Die Corona-Krise hat die Klimakrise in die zweite Reihe verdrängt. Die Fridays-for-Future-Bewegung weiß nicht recht, wie sie damit umgehen soll. Mal fordert sie in einem Notstands-Aufruf den großen Systemwechsel, mal mobilisiert ihr deutsches Gesicht Luisa Neubauer zum Generationenkampf. FFF hat ein Problem. Aber das kann man lösen. Unsere Autorin macht einen Vorschlag.

Seit die Corona-Krise uns im Griff hat, schwächelt die Klimabewegung. Shutdown und Demo-Auflagen ruinierten ihr Markenzeichen, die Schulstreiks und die spontanen Freitagsaktionen. Schulstreiks sind nicht mehr provokant in einer Zeit, in der mit Online-Tools unterrichtet wird und die Schülerinnen und Schüler sich danach sehnen, endlich wieder in eine echte Schule zu gehen. In den sozialen Netzwerken konkurrieren längst andere Themen mit dem Klimaschutz um Aufmerksamkeit. Die Rassismusdebatte, die Bedrohung durch Nazi-Terrorismus erfasst andere Kreise und lässt andere Betroffene zu Wort kommen. Die vorwiegend bürgerlich-gymnasiale und, sagen wir es offen, sehr weiße Klimabewegung sieht daneben plötzlich ein wenig altmodisch aus. Hinzu kommt, dass der Sommer 2020 bislang eher ein kühler Durchschnittskandidat ist, nichts, was die Leute so richtig ins Schwitzen bringt. 

Doch das Klimathema ist nicht obsolet, weil uns die Sonne gerade mal nicht einheizt, Greta nicht von jedem Titelblatt blickt und die deutsche Linke gerade einem anderen Trend hinterherläuft. Wer sich eingehend mit wissenschaftlichen Quellen über Langzeitveränderungen unserer Umwelt beschäftigt – ich empfehle z.B. den Dürremonitor des Umweltforschungszentrums Leipzig – der weiß, wie dringlich Klimaschutzmaßnahmen sind. Die Erderwärmung trifft mittlerweile auch unser bislang verwöhntes Deutschland immer massiver.

…und noch ein Aufruf

Doch was macht die Klimabewegung, um aus dem Sommerloch wieder herauszukommen? Was sie immer macht, einen Aufruf. Am 16. Juli setzten die führenden Klima-Aktivistinnen Luisa Neubauer, Greta Thunberg, Anuna de Wever van der Heyden und Adélaïde Charlier einen Notstands-Brandbrief an die europäischen Politikerinnen und Politiker ab. Unter dem Hashtag #FaceTheClimateEmergency wollten sie und ihre Mitunterzeichner Druck aufbauen, doch der Aufruf wurde von Debatten über eine zweite Corona-Welle und über die europäischen Corona-Hilfen übertönt. Seine „Forderungen“ sind auch wenig angetan, neue Resonanzräume zu erobern. Der Rigorismus und Katastrophismus des Schreibens, der letztes Jahr noch alle Menschen elektrisierte, hat sich inzwischen abgenutzt. 

Coronakrise ist nicht Klimakrise

Der Brief ist ein Versuch, am Momentum der Corona-Krisenpolitik teilzuhaben, indem man den Pandemienotstand mit dem Klimanotstand gleichsetzt. Vordergründig scheint es genug Parallelen zu geben: Die Überzeugung, einer globalen Bedrohung gegenüberzustehen, welche koordinierte Maßnahmen erfordert; Stress, Zeitdruck, Ungewissheit und Expertenkontroversen als Krisenmerkmale. Doch vergessen Neubauer und ihre Co-Autorinnen, dass Corona trotzdem ungleich Klima ist. Die Gefahrenabwehr gegenüber einer akuten, temporären Bedrohung durch die Pandemie gibt dem Staat bestimmte Instrumente zur Krisenbekämpfung in die Hand, welche ihm in der schleichenden Multikrise Klimaveränderung fehlen, weil nicht er alleine Herr über die Instrumentarien ist. Während im Falle CoViD-19 der Feind klar umrissen ist, interagieren im Klimageschehen Dutzende von teilweise noch nicht ausreichend verstandenen Faktoren. 

Während wir im Falle Corona gut funktionierende, wenn auch nicht überall konsequent angewendete Maßnahmenkataloge haben, die sich auch relativ schnell in die Tat umsetzen ließen, sind Maßnahmen zur CO2-Reduzierung komplex und betreffen mittel- und langfristige Infrastruktur-Entscheidungen. Corona hat den Bremsweg eines Tanklasters, den wir in Deutschland gerade noch davor bewahrt haben, aus der Kurve zu fliegen und in Flammen aufzugehen. Die Klimakrise hat den Bremsweg eines Supertankers, auf dessen Brücke sich mehrere Kapitäne um das Steuer streiten. 

Die Forderungen des neuesten FFF-Klima-Aufrufes jedoch sind nicht dazu angetan, ein Umsteuern in ruhige Gewässer zu ermöglichen. Sie laufen eher darauf hinaus, den Supertanker Industriegesellschaft in die Luft zu sprengen, um seine Passagiere vor der Kollision mit dem Eisberg zu bewahren. „Our current system is not ‘broken’ – the system is doing exactly what it’s supposed and designed to be doing. It can no longer be ‘fixed’. We need a new system”, rufen die Autorinnen.

Systemwechsel ohne Systematik 

Das EU-Klimaziel einer CO2-Neutralität bis 2050 sei viel zu langsam und gleichbedeutend mit „Kapitulation“, „Unverantwortlichkeit“ und „Betrug“ an kommenden Generationen, so die Aktivistinnen. Wir brauchen also ein neues System. Doch die Forderungen, die dann folgen, sind nicht systematisch gedacht. Sie werden, um Anschluss an aktuelle Diskussionen herzustellen, in einem wüsten Durcheinander vorgetragen, ohne im Entferntesten zu reflektieren, dass sich etliche von ihnen gegenseitig widersprechen. Die Liste liest sich wie ein schlecht redigierter Wunschzettel an den ökosozialistischen Weihnachtsmann: Sofortiger Ausstieg aus allen Investments für die Gewinnung fossiler Energieträger, die Erklärung des “Ökozids” zum internationalen Straftatbestand, die Einführung rigider CO2-Budgets. Es folgt eine je nach Gruppenzugehörigkeit beliebig befüllbare Schablonen-Liste von „sozialer, Rassen- (sic), Klima- und Umweltgerechtigkeit, Gendergleichheit, Demokratie, Menschenrechten, Indigenen-Rechten, LGBTQ- und Tierrechten (man beachte die Reihenfolge), Redefreiheit, Pressefreiheit“ und last not least ein „life supporting system“. Dieses soll „fully decarbonized“ sein. 

Dass sich soziale Gerechtigkeit womöglich mit der radikalen Verteuerung von fossilen Brennstoffen und der Abwicklung ganzer Industriezweige genausowenig verträgt wie mit dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit oder der Demokratie in Schwellenländern, wo das Rattenrennen um knappe Ressourcen noch krasser werden dürfte; dass demokratische Prozesse sich mit einem Klima-Budget-Diktat von EU-Seite nur schwer vereinbaren lassen; dass Indigene sich mit Brandrodung häufig der Beihilfe zum „Ökozid“ schuldig machen und dass überdies völlig ungeklärt bleibt, was unter die Definition des „Ökozids“ fällt; dass Tierrechte auch unter Windkraftanlagen gelten und dass der Zugang zu günstiger Elektrizität, die billiger sein sollte als der deutsche Ökostrom, auch ein Menschenrecht ist – geschenkt.

Luisa Neubauer im Generationenkampf

Entsprechend war die Resonanz auf diesen Katalog für Systemsprenger. Die Älteren, die nicht in der Wünsch-dir-was-Welt, sondern in der So-Isses-Welt leben, dachten, bevor sie müde und altersweise lächelnd abwinkten, an die eigene Sturm- und Drang-Zeit. Die deutsche Politik, noch ausgelaugt von der Streiterei um das Kohleausstiegsgesetz, ignorierte den Aufruf. Offensichtlich hat dies Luisa Neubauer so erbost, dass sie meinte, in den Generationenkrieg ziehen zu müssen, der ja im Aufruf auch schon anklingt. Eigentlich ging es in ihrer neuen „Stern“-Kolumne um die sehr vernünftige Frage, ob das Wahlrecht bereits ab 16 Jahren gelten solle. Doch auf Twitter machte Neubauer eine Kampfansage.

Eine Herabsetzung des Wahlalters gebe nur Brief und Siegel auf das, was sowieso Sache sei, schrieb sie in Verkennung der deutschen wahldemographischen Realitäten. „Die Machtverschiebung hat längst stattgefunden. Und sie ist bezeichnend für eine Zeit, in der Alter an Wert verliert – und Alte an Macht“, textete Grünen-Mitglied Neubauer, deren Wille zu ebendieser Macht ihr aus jedem Buchstaben sprang. Wer so spricht, das lehrt die Erfahrung, wird nach nicht allzu langer Zeit in einem Konzern- oder Parteivorstand wieder auftauchen und viel Macht ausüben – und lernen, wie Entscheidungen gemacht werden: in der Regel langsam. Er oder sie wird dann ganz schön schnell ganz schön alt aussehen. Aber nun zu der Frage: was würden wir Alten denn besser machen? 

Zwei Alte machen einen Vorschlag

Und hier komme ich selber ins Spiel, Babyboomer, drei Kinder im FFF-Alter, Kerntechnik-Historikerin und Energo-Bloggerin. Ich habe nämlich einen konkreten Vorschlag für „Fridays for Future“. Diesen habe ich zusammen mit Dr. Rainer Moormann,  physikalischer Chemiker im Ruhestand und Fachmann für Nuklearsicherheit, ausgearbeitet. Unser Vorschlag ist deswegen ungewöhnlich, weil sich hier eine Kernenergie-Befürworterin und ein Kritiker der Atomindustrie zusammengerauft haben, um gemeinsam nach Lösungen für die Klimakrise zu suchen. Daher ist der Vorschlag auch praktisch, konkret und, wie wir hoffen, genügend kritisch zum eigenen Gegenstand. Er beruht auf gründlicher Auseinandersetzung mit vielen Studien und Fachaufsätzen über die energetische Transformation von Industriegesellschaften hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Er ist unsere Antwort auf #FaceTheClimateEmergency, und wir nehmen das Anliegen ernst, indem wir für eine Notstands-Maßnahme auf dem Weg zur raschen Reduzierung unseres CO2-Ausstoßes plädieren. 

Was wir vorschlagen, ist folgendes: Statt, wie bislang geplant, in flottem Tempo bis Ende 2022 aus der CO2-freien Kernenergie auszusteigen und in lahmer Gemütlichkeit bis 2038 aus der Braunkohle, sollten wir es umgekehrt machen: die sechs noch laufenden deutschen Kernkraftwerke behalten, statt ihrer Braunkohlekraftwerke stillegen, und auf diese Weise sehr rasch rund zehn Prozent der deutschen CO2-Emissionen einsparen. Sollten wir in zehn Jahren nicht wesentliche Fortschritte bei der Errichtung von Langzeit-Stromspeichern zur Absicherung unserer wetterabhängigen Erneuerbaren sehen, muss auch über den Neubau von Kernkraftwerken nachgedacht werden. Das nämlich bewahrt die Energiewende vor ihrer derzeit größten drohenden Pleite, dem Ausweichen auf fossiles Gaskraft-Backup aus Russland, wenn gesicherte Leistung aus Kohle- und Atomstrom nicht mehr erwünscht ist. Doch Gaskraft ist in ihrer Gesamtbilanz wegen der Methan-Emissionen auf ihrer Produktions- und Transportkette nicht weniger klimaschädlich als Kohle.

Hochleistungspumpe für die Klima-Feuerwehr

Wie genau man die deutschen Kernkraftwerke erhält und warum dies geboten ist, das erklären wir in unserem Memorandum. Die Kurzform unserer Forderungen haben wir am selben 16. Juli in der „Zeit“ veröffentlicht, als Luisa Neubauer und Greta Thunberg mit ihren Forderungen an die europäische Öffentlichkeit gingen. Unser Beitrag hat eine rege Debatte ausgelöst. Während die alte Anti-AKW-Bewegung im Dreieck sprang, trafen auch unzählige positive Reaktionen bei uns ein. Doch FFF stand bislang abseits, abgesehen von einigen „Scientists for Future“, die mit uns interessante und konstruktive Diskussionen führten. Vielleicht lag die Nicht-Reaktion daran, dass unser Vorschlag  in der reinen Lehre der Neubauers und Thunbergs auch nur wieder „tech fix“ ist und kein Systemsprenger. Doch hat er den Vorteil, nicht nur „Notstand!“ zu schreien, sondern eine wirkliche Notstandsmaßnahme anzubieten. 

Wie bei jeder echten Notstandsmaßnahme tut es allen weh, aber es hilft. Ein Aussetzen des Atomausstiegs würde beliebte Gewissheiten angreifen, bequeme Denkgewohnheiten aushebeln und Frau Neubauer bei den Grünen in größere Kalamitäten bringen als ihr Alte-Leute-Rant. Doch würde FFF unsere Vorschläge diskutieren und sich ihnen anschließen, könnte das eine deutsche Energierevolution einleiten, die der Bewegung schlagartig Aufmerksamkeit bescheren würde. Es würde nämlich zeigen, dass FFF selbständig denk- und handlungsfähig ist, statt altgrüne Parolen nachzubeten, und dass „Alles fürs Klima“ auch ALLES meint. Es wäre nichts weniger als der Abschied von einer Doktrin, die seit zehn Jahren unsere Energie- und Klimapolitik lähmt: der Abschied von der Fixierung auf Erneuerbare Energien als Selbstzweck und der Beginn einer Orientierung auf alle CO2-armen Energien. Clean Energy statt Green Energy, wie es amerikanische Kollegen formulierten. 

Es wäre auch der Beginn einer pragmatischen Arbeit zur schnelleren Erreichung des eigentlichen Ziels, der Dekarbonisierung Deutschlands. Noch steht uns mit der Kernenergie ein ungeheuer starkes Instrument zur Erreichung dieses Ziels zur Verfügung.  Sie würde uns den Spielraum verschaffen, den wir brauchen, um den Übergang zu den Erneuerbaren sozial gerecht und vor allem versorgungssicher zu gestalten. Doch „die Uhr tickt“, um FFF zu zitieren: wenn wir nichts tun, ist das Werkzeug bald zerstört. „Das Haus brennt“, ruft FFF. Richtig. Wir schlagen vor, das Feuer nicht mit der Eimerkette zu löschen, sondern mit der Hochleistungspumpe. Mit der kann auch die Jugendfeuerwehr umgehen.