Angela Merkel sträubt sich gegen ein öffentliches Bekenntnis zum Feminismus. Das liegt auch daran, dass sie sich nicht in die Opferrolle zwängen lassen will. Stattdessen fertigt sie ihre männlichen Widersacher in Kill-Bill-Manier ab.

Jede Zeit hat ihre Helden. Als ich zwölf Jahre alt war, hing über meinem Bett ein Poster von Britney Spears und in meinen Träumen überschüttete mich Leonardo di Caprio mit Liebeserklärungen. Weil Spears irgendwann den Drogen verfiel und der Anruf im wahren Leben von di Caprio nie kam, habe ich die beiden mittlerweile aus meinem Leben verbannt. Ganz ohne Helden war ich aber nie – stünde ich heute noch einmal vor der Entscheidung mir ein Idol über das Bett zu hängen, wäre es ein Poster von Kanzlerin Angela Merkel.

Doch dazu später mehr.

Den Feministen ist es in den vergangenen Dekaden ergangen wie mir: sie haben sich neue Vorbilder gesucht. Begeisterten sie sich früher für Alice Schwarzer, Simone de Beauvoir oder Betty Friedan, heißen die feministisischen Ikonen des frühen 21. Jahrhunderts Hengameh Yaghoobifarah oder Meredith Haaf. Sie tragen Hipster-Ponys, glitzernde Pullis und weiße Sneakers und werden deshalb, wie der Fall Yaghoobifarah zeigt, selbst von Hochglanz-Gazetten wie der Vogue als modische und intellektuelle Avantgarde gefeiert.

Keine Lust aufs Opfersein

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Hippness und schicke Klamotten ausreichen, um den Chauvinisten das Fürchten zu lehren. Nehmen wir etwa die Debatte um Sexismus an Schreibschulen, die gerade im „Merkur“ ausgefochten wird. Dort klagte die Schriftstellerin Alina Herbing darüber, dass sie sich durch ihre männlichen Kommilitonen diskriminiert fühle, weil sich die Männer abends in der Kneipe zum Biertrinken verabredeten. Das Problem: Je später der Abend werde, desto weiter verschiebe sich laut Herbing das Geschlechterverhältnis „vollends zu Gunsten einer männlichen Dominanz.“ Warum Herbing dem nichts entgegenzusetzen hat – etwa einen zielgenauen Wurf mit der Bierflasche Richtung „männliche Dominanz“ – behält sie für sich und richtet sich stattdessen gemütlich im Opferdasein ein.

Tatsächlich ist die Opferrolle unter den Feministinnen heute so angesagt, wie weiße Sneakers und glitzernder Nagellack. Einher geht sie mit einer merkwürdigen Melange aus Anti-Rassismus und Kapitalismuskritik. So erklärte – ebenfalls im „Merkur“ – die Autorin Shida Bazyar, wie sie in einem feministischen Workshop gelernt habe, dass sie von anderen Menschen ausgegrenzt werde. Dass sie „nicht-weiß“ und Opfer einer „gesellschaftlichen Struktur“ ist, habe sie erst durch einen „schmerzhaften Prozess“ erfahren. „Ich habe ganz schön viel geweint“ resümierte die Schriftstellerin.

Die Tränen seien ihr unbenommen. Ich aber habe keine Lust, ein Opfer zu sein. Und damit wären wir dann wieder bei Angela Merkel. Denn auch die Kanzlerin hat sich nie in die Opferposition begeben, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. Als Zögling von Kanzler Helmut Kohl musste sie sich über Jahre hinweg schikanieren und demütigen lassen. „Überfordert, und zwar total“, spottete der Pfälzer etwa über die damalige Familienministerin. Ähnlich abwertend kommentierte er 1994 ihren Amtsantritt zur CDU-Landesvorsitzenden in Mecklenburg-Vorpommern: „Jetzt wird das Mädchen erst mal halbwegs mit dem Ernst des Lebens konfrontiert“ tat Kohl ihren Wahlerfolg ab.

Hat sich die Kanzlerin von Tarantino inspirieren lassen?

Die neue Generation der Feministinnen hätte das Amt wahrscheinlich hingeschmissen, weil das System zu weiß und zu männlich ist. Doch die damalige Umweltministerin hatte keine Zeit für Selbstmitleid. Sie biss die Zähne zusammen und schlug zurück: Als Kohls Image wenige Jahre später durch den CDU-Spendenskandal angeknackst war, stellte sie sich mit einem Meinungsbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gegen ihn. Der Parteivorsitzende habe den Christdemokraten Schaden zugefügt, schrieb sie und forderte die Partei auf, sich von ihrem einstigen Mentor zu distanzieren. In einer Situation wohlgemerkt, in der es kein Politiker der Konservativen wagte, sich dem CDU-Übervater in den Weg zu stellen. Wenig später war Kohl Geschichte und Merkel die neue Vorsitzende.

Und das war nur der Anfang. Laurenz Mayer, Friedrich Merz, Edmund Stoiber und die obskure Vereinigung von testosterongeladenen CDU-Burschis – besser bekannt als der „Andenpakt“ – sie alle können eine Geschichte davon erzählen, wie sie von Merkel aufs Kreuz gelegt wurden. Die Erfolgsgeschichte der Kanzlerin erinnert mich immer an Uma Thurman aus dem Tarantino-Film „Kill Bill“, in dem sie mit eiskalter Berechnung ihre chauvinistischen Widersacher niedermetzelt. Das finde ich  feministischer als Aktionen wie #aufschrei und #ausnahmslos.

Ich bin aber auch nicht erstaunt, dass die Gemüter, die ansonsten im Safe Space verkehren, wenig mit dem Merkel-Feminismus anfangen können. Denn er ist egoistisch und skrupellos, man muss Ängste und Unsicherheiten überwinden, selbst nachdenken und zu seinen eigenen Ideale stehen, manchmal auch ohne Applaus aus den eigenen Reihen. Das passt nicht zum feministischen Aktivismus, der lieber rosafarbene Katzenmützen strickt, sich in seiner Community versteckt und vertrackte Artikel darüber schreibt, dass er sich von „Cis-Männern“, „Heteras“ und den „weißen Privilegien“ verletzen fühlt.

Kampf gegen Windmühlen

Schuld an den Leiden der jungen Feministen ist der weiße und rassistische „Neoliberalismus“, der ewige Endgegner im queerfeministischen Befreiungskampf. Ihn hasst der Feminismus so sehr, dass er sich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den wahren Problemen verbietet.

Die ungleiche Verteilung des Kapitals auf dem Globus zum Beispiel, die hohe Armut unter Frauen in Entwicklungsländern oder das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern weltweit. Glaubt man dem feministischen Magazin „Libertine“, können solche Probleme erst angegangen werden, wenn der „kapitalistische Lifestyle-Individualismus“ und „das ausbeuterische System“ besiegt wurden.

Auch hier zeigt sich Angela Merkel als die bessere Feministin. Denn während die hippen Emanzen gegen Windmühlen kämpfen, traf sich die Kanzlerin mit den einflussreichsten Frauen der Welt auf dem W-20-Gipfel in Berlin und setzte einen millionenschweren Fonds auf, der mit Mikrokrediten Frauen in den Entwicklungsländern unterstützen sollte. Auf die Frage, ob die Kanzlerin nun eine Feministin sei, antwortete die studierte Physikerin dennoch abweisend. Mit diesen Federn wolle sie sich nicht schmücken, wich sie aus.

Das wundert mich überhaupt nicht. Denn während die Kanzlerin Frauen aus der Armut befreien will, veranstalteten die Feministinnen vor der Tür schon wieder einen wütenden Protest: Gegen die „weißen reichen Frauen“ und die „Ausbeuterbetriebe“, wie es auf den Plakaten des feministischen Anti-Trump-Bündnis „Coalition Berlin“ hieß.

Merkel und der Islamismus

Und es gibt noch einen Grund, weshalb die Kanzlerin emanzipierter agiert als die queere Szene: Weil sie Kritik am islamischen Patriarchat übt. So weigerte sich Angela Merkel bei ihrem Staatsbesuch in Saudi-Arabien sich zu verschleiern und setzte somit ein Zeichen gegen die frauenverachtende Logik der wahabistischen Extremisten.

Eine solches Statement mag banal erscheinen, unter den deutschen Queers ist es aber keineswegs selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: Wer sich gegen patriarchale Strukturen im Islam stellt, muss mit harschen Diffamierungen rechnen. So wurde Alice Schwarzer neulich bei einem Vortrag von einer Gruppe linker Studentinnen als Rassistin beschimpft, weil sie die zahlreichen „Ehrenmorde“ in Deutschland verurteilte. Auch Meredith Haaf verglich kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“ die Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ mit der AfD und den Identitären. Der Grund: Sie verteidigen das Kopftuchverbot bei minderjährigen Mädchen.

Ich muss mich korrigieren: Wahrscheinlich würde ich mir heute kein Poster von Angela Merkel über das Bett hängen, sondern einen Bildschirm, der die Pressekonferenz von ihr mit Donald Trump im Weißen Haus in Dauerschleife zeigt. In diesem Video lässt Merkel den mächtigsten Chauvinisten der Welt so hilflos aussehen, wie einen Schuljungen, der seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht hat.

Dafür braucht die Kanzlerin keine Hashtags setzen oder Katzenmützen stricken, dafür muss sie keine Sternchen oder larmoyanten Artikel schreiben. Ein Stirnrunzeln reicht.

Dieser Artikel erschien zuerst in geänderter Fassung auf  dem Tagesspiegel-Debattenportal „Causa“.