Aus guten Gründen ist Deutschland ein politischer Zwerg auf der Weltbühne. Seine Diplomaten überschätzen sich maßlos und seine Journalisten sind zu nah am Wasser gebaut. Die jüngste UN-Sicherheitsratssitzung zum Nahen Osten zeigt das beispielhaft.

Egal, was die rechtspopulistische Blase sagt: Die Tagesschau ist und bleibt eines der verlässlichsten Medien-Outlets unseres Landes. Das gilt sowohl für die noch immer kulturprägende Fernsehsendung als auch für den Web-Auftritt, der zurecht weiterhin als Goldstandard seriöser Berichterstattung gilt. Doch wo die Sonne gleißend strahlt, da sind die Schatten nur umso dunkler. So auch gestern, als Georg Schwartes Artikel zur jüngsten Sitzung des UN-Sicherheitsrats online kam. Unter dem harmlosen Titel „Heusgen löst unerwartete Debatte aus“ entwarf Schwarte das Bild einer Sicherheitsratsdebatte, die, so soll der Leser es wohl verstehen, den ausgetretenen diplomatischen Pfad verlässt und dadurch endlich an Substanz gewinnt. Wer verstehen will, warum Deutschland in der Weltpolitik – zurecht – keine Rolle spielt, dem genügt als Anschauungsmaterial dieser Text.

Schwarte versucht gar nicht erst, sich seiner aufwallenden Emotionalität zu verweigern und leitet schon im besten Kirchentagsstakkato ein: „Krieg. Das Wort macht im Sicherheitsrat wieder die Runde. Krieg um Gaza.“ Wie bedrohlich die Lage bereits ist, zeigen die Worte des UN-Sonderbeauftragten für den Nahen Osten, Nikolai Mladenoff: Nicht einfach nah sei man diesem Krieg, nein: „wahnsinnig nah“. 

Dass der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen angesichts dieser international beispiellosen Tragödie nicht mehr an sich halten kann, erscheint folglich in einem verständnisvollen Licht. Gegen die „ritualisierte Ohnmacht des Sicherheitsrats“ (Schwarte) stellt Heusgen die Kraft des klaren und unverstellten Wortes:

„Warum legen Sie nicht ihre vorgeschriebenen Reden zur Seite und sagen mir, wie Sie gedenken, die bestehende Resolution umzusetzen?“

Was nun folgt, ist ein Festakt des Endlich-Mal-Sagen-Dürfens, ein Born idealistischen Gedusels, wie es Politik nur selten durchdringt, dann aber vollkommen. Peinlich ist, wenn Heusgen auf Resolutionen als international bindendes Recht pocht – natürlich im Zusammenhang mit den notorisch bockigen Israelis und Amerikanern. Endgültig zum Fremdschämen ist es dann aber, wenn der Austausch mit dem palästinensischen Gesandten zur tränennahen Schmonzette verklebt. Mit der Beseeltheit eines achtjährigen Mädchens am Ende seiner ersten Wendy-Fotostory schildert Schwarte den historischen Moment:

„Dass Deutschland die USA attackiert, ist ein neuer Ton im Sicherheitsrat. Der Palästinenser Ryad Mansour reagiert als erster auf den deutschen Vorstoß. Er legt sein Redemanuskript zur Seite, redete [sic] frei, wendet sich an den deutschen UN-Diplomaten: ‚Sie repräsentieren das mächtige Deutschland‘, sagt er. ‚Ich flehe Sie an. Sorgen Sie doch dafür, dass diese Resolutionen umgesetzt werden, dann halte ich hier auch keine abgelesenen Reden mehr.‘“

Man sollte meinen, die Allianz der Wohlmeinenden sei nun geschmiedet, der Gordische Knoten der Obstruktion endlich zerschlagen. Doch Pustekuchen, denn die Israelis wollen sich vom „mächtigen Deutschland“ noch immer nichts sagen lassen und fangen stattdessen zum x-ten Mal mit ihren von Raketen getroffenen Häusern an. Wahnsinnig gähn! Klar, dass eine solche Klientel sich der öffentlichen Therapiesitzung widersetzt und lieber darauf pocht, „offen hinter verschlossenen Türen zu reden“ – gerade so, als wären die Anwesenden Diplomaten und als säße man gar nicht beim Modell-UN-Meeting des Selma-Lagerlöf-Gymnasiums.

Zwerg aus Gründen 

Das herbeigesehnte Happy-End bleibt somit aus – vorerst. Denn Christoph Heusgen droht für den am 1. April beginnenden deutschen Ratsvorsitz bereits ein Nahosttreffen an, „[k]ein Durchbruch, aber ein Anfang vielleicht. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger“, wie Schwarte bereits träumt.

Wie gesagt: Deutschland ist wirtschaftlich eine Supermacht und politisch ein Zwerg – und zwar aus Gründen. Seine Diplomaten überschätzen sich und ihren Einfluss maßlos, und seine Journalisten sind zu nah am Wasser gebaut, um zu begreifen, dass der Wert einer UN-Resolution in Hamburg zwingend ein anderer sein muss als an den Hängen des Hermon. 

Doch darum geht es auch gar nicht, sondern nur um das gute Gefühl, um den Triumph des Gewollthabens und darum, sich ein aufrichtiges Eintreten für den Multilateralismus ans Revers heften zu können. Völlig egal, dass man für solche Peinlichkeiten Israel aus dem Wettbewerb um den europäischen Sicherheitsratsplatz geboxt hat, was zählt, ist die akkurate Pöbelei gegen den richtigen Gegner. Da ist es gut, dass die garantiert streifenfrei ablösbare Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat immer nur zeitlich begrenzt ist; vor einer dauerhaften Lösung möge uns der Allmächtige schützen. 

Vorerst müssen wir jedoch die Zeit bis zum Ausscheiden der Bundesrepublik aus dem Rat Ende 2020 überstehen. Das wird, mit oder ohne Tagesschau, sicherlich gelingen. Hoffen wir bis dahin auf viele offene Reden hinter verschlossenen Türen.