Der 18. Bundestag gebar eine Große Koalition und eine schwache Opposition. Und dennoch: In Anbetracht dessen, was kommen dürfte, werden wir uns bald zurücksehnen.

Es gibt Erkenntnisse, die sind so offensichtlich, dass sie nicht einmal offen ausgesprochen werden müssen. Was ohnehin Konsens ist, bedarf schließlich keiner großartigen Diskussion mehr. In solchen Situationen kann es interessant sein, einmal die andere Seite der Medaille zu betrachten und als kleine intellektuelle Übung den Advocatus Diaboli zu spielen. Genau das wird hier nun unternommen – mit einer Betrachtung der positiven Seiten des ausgehenden Bundestages.

Keine geringe Aufgabe! Alle fünf Parteien des alten und alle sieben Parteien des neuen Bundestages sind sich, wenn auch in nichts sonst, so doch zumindest darin einig, dass die  Wahl 2013 ein schwer zu bearbeitendes, sperriges Parlament ergeben hat. Linke und Grüne ärgerten sich über das Ausbleiben von Rot-Rot-Grün, die CDU über die hauchdünn verpasste absolute Mehrheit und die SPD wie immer über sich selbst. Liberale ärgerten sich über die Abwesenheit der FDP und alle halbwegs neutralen Beobachter über das Fehlen einer nennenswerten Opposition. Die zweite GroKo innerhalb von drei Legislaturperioden wirkte unabhängig von ihrer tatsächlichen Performance so gelähmt wie lähmend und hinterließ auch die Koalitionsparteien zutiefst frustriert.

Müller-Lüdenscheidt-Komik

Und trotzdem werden wir ab Montag allerhand vermissen. Einzelne, aber gewichtige Stimmen wie die von Volker Beck und Marieluise Beck werden fehlen, die bei allen Schwierigkeiten der Grünen gerade in Bezug auf Israel und Russland wichtige Impulse gegeben und allzu verwegene Abirrungen von Partei und Fraktion eingehegt haben. Wolfgang Bosbach, einer der wenigen Abgeordneten, denen man ohne Übertreibung das Epitheton „Urgestein“ mitgeben darf, wird allein schon deshalb vermisst werden, weil er zwar gern und oft provozierte, dies jedoch stets in den Rahmen eines gediegenen und respektvollen parlamentarischen Umgangs einzupassen wusste.

Diese Qualität dürfen wir von der notorisch auf Krawall gebürsteten AfD, die sich selbst ja auch als bürgerliche Provokationspartei wähnt, wohl kaum erwarten. Und Norbert Lammert, Bundestagspräsident seit 2005, nimmt beim Abschied seine freundliche und aufgeräumte Art mit. Seine Auftritte trugen immer etwas authentisch Staatstragendes und erinnerten in ihrer hölzernen Jovialität zugleich oft an die besten Momente politlastiger Loriot-Sketche. Wo soll diese charmante Müller-Lüdenscheidt-Komik künftig herkommen?

Was kosten Chemtrails?

Neben diesen Dauerbrennern des Politikbetriebes wird man aber vor allem das vermissen, was bislang oft Zielpunkt der hartnäckigsten Kritik war: Die Langeweile. Was uns zwischen GroKo-Routine und schwachbrüstiger Opposition noch als mangelnde Schärfe in der politischen Auseinandersetzung missfiel, muss in naher Zukunft vermutlich als himmlische Ruhe eines seligen Zeitalters neuinterpretiert werden. Denn wenn erst einmal ein starkes oder auch nur mittelmäßiges Ergebnis für die AfD die ärgsten Verfehlungen der Alternativen-Landeslisten in den Bundestag gespült hat, werden wir uns noch wehmütig jener Plenarsitzungen erinnern, in denen die Hälfte der Abgeordneten fehlte und die andere Hälfte im Begriffe stand, an Ort und Stelle einzuschlafen. Und in denen weder die Außengrenzen des Deutschen Reiches noch die Kosten des staatlichen Chemtrail-Programms jemals Gegenstand einer parlamentarischen Debatte waren.

Kurzum: Nur die wenigsten werden dem 18. Bundestag eine Träne nachweinen. Bei allen Problemen und Missständen, die er mit sich gebracht hat, muss man jedoch sagen: Wenigstens die eine, rein symbolische Träne, die sollte es trotzdem bei uns allen sein. Wir werden schon sehen, warum.