Zahlreiche Partner versorgen die Grünen traditionell mit pseudowissenschaftlichen Gutachten gegen moderne Technik. Doch viele dieser Partner wenden dieselben Methoden jetzt im Kampf gegen Corona-Impfstoffe an. Die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie der Wissenschaft folgen oder eine Partei für Querdenker und Quacksalber sein wollen.

Gentechnik-Gegner sind nach fast dreißig Jahren Kampf gegen die verhasste Technologie gut vernetzt. Zum einen gibt es Organisationen wie Greenpeace, BUND und andere eNGOs mit großer Reichweite und den immer gleichen Parolen (gefährlich, überflüssig, nutzt nur den Konzernen). Zum anderen gibt es die als „Experten“ auftretenden kleineren Vereine wie Testbiotech e.V. („Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“), das Europäische Netzwerk ENSSER („The European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility“) und das in Frankreich gegründete CRIIGEN („Comité de recherche et d’information indépendantes sur le génie génétique). Diese Think Tanks sorgen zuverlässig dafür, dass die grüne Partei jede neue Technologie in der Pflanzenzucht als unkalkulierbares Risiko ablehnen kann. Immer wurde zu wenig getestet, immer sind die Risiken unüberschaubar und immer sind die Zulassungsbehörden zu industrienah, zu technikgläubig und zu verantwortungslos.

Zwischen den Gutachtenfabriken bestehen vielfältige personelle und organisatorische Verflechtungen. Testbiotechs Berliner Ableger, die Fachstelle Gentechnik und Umwelt (FGU) bildet eine Bürogemeinschaft mit ENSSER. ENSSER ebenso wie CRIIGEN wurden von Gilles-Eric Séralini ins Leben gerufen, einem französischen Aktivistenforscher, der vor allem durch seine zurückgezogene und nicht reproduzierbare Studie über Krebs durch „Genmais“ bekannt wurde. In den nahezu unüberschaubar zahlreichen Komitees, Arbeitsgruppen, Beiräten und Leitungsgruppen bestehen Doppelt- und Dreifachmitgliedschaften. Funktionsträger von ENSSER wie Angelika Hilbeck, Nicolas Defarge oder Arnaud Apotheker bekleiden zugleich Posten bei CRIIGEN und/oder sind zugleich Mitglied von Testbiotech.

Grüne Kronzeugen

Vertreterinnen und Vertreter von Testbiotech, CRIIGEN und ENSSER sind häufige Gäste bei Hearings, Seminaren und Workshops in und außerhalb der Parlamente, zu denen grüne Parlamentarier wie Martin Häusling, Renate Künast, Maria Heubuch, Harald Ebner und andere sie als Experten einladen. Arnaud Apoteker, aktiv bei ENSSER und CRIIGEN, ist offizieller Berater der Gruppe Die Grünen/EFA in Sachen Gentechnik. Hilbeck koordinierte zuletzt das von Testbiotech und ENSSER gemeinsam getragene Forschungsprojekt RAGES (Risikoabschätzung von gentechnisch veränderten Organismen in der EU und der Schweiz), Defarge leitete einer der Arbeitsgruppen. Vorgestellt wurden die Ergebnisse in Berlin auf Einladung der grünen Parteistiftung und in Brüssel mit freundlicher Unterstützung u.a. der grünen EU-Abgeordneten Tilly Metz. Mit anderen Worten: Wann immer die Grünen grüne Gentechnik als gefährlich und überflüssig, die europäischen Zulassungsbehörden als voreingenommen, industrienah und unverantwortlich und die ihre Bewertung als lückenhaft und unzureichend darstellen wollen, sind ENSSER, CRIIGEN und Testbiotech als Kronzeugen zur Stelle.

Mittlerweile hat dieses Netzwerk den Sprung zu quasi halbamtlichen Institutionen geschafft, etwa, wenn die vom Verein Testbiotech geleitete FGU aus öffentlichen Mitteln der Bundesrepublik finanziert wird. Projektgeber ist das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln aus dem von der SPD geführten Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Ziel von Verein und Fachstelle ist die möglichst öffentlichkeitswirksame Diskreditierung der Gentechnik-Forschung in Deutschland als nicht beherrschbare Hochrisikotechnologie. Der Fokus der letzten Jahre lag dabei auf der Technologie des Genome Editing mit CRISPR-Cas – soeben mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Rosinenpicken statt Wissenschaft

Die Angsttrompeter im grünen Auftrag gehen nach immer dem gleich Muster vor. Aus der Fachliteratur wird kreuz und quer aus dem Tier- und Pflanzenreich alles zusammengeklaubt, was irgendwie nach Risiko klingt. Nichts davon wird eingeordnet, gegenteilige Befunde werden grundsätzlich ausgeblendet bzw. unterschlagen. Eine wissenschaftliche Diskussion findet nicht statt. In der wissenschaftlichen Welt ist diese Strategie als Rosinenpicken bekannt und verachtet.

Die Vereine publizieren viel, zumeist Pressemitteilung und Auftragsgutachten. Hinzu kommen Veröffentlichungen in Pay-for-Play Zeitschriften mit gewichtigen Namen, aber keinem oder keinem messbaren Impact-Faktor, einem einigermaßen zuverlässigen Indikator dafür, ob eine Zeitschrift von der Fachwelt zur Kenntnis genommen wird. Bei diesen Zeitschriften steht der Peer Review, d.h. die Begutachtung durch unabhängige Experten des Fachgebiets, nur auf dem Papier. In Wahrheit kann man dort für ein paar hundert Euro so ziemlich alles unterbringen, sofern es einigermaßen fehlerfrei geschrieben ist. Mit diesen Methoden ist es ein Leichtes, innerhalb kurzer Zeit ein Szenario des Grauens mit wissenschaftlichem Anstrich zusammenzustellen, das Laien die Haare zu Berge stehen lässt. Gewöhnlich wird es gekrönt vom goldenen Standardsatz aller Wissenschaftslegastheniker: „Niemand kann ausschließen, dass…“

Wissenschaft, Nullrisiko und Vorsorgeprinzip

Niemand kann in der Tat ausschließen, dass morgen ein Asteroid die Erde vernichtet, dass die Jupitermonde von Aliens besiedelt sind oder dass nach der Coronaimpfung Haare auf der Zunge wachsen. Es ist zwar alles sehr, sehr unwahrscheinlich, aber wissenschaftlich ausschließen lässt es sich nicht. Das ist ein Grundprinzip von Wissenschaft. Laien leuchtet dann aber meist sofort die Forderung ein, man brauche mehr Forschung, um diese Risiken genauer zu untersuchen und auszuschließen. 

Niemand kann allerdings ausschließen, dass er morgen einen tödlichen Stromschlag erleidet, wenn er die Kaffeemaschine anschaltet oder dass er im Wasser des Putzeimers ertrinkt, den er unvorsichtigerweise im Hausflur hat stehen lassen. Solche Fälle hat es gegeben und es wird sie wieder geben.

Das auf Betreiben von SPD und Grünen in Europa eingeführte Vorsorgeprinzip hat der Bevölkerung ebenso wie Gesetzgebern und Medien jedoch den Eindruck vermittelt, dass so etwas wie Nullrisiko erreichbar und erstrebenswert ist und jede neue Technologie unter dieser Prämisse stehen muss. Mit anderen Worten: Sie muss verboten bleiben, solange irgendjemand glaubhaft irgendein noch so hypothetisches Risiko vorbringen kann.

Die Pocken hatten Pech

Bei dieser Erwartungshaltung kann man davon ausgehen, dass die Ausrottung der Pocken – eine der Großtaten der Menschheit – heute ebenso wenig möglich wäre wie das Verlegen von Gas-, Strom- und Wasserleitungen in Behausungen von Menschen. Schließlich können Strom, Gas und Wasser zu Gesundheitsschäden oder sogar zum Tod führen – in Deutschland nahm nach Angaben des VDE die Zahl der Todesfälle durch Strom 2018 um 24 Prozent zu, wobei die Zahl der weiblichen Opfer sich verachtfachte (Sie erkennen das Muster?). Wie verbreitet dieses Denken heute ist, ließ sich vorige Woche beobachten, als in einer rheinland-pfälzischen Apotheke 0,3 Liter Salzsäure verschüttet wurden – ein Problem, das mit einem Eimer Wasser zu lösen ist. Stattdessen kamen mehrere Feuerwehren aus den umliegenden Ortschaften, der Gefahrstoffzug des Landes und zwei Rettungswagen vom DRK. Das bisschen Salzsäure beschäftigte 89 Einsatzkräfte.

Selbstverständlich wird das bei Gentechnik, Pflanzenschutzmitteln und allerlei Chemikalien eingeforderte Nullrisiko von der Bevölkerung und manchen Medien auch auf die COVID-Impfstoffe angewandt. Es sind dieselben Argumente zu hören: nicht genügend getestet, den Zulassungsbehörden ist nicht zu trauen, Studien werden „duchgewinkt“, Langzeitfolgen sind nicht abzuschätzen.

Querdenker-Allianzen

Allerdings wendet sich die altbewährte Strategie, die Öffentlichkeit in Sachen Gentechnik und anderen politisch ungeliebten Feldern mit Pseudoexperten, rosinengepickten Studien, logischen Fehlschlüssen und hypothetischen Horrorszenarien zu täuschen, allmählich gegen die Grünen. Die Partei hat sich darauf festgelegt, in der Pandemie auf Impfstoffe zu setzen. Das hätte sie mal besser vorher mit ihren Pseudoexperten abgesprochen.

Wackelkandidaten waren das schon immer. In den USA sind die Wortführer der Antigentechnikbewegung, allen vorn die Organic Consumer Association (OCA) und von ihr geförderte Vereine wie USRTK oder Moms Across America schon längst Impfgegner („Impfen macht Autismus“). OCA hält auch Chemtrails für real, glaubt an eine jüdische Weltverschwörung und hält 911 für einen Inside-Job. Renate Künast hielt das nicht davon ab, mit OCA zusammen das Monsanto-Tribunal zu veranstalten.

Unangenehm wurde es ihr erst, als Robert F. Kennedy jr – auch er ein geschätzter Bündnispartner der Grünen im Kampf gegen Glyphosat – im August 2020 auf der bislang größten Querdenker-Demo in Berlin als Hauptredner auftauchte. Sie erinnerte ihn daran, dass dort Rechte und Neonazis auftauchen würden und twitterte Carey Gillam von USRTK um Hilfe an. Ahnte sie nicht, dass auch die von ihr hoch geschätzte ex-Journalistin längst im Impfgegner-Lager angekommen ist und in ihren Videos derartige Fake News verbreitet, dass diese von Twitter entfernt wurden?

Kennedy hört nicht auf Künast

Kennedy ließ sich von Renate Künast (natürlich) nicht abhalten. Er gab unter großem Jubel der Querdenker die Gründung von Children’s Health Defense Europe bekannt, einem Ableger von Kennedys Children’s Health Defense, einem US-Verein, der gegen Impfstoffe, alle Arten von Chemikalien, Mobilfunk, Smartphones, Kraftwerke, Nanotechnologie, Mikrochips und viele andere Errungenschaften der Moderne sowie gegen Bill Gates zu Felde zieht.

Kennedys europäischem Verein springen jetzt die Berater der Grünen bei, um die Corona-Impfstoffe zu Fall zu bringen. So wie CRIIGEN zuvor die grüne Partei und ihre Abgeordneten mit Expertise versorgt hat, unterstützt der Verein jetzt Kennedy. Kennedy verklagt die EU vor dem Europäischen Gerichtshof, weil sie in der Pandemie bestimmte Regelungen für die Entwicklung gentechnisch hergestellter Medikamente und Impfstoffe vorübergehend außer Kraft gesetzt hat.

Das Gutachten, das die (pseudo)wissenschaftliche Grundlage für Kennedys Klage bildet, präsentiert CRIIGEN auf seiner Webseite, mitsamt Links zum Verfahren bzw. dem federführenden Anwalt. Nach bewährtem Muster rührt das Dokument ohne Einordnung alles zusammen, was sich in der Literatur so findet, um die Impfstoffe als unvollständig getestet, absehbar gesundheitsschädlich und als potenzielle Bedrohung der Menschheit, wenn nicht sogar der Biosphäre darzustellen. Unter bestimmten, theoretisch möglichen Bedingungen könnten RNA-Gene aus dem Impfstoff ihren Weg in andere RNA-Viren oder sogar ins Genom finden, und dann könne niemand ausschließen, dass …

A report by molecular geneticist Cristian Velot of Criigen, points out that they could lead to viral recombination potentially more serious than the viruses targeted by the vaccine, impacting both animal life and human health.  The risks of interaction with human DNA or the introduction of new genetic technologies may have unknown, potentially serious and irreversible consequences.  In other words, no specific measures will be applied to control the risk of genetic modification of living beings.

The six applicant associations (…) denounce this experimentation as dangerous for the participants in the clinical trials and for both the human race and the environment; they demand the immediate application of the precautionary principle, in compliance with the rules of law.

Die Klage wird von weiteren Vereinen getragen: der Ligue Nationale Pour la Liberté des Vaccinations (eine französische Anti-Impf-Organisation), der Association Terra SOS-tenible der Chemtrail-gläubigen Spanierin Josefina Fraile Martín, der Association Internationale pour une Médecine Scientifique Indépendante et Bienveillante, die gegen die „Impfdoktrin“ der europäischen Regierungen zu Felde zieht und dem Impfgegner-Verein European Forum for Vaccine Vigilance.

Der Hintergrund: EU-Parlament und Rat hatten am 15. Juli 2020 beschlossen, die Entwicklung von COVID-Impfstoffen und -Therapeutika zu erleichtern. Da dies nicht ohne Gentechnik geht und das immer aufwändige Gutachten zu allen möglichen hypothetischen Risiken erfordert, waren sie dem Vorschlag der EU-Kommission gefolgt und hatten eine befristete Ausnahme von den Anforderungen im Hinblick auf Umweltverträglichkeitsprüfungen geschaffen. Vorübergehend kann auch auf die vorgeschriebene Risikobewertung hinsichtlich der absichtlichen Freisetzung oder der Anwendung von GVO in geschlossenen Systemen verzichtet werden – ein Beschluss, dem die grüne Fraktion im Parlament übrigens mit Ausnahme der deutschen Abgeordneten Viola v. Cramon nicht zustimmen mochte. Sie enthielten sich mehrheitlich der Stimme.

Doch nicht nur CRIIGEN, auch ENSSER wandert ins Lager der Corona-Rebellen ab. Der Verein verbreitet die Hypothese, das Coronavirus entspringe einem molekularbiologischen Labor, sei also Ursprung menschlicher Hybris. Das passt zu den jahrelangen Bemühungen, Gentechnik als Frankenstein-Technologie zu verteufeln und in Bausch und Bogen abzulehnen. Während eines Zoom-Meetings des Vereins am 10. Oktober 2020 zum Thema COVID trug ENSSER-Mitglied Ignacio Chapela darüber hinaus vor, es gebe keinen wissenschaftlichen Konsens über Virus und Erkrankung. Wissen werde unterdrückt, bestimmte Fragen verboten. Sein Fazit in Querdenkerlyrik: 

… and so we are left under the virologist’s rule:
Isolated, disorganized, disoriented,
Hiding behind masks and closed doors
And behind an overwhelming fear of Death,
Waiting for a vaccine that may or may not come
That may or may not be available to each of us,
Descended from Olympian heights,
Yet, a vaccine that we all must take
Before we are allowed back
Into our lives.
Orphaned of the Regard of Science
A New Normal, it is called…

Testbiotech präsentiert sich vorsichtig skeptisch. Then sagt kein kritisches Wort über Impfstoffe, aber er unterstützt sie auch nicht. Stattdessen fordert er eine strengere Einhaltung des Vorsorgeprinzips durch die EU und kritisiert wie Kennedy die Ausnahmeregelungen. Man darf davon ausgehen, dass vor allem seine anthroposophisch orientierten Förderer wie die Software AG Stiftung (mit Eurythmie das Immunsystem gegen COVID stärken), die Zukunftsstiftung Landwirtschaft und die tegut-Supermarktkette ihn hinter den Kulissen längst dazu drängen, sein vermeintliches Fachwissen auch zu einer kritischen Evaluation der neuen Impfstoffe zu nutzen.

Grüne am Scheideweg

Die Grünen werden sich entscheiden müssen. Entweder sind sie die Partei der Wissenschaft, die auch abseits der Klimaforschung anerkennt, was weltweit Stand der wissenschaftlichen Diskussion ist. Oder sie sind die Partei der Querdenker, der anthroposophischen Impfgegner, der Esoteriker, die glauben, kosmische Energie helfe ihnen beim Gärtnern und bei der Abwehr von Viren, und der Quacksalber, die Krebs, COVID und AIDS mit Homöopathie zu heilen versprechen. Ein Mittelweg ist in der Pandemie kaum denkbar. 

Öffnete sich die Partei bei der Diskussion um ihr neues Grundsatzprogramm noch einer Debatte um neue Methoden der Pflanzenzucht und lehnte Freilandversuche mit neuen Pflanzen nicht mehr grundsätzlich ab, sprach sie sich am Wochenende beim Landesparteitag in Baden-Württemberg, einer Hochburg anthroposophischer Querdenker, sogar für Eingriffe in die Forschungsfreiheit aus, um „Gentechnik auf dem Acker“ zu verhindern.

Lange kann dieser Schlingerkurs nicht weitergehen.