Mittwochmorgen-Massaker
Die stolze Volkspartei CDU hat sich in den Koalitionsverhandlungen mit SPD und CSU abschlachten lassen. Die einzig positive Wendung könnte der Personalwechsel im Auswärtigen Amt sein.
Das „Saturday Night Massacre“ ist in Amerika jedem mit einem Minimum an politischem Interesse ein Begriff: Im Oktober 1973 verschliss Präsident Nixon an einem einzigen Abend seinen Justizminister und dessen Stellvertreter beim Versuch, den Chef des Watergate-Untersuchungsausschusses Archibald Cox zu entlassen. Es entstand ein gewaltiger politischer Fallout, und am Ende trat Nixon zurück.
Mit dem heutigen Abschluss der schwarz-roten Koalitionsverhandlungen und dem Bekanntwerden der geplanten Ressortverteilung einer neuen Bundesregierung bietet sich wenigstens aus Sicht der CDU ein ähnlicher Begriff an. Was der einst so stolzen Volkspartei hier widerfahren ist, darf man ohne Übertreibung als Mittwochmorgen-Massaker bezeichnen: Mit Außen und Finanzen musste man beide umkämpften Schlüsselressorts der SPD überlassen. Ein ähnliches Blutbad hatten die Genossen bei der Union zuletzt nach der Wahl von 2005 angerichtet, damals jedoch auf der Basis eines heute unvorstellbaren Ergebnisses von 34,2 Prozent.
Sicherlich war der Union von Anfang an klar, dass das schwache Wahlergebnis und der enorme Erfolgsdruck, unter dem die SPD nach dem knappen Sonderparteitag Ende Januar stand, ihren Tribut fordern würden. Dank der asymmetrischen Kriegsführung in Form des Mitgliederentscheides mussten CDU und CSU der SPD inhaltlich und personell entgegenkommen, damit deren missmutige Mitglieder dem Zweckbündnis überhaupt ihren Segen gaben.
Mitleiderregend
Doch was jetzt zusammengestückelt wurde, ist für eine Partei, die als Siegerin aus der Bundestagswahl hervorgegangen war, nicht mehr nur schwach, es ist mitleiderregend. Mit Brosamen hat die CDU sich abspeisen lassen, mit den Ministerien für Landwirtschaft und für Bildung, mit den Schleudersitzen Gesundheit und Verteidigung und mit einem Wirtschaftsministerium, das schon in der vergangenen Legislaturperiode keine Akzente gesetzt hat und dies als Gegenpol zu einem SPD-Finanzminister auch in Zukunft kaum tun dürfte.
Erst jetzt wird deutlich, wie schlecht die Verhandlungsposition der CDU tatsächlich war. Die Verzweiflung beim Versuch, zumindest das Kanzleramt zu retten, lässt sich daran ablesen, wie wenig Widerstand der Pyrrhussieger der Bundestagswahl dagegen leistete, sich von den Verlierern SPD und CSU über den Tisch ziehen zu lassen. Logisch daher auch, dass die Verhandlungssieger sich mit den Ergebnissen überproportional zufrieden zeigten, während das CDU-Präsidium heilfroh sein kann, seinerseits keinen Mitgliederentscheid einberufen zu haben. BILD-Chefredakteur Julian Reichelt brachte das Elend auf den Punkt:
Das ist das historisch schlechteste Verhandlungsergebnis, das je ein Wahlsieger erzielt hat.
— Julian Reichelt (@jreichelt) 7. Februar 2018
Was bleibt vom Verhandlungsmarathon? Enttäuschung. Die kürzesten Koalitionsverhandlungen der bundesdeutschen Geschichte – Kein Witz! – zeitigen ein Ergebnis, das man mit Fug und Recht als Bündnis der Verlierer bezeichnen kann. Die SPD, in den Umfragen am Abgrund, versucht den Kreis zu quadrieren und sich in der Regierung zu „erneuern“. Zugleich sehen die Genossen sich jedoch gezwungen, mit Olaf Scholz‘ Einsetzung als Finanzminister ihren letzten großen Trumpf schon jetzt zu ziehen, in der Hoffnung, dass es für ihren Hoffnungsträger 2021 nicht schon zu spät ist.
Die CSU feiert Gimmicks wie das „Heimatministerium“ und verhaspelt sich endgültig im unendlichen Zweikampf zwischen Seehofer und Söder. Den kurzfristigen Triumph in Berlin bezahlt sie mit einem enormen Handicap im Landtagswahlkampf daheim.
Und die CDU? Die ermöglicht ihrer Kanzlerin einen wenig schmeichelhaften Abgang, indem sie ihr einen noch peinlicheren erspart hat. Angesichts der heftigen Verluste, unter denen das Kabinett Merkel IV zustandegekommen sein wird, werden die Diadochenkämpfe um Merkels Nachfolge schon jetzt an Fahrt gewinnen. So oder so, für Merkel geht es dem Ende entgegen.
Klarere Ansagen gegenüber Russland
Der Fairness halber auch noch ein Blick auf die wenigen positiven Entwicklungen: Sigmar Gabriels Stippvisite im Auswärtigen Amt geht endlich, endlich vorbei. Ob und inwieweit Martin Schulz den Kurs seines Vorgängers am Werderschen Markt korrigieren wird, ist zwar noch unklar, doch erlaubt Schulz, der, wenn schon nichts anderes, so doch zumindest Europa nachweislich „kann“, Hoffnung auf Besserung und klarere Ansagen gegenüber Russland. Befreit von dem Mühlstein, im Schatten des Gottkanzler-Images die SPD anführen und „erneuern“ zu müssen – diesen Kelch soll jetzt Andrea Nahles leeren – kann er gemeinsam mit Merkel die staatsmännische Stabilität aufs Parkett bringen, die die Welt sich von Deutschland gerade so sehnlich wünscht. Und der Hamburger Olaf Scholz verspricht auch in einem SPD-geführten Finanzministerium ein vernünftiges Maßhalten.
Trotzdem sollten wir uns nichts vormachen: Außenpolitische Stabilität wird innenpolitisch mit der endgültigen Aushöhlung der Volksparteien erkauft. Wer noch Kritik an der „Groko“ loswerden möchte, der sollte das bald tun: Die aktuelle wird vermutlich die letzte sein, die noch eine eigene Mehrheit hat.