formuliert hat, was er meinte: Durch Mutageneseverfahren gewonnene Organismen sind von den Verpflichtungen nach der GVO-Richtlinie ausgenommen.“ Er sei der Auffassung, dass erbgutveränderte Organismen nur dann als gentechnisch verändert reguliert werden müssten, wenn ihr „genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist.“ Offen bleibt die Frage, ob eine EuGH-Entscheidung für die Mitgliedsländer rechtlich bindend wäre.

Im Boot mit Lobbyisten

Das Bundesumweltministerium scheint sich jedoch ebenso wie das Bundesforschungsministerium bereits festgelegt zu haben: Sollte der EuGH in Übereinstimmung mit Dutzenden von Fachgesellschaften und hunderten Experten sowie zahlreichen Regulierungsbehörden in Europa (Schweden, Großbritannien, Niederlande), den USA und anderswo ebenfalls zu der Entscheidung kommen, dass Mutationsauslösung durch Genome Editing genauso zu behandeln ist wie Mutationsauslösungen durch Chemie oder Bestrahlung, ist der Boden für einen deutschen Sonderweg bereitet. Beide Ministerien haben dann vermeintlich wissenschaftliche Stellungnahmen „zivilgesellschaftlicher Stakeholder“ zur Hand, mit denen sie die Technologie in Deutschland verteufeln und verbieten können. Schon jetzt benutzen das Umweltministerium bzw. das ihm unterstellte BfN im Zusammenhang mit Gentechnik die Aktivistensprache und verwendet irreführende Worte wie „Genpflanzen“ und spricht von „gentechnisch manipulierter Nahrung“, wenn es um Fleisch oder Milch von Tieren geht, die Futter bekamen, das Bestandteile von gentechnisch veränderten Pflanzen enthielt.

Es wäre ein einmaliger Vorgang, wenn Verbände, die sich jenseits von Wissenschaft eigene Fakten zurechtzimmern („Genome Editing ist Gentechnik!“ / „Impfen verursacht Autismus!“), mit nachdrücklicher Unterstützung zweier Bundesministerien durchsetzen können, dass der Rest der Gesellschaft ihre Definition akzeptieren und auf den Einsatz der Technologie verzichten muss. Gegen diesen Lobbyfilz ist das Gekungel zwischen Autoindustrie und Regierung in Sachen Diesel, Feinstaub und Stickoxide Amateurtheater.

An Deutschlands Pflanzenzuchtbetriebe und Pflanzenforscher sendet die Regierung mit ihrer einseitigen Förderung von Gegnern modernen Pflanzenzuchtverfahren eine eindeutige Botschaft: Schließt eure Läden und geht woanders hin! In Deutschland seid ihr mit eurer Forschung nicht erwünscht. Und an die Industrie und Fachwelt als Ganzes geht die Botschaft: Ihr dürft in Zukunft bei Zulassungen nicht mehr mitreden – entscheiden wird die „Zivilgesellschaft“, vertreten durch fachfremde politische Agitatoren.

Man darf gespannt sein, wie lange die Fachgesellschaften noch zusehen, wie ihnen ganze Forschungsfelder systematisch zerstört und entzogen werden.

Nachbemerkung: Ein zweiter Beitrag wird sich in Kürze näher mit den Vereinen beschäftigen, die die angeblich legitimen Vertreter der „Zivilgesellschaft“ sind.