Es gibt viele Kalendersprüche, die sich bei genauerer Betrachtung als Unsinn herausstellen. Einer davon: Satire tritt nicht nach unten! Warum sollte das so sein? Und wer sagt eigentlich, wo unten ist?

Es gibt Sprüche, die sind beliebt, obwohl sie Unsinn sind. „Viel Feind, viel Ehr“ ist so einer. Wenn dem wirklich so wäre, was würde uns das über Adolf Hitler sagen? Auch in der Pädagogik gibt es reichlich Feststellungen, die völlig aus der Realität gefallen sind Etwa: „Zum Streit gehören immer zwei.“ Jedes gemobbte Schulkind kann bestätigen, dass dem nicht so ist. Doch nirgendwo schwirren so viele seltsame Weisheiten umher wie bei Diskussionen im Internet.

Zuletzt stolperte ich immer wieder über diese: „Satire tritt nicht nach unten!“ bzw. „Satire tritt nur nach oben!“ Es ist schon ein Widerspruch in sich, Satire feste Verhaltensregeln aufdrängen zu wollen. Wer entscheiden will, was sie darf, macht sich dadurch bereits zu einem legitimen Ziel, da Satire weder ein Parteibuch hat noch einer bestimmten Bewegung angehört. Am ehesten dürfte sie dem Lebensmotto von Groucho Marx folgen: „Ich würde niemals einem Verein beitreten, der mich als Mitglied aufnähme.“  

Eine liberale Demokratie ähnelt mehr einer Hüpfburg als einer Leiter

Diese Satire-Regel ist auch deswegen Unsinn, weil es die geografischen Angaben „oben“ und „unten“ in offenen Gesellschaften nicht gibt. Wer ist oben und wer unten? Wer entscheidet das und anhand welcher Maßstäbe? Der Twitter-Account eines Influencers kann zwei Millionen Follower haben und der eines Bundesministers nur 3.500. Wenn die nun aufeinander losgehen, wer darf sich dann satirischer Methoden bedienen? Die Person mit der viel größeren Reichweite oder die mit dem mächtigeren Amt? Eine liberale Demokratie ähnelt weniger eine Hierarchie-Leiter als einer Hüpfburg.

Vertreter von „Satire tritt nur nach oben“ bzw. „tritt nicht nach unten“ wirken allerdings generell wie falsche Freunde dieser Kunstform. Schließlich setzen sie sich nicht dafür ein, dass ihre Definition sich ganz allgemein und jederzeit durchsetzt. Sie sind immer nur dann zu hören, wenn es um Themen geht, die ihnen wichtig sind und bei denen sie deshalb schlicht nicht ertragen können, dass sie satirisch betrachtet werden.

Wenn Borat sich über gesellschaftlich abgehängte Redneck-Amerikaner lustig macht, dann verhöhnt mit dem Schauspieler Sacha Baron Cohen ein gebildeter und schwerreicher Angehöriger der Elite perspektivlose Verlierer. Nach der „Satire tritt nicht nach unten“-Regel wäre das ein klarer Regelverstoß. Doch darüber empört sich keiner von denen, die sonst so gerne darauf bestehen, dass es immer gegen die Etablierten und Mächtigen gehen müsse.

Satire ist nichts für Feiglinge, für die gibt es die Schadenfreude

In Wahrheit ist die Satire viel klüger als jene, die sie in ihrem Sinne bändigen wollen. Sie ist ein Werkzeug, um gesellschaftliche Entwicklungen zu kommentieren. Dabei springen die meisten Satiriker auf Selbstgerechtigkeit, Ressentiments und Doppelstandards an. Da Satire einen aufklärerischen Anspruch hat, liegt es nahe, dass sie sich zumeist mit Gegnern anlegt, die einen gewissen Machtanspruch formulieren – ohne zwingend Macht haben zu müssen. Und da sie nichts für Feiglinge ist (für die hat Gott die Schadenfreude und Gehässigkeit erschaffen), liegt es ebenso nahe, dass sich gute Satire nicht an schwachen Gegnern abarbeitet. Darum ist sie selten im Dienste jener unterwegs, die gerne auf Gegner eintreten, die am Boden liegen. Aber auch das darf Satire, sie muss uns nicht gefallen.

Letztlich kann man nur eines mit Sicherheit sagen: Je empörter nach einer Satire behauptet wird, dass sie sich gegen dieses Ziel nun wirklich nicht hätte richten dürfen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie genau das richtige Ziel getroffen hat.