Mit einem neuen Vorstoß beanspruchen NGOs die Oberhoheit über die Zulassung von Gentechnikprodukten wie Arzneimitteln und Saatgut. Zahlen sollen die Unternehmen der Gen- und Biotechnologie-Branche über eine Art Biotech-Strafsteuer. Über die Verwendung der Mittel wollen Umwelt- und Verbraucherschutzverbände entscheiden.

Seit einigen Jahren stehen nicht nur Zulassungsbehörden, sondern der gesamte Zulassungsprozess für umstrittene Produkte und neue Technologien unter Dauerfeuer von NGOs sowie linken und grünen Parteien (Teile der derzeitigen Regierungskoalition eingeschlossen): Stützt das Ergebnis der wissenschaftlichen Begutachtung durch die zuständigen Fachstellen nicht die politischen Erwartungen und Forderungen, erheben sie sogleich Vorwürfe, die Behördenmitarbeiter zeigten zu große Nähe zur Industrie („Drehtürkarriere“) und würden Industriegutachten unkritisch „durchwinken“.

Mittlerweile richtet sich die Kritik auch gegen das Zulassungsverfahren als solches. Wie in allen Industrienationen üblich, müssen Hersteller für eine Zulassung belegen, dass ihre Produkte allen Vorschriften genügen und allen vorgeschriebenen Tests unterzogen wurden (oft genug durch Gutachten und Studien unabhängiger Institute). NGOs skandalisieren das, indem sie suggerieren, dies würde Manipulationen Tür und Tor öffnen („zugelassen aufgrund von Industriestudien!“). Sie behaupten auch, das Vorsorgeprinzip würde dabei nicht berücksichtigt, das sie auf die verkürzte Formel von Hans Jonas bringen: „Der schlechten Prognose den Vorrang zu geben gegenüber der guten, ist verantwortungsbewusstes Handeln im Hinblick auf zukünftige Generationen.“ 

Ihr Ziel ist es daher, die Zulassung neuer Produkte nicht staatlichen Stellen zu überlassen, sondern sie in die Hände „zivilgesellschaftlicher Organisationen“ zu geben. Nicht mehr Behörden sollen entscheiden, sondern Verbände, die von sich behaupten, für das Gemeinwohl und den Schutz zukünftiger Generationen einzutreten.

Zivilgesellschaftssteuer für Biotechnologie-Unternehmen

Wie erst jetzt bekannt wird, gibt es zur Durchsetzung dieser Forderung bereits konkrete politische und rechtliche Überlegungen und Strategien. Eines der Dokumente, ein von einer NGO beauftragtes Rechtsgutachten aus dem Jahr 2017, hat nun den Weg in die Öffentlichkeit gefunden, nachdem eine zentrale Forderung des Gutachtens bereits im Dezember 2017 vom BUND erhoben wurde (damals noch auf die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln beschränkt): „Die notwendigen Zulassungsprüfungen“, hieß es damals, „dürfen nicht mehr von den antragstellenden Pestizidfirmen, sondern müssen von unabhängigen wissenschaftlichen Instituten durchgeführt werden. Die Vergabe der Studien muss durch die Zulassungsbehörden erfolgen. Sie müssen über einen industrieunabhängig verwalteten Fonds finanziert werden, der aus Gebühren der antragstellenden Firmen gespeist wird.“ Nun zeigt sich: Die NGOs wollen die Zuständigkeit für sämtliche Produkte der Gen- und Biotechnologie. Damit stellen sie auch die gültigen Zulassungsregeln für gentechnische Produktionsverfahren und Arzneimittel zur Disposition.

Die Autorin, Dr. Cornelia Ziehm, ist Umweltjuristin und berät seit langem die Deutsche Umwelthilfe, den BUND, Foodwatch, den IPPNW und andere in Umweltfragen. Das von ihr erstellte Gutachten trägt den Titel „Modelle zur Finanzierung vorsorgeorientierter Risikoforschung im Bereich der Gen- und Biotechnologie“ und entwirft ein Konzept, wonach in Zukunft Unternehmen der Gen- und Biotechnologie mit einer neu zu schaffenden Sondersteuer in noch zu bestimmender Höhe zu belegen sind. Die Mittel sollen in einen Fonds für „vorsorgeorientierte Risikoforschung“ fließen. Dabei soll es um die Themenkomplexe „Herstellen und Inverkehrbringen von Stoffen der Gen- und Biotechnologie“ im weitesten Sinne gehen, d.h. nicht nur Saatgut, sondern auch Arzneimittel. Offen bleibt, ob damit auch gentechnisch hergestellte Aromen, Farbstoffe, Produktionsorganismen, Zellkulturen, Vitamine usw. gemeint sind. Wie die „vorsorgeorientierte Risikoforschung“ im Einzelnen aussehen und wer sie durchführen soll, sollen Umwelt- und Verbraucherschutzverbände über einen Beirat bestimmen. Ziehm ist der Auffassung, dass eine solche Abgabe oder Steuer rechtssicher eingeführt und den Unternehmen der Gen- und Biotechnologie in Deutschland auferlegt werden kann.

Fragen der konkreten Verwendung der erhoben Mittel und der Organisation der „vorsorgeorientierten Risikoforschung“ sind nicht Gegenstand des Gutachtens, aber im ersten Kapitel des Gutachtens deutet die Verfasserin schon an, wer damit nicht betraut werden sollte: Forscher mit „Nähe zur Gen- und Biotechnologieindustrie“ erscheinen ihr ebensowenig glaubwürdig wie akademische Forscher, die an Universitäten und Forschungseinrichten mit Drittmitteln aus Industrie und Wirtschaft geforscht haben. Suspekt sind ihr auch durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierte Projekte, denn auch die DFG fördere „eher eine auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete als eine an einer systematischen Überprüfung von Risiken für Mensch und Umwelt orientierte, schutzgutbezogene Forschung.“

Wer bleibt dann zur Beurteilung übrig? Hier lautet die Standardantwort, unlängst in Sachen Genome Editing vom grünen Urgestein Simone Peter ein weiteres mal mit Überzeugung vorgetragen: „Haben wir uns in den 80ern in allen Details mit Nuklearforschern auseinandergesetzt, um gegen AKws argumentieren zu können? Nein. Denn für Technikfolgeabschätzung sind ethische, ökonomische o. soziale Zusammenhänge wichtig, so auch bei #CRISPR. Ich bleibe bei: Nein zu #GMO!“ Beurteilen sollen also wohl fachfremde Geisteswissenschaftler, die schon heute den Großteil der Agrar- und Gentechnikexperten bei NGOs für Unwelt- und Verbraucherschutz stellen.

Das Gutachten folgt dem bekannten Narrativ der NGOs. Die herkömmliche Risikoforschung sei „interessengeleitet“ und die zuständigen staatlichen Stellen würden nur noch eine „bloße Plausibilitätskontrolle“ betreiben, die „die vorgelegten Forschungsergebnisse lediglich nachvollzieht.“ Weiter heißt es: „Originäre Risikoforschung geschieht in den staatlichen Institutionen allerdings nicht oder nur in einem vergleichsweise begrenztem Umfang. Darüber hinaus ist teils eine mehr oder weniger große ‚Nähe‘ von Mitarbeitern der staatlichen Forschung-bzw. Bewertungseinrichtungen zur Gen-und Biotechnologieindustrie festzustellen.“ Damit würden diese Einrichtungen ihre „Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung und der Umwelt“ nicht hinreichend wahrnehmen. Explizit genannt werden das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Biotech-Industrie als Gefährder

Das Gutachten geht sogar noch einen Schritt weiter und schreibt: „Weder das Gentechnikgesetz noch das Chemikaliengesetz oder das Lebensmittel-und Futtermittelgesetzbuch oder diesen ähnliche Gesetze enthalten konkrete Vorschriften zur Finanzierung von Forschung. Entsprechendes gilt für das Arzneimittelgesetz. Wird in staatlichen Institutionen zu den in diesen Gesetzen geregelten Bereichen geforscht oder Forschung veranlasst, ist deshalb davon auszugehen, dass die Finanzierung der Forschung durch nicht zweckgebundene Steuer über den allgemeinen Haushalt und die jeweiligen Kostenstellen erfolgt.“

Das hält die Gutachterin offenbar für einen Skandal, denn die Unternehmen, die biotechnologische Produkte auf den Markt bringen, müssten nach dem Verursacherprinzip nicht nur für mögliche Folgeschäden, sondern auch für alle Risikoabschätzungen und Vorsorgemaßnahmen aufkommen. „Das Verursacherprinzip legitimiert dabei nicht nur Maßnahmen, die dem Verursacher in einem unmittelbaren Sinne Kosten auferlegen (wie z. B. Sanierungskosten), sondern auch Kosten für die Vermeidung und Verringerung von Schäden oder Belastungen.“

Biotechnologieunternehmen, ob sie nun Arzneimittel oder Pflanzen herstellen, werden nicht mehr daran gemessen, dass ihre Produkte Leben retten, Kosten sparen, Lebensqualität schaffen, sondern daran, dass sie Verursacher von potenziellen Risiken sind, die sie mit ihren Produkten der Allgemeinheit aufbürden, um Geld zu verdienen. „Die Unternehmen der Gen-und Biotechnologie verfolgen eine gemeinsame Interessenlage, nämlich die Herstellung und das Inverkehrbringen von Stoffen und Produkten aus eben dieser Branche.“ Daher sollen auch die Hersteller von medizinischen Biotechnologieprodukten in die Pflicht genommen werden, um den NGOs die „unabhängige“ Evaluierung nicht nur von Arzneimitteln, sondern auch von biotechnologisch hergestellten Pflanzen oder Pflanzenschutzmitteln zu finanzieren.

Das Gutachten kommt zu dem Schluss: „Nach alledem erscheint es nicht ausgeschlossen, dass eine Abgabe auf das Herstellen und Inverkehrbringen von Stoffen und Produkten aus dem Bereich der Gen-und Biotechnologie zur Gewährleistung einer vorsorgeorientierten Risikoforschung erhoben werden kann.“ 

Handlungsbedarf, so heißt es in dem Gutachten, entstehe vor allem dadurch, dass Grundgesetz und auch einschlägige EU-Richtlinien „vorsorgeorientierte Risikoforschung“ einforderten. Diese aber finde derzeit durch staatliche Stellen praktisch nicht statt, d.h. der Staat komme seiner Aufgabe, für einen existenziellen Schutz des Lebens und der Gesundheit seiner Bürger, der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere zu sorgen, nicht ausreichend nach. 

Gute Chancen für eine Umsetzung 

Es wird nicht einfach sein, den Zulassungsprozess in Europa im Sinne der NGOs umzubauen. Ein deutscher Sonderweg hingegen, bei dem auf die Zulassungsverfahren weitere Verfahren aufgesattelt werden, scheint durchaus möglich.

  • Erstens wird Gen- und Biotechnologie trotz aller medizinischen Fortschritte in der Öffentlichkeit noch immer als Hochrisikotechnologie abgelehnt. Die Ablehnung reicht bis in weite Teile von Medien, Justiz und untere Behörden. Deutsche Richter haben in der Vergangenheit so genannten Feldbefreiern, die Felder oder Gewächshäuser mit Gentechnik-Versuchspflanzen verwüsteten, häufig eine Art Notwehr zugebilligt, weil die Täter glaubhaft machten, sie hätten die Lebensgrundlage durch Gen- und Biotechnologie gefährdet gesehen und deren Schutz aus Mangel an staatlicher Fürsorge selbst in die Hand genommen.
  • Zweitens genießen Umwelt- und Verbraucherschutzverbände durch das Verbandsklagerecht schon jetzt umfangreiche Sonderrechte, die es ihnen ermöglichen, gegen jedes größere Bau- oder Infrastrukturprojekt Rechtsmittel einzulegen. Dieser Einspruch ist inzwischen zur Regel geworden, da es lukrativ ist, sich Einsprüche und Klagen durch „Spenden“ abkaufen zu lassen.
  • Drittens ist eine Parallelzulassung bei zahlreichen Konsumgütern (Lebensmittel, Textilien, Möbel usw.) längst etabliert, indem Verbände sinnlose Siegel und Zertifikate („ohne Gentechnik“) vergeben und Produkte nach intransparenten Kriterien bewerten. Wer sich den Spielregeln dieser Einrichtungen nicht unterwirft, bleibt spätestens nach einer öffentlichen Abwertung auf seiner Ware sitzen.
  • Viertens hat die derzeit regierende Koalition in Sachen Genome Editing den zuständigen behördlichen Einrichtungen mit der Etablierung einer „Fachstelle Umwelt und Gentechnik“ (FUG) bereits das Vertrauen entzogen. Die Fachstelle – ohne Ausschreibung finanziert aus Mittel des CDU-geführten Forschungsministeriums und des SPD-geführten Umweltministeriums – wird von einer Anti-Gentechnik-NGO getragen, deren Leiter sich u.a. durch gemeinsame Publikationen mit dem diskreditierten Anti-Gentechnik-Aktivisten und Homöopathie-“Forscher“ Gilles-Eric Séralini wissenschaftlich „qualifiziert“ hat. Im Beirat der Fachstelle sind ausschließlich Anti-Gentechnik-NGOs vertreten. Die Aufgabe der FUG, Behörden, Politik und Öffentlichkeit in Sachen Genome Editing und anderen modernen molekularbiologischen Verfahren zu unterrichten, ist originäre Aufgabe von Bundesbehörden wie dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und der dort angesiedelten Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) sowie dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Es ist, als würde das Gesundheitsministerium einen Impfgegner-Verein, dessen Leiter die Existenz von Viren bestreitet, mit der Evaluierung neuer Impfstoffe beauftragen.
  • Fünftens ist die mitregierende SPD mit dem ausdrücklichen Ziel in die Regierung eingetreten, die Zulassung von Gentechnikprodukten anders zu organisieren und dabei eine „stärkere Gewichtung gentechnikkritischer Forschung“ vorzunehmen.

In diesem Klima schient – zumindest in Deutschland – derzeit alles möglich, was der Gen- und Biotechnologie schadet.