Es gibt ein ökologisches Desaster in Deutschland, das kaum Schlagzeilen macht. Im Gegensatz zu manchen Pseudo-Ökokatastrophen sind die Folgen sichtbar, messbar und gravierend. Eine Lösung wäre einfach, man muss es nur wollen.

Was sind die größten ökologischen Herausforderungen? Die meisten Deutschen würden vermutlich antworten „Klima“, „Plastikmüll“, „Diesel“. Zumindest sind das die Themen, die gerade Schlagzeilen machen. Aber sind das wirklich die richtigen Prioritäten? Die Belastung der Luft durch Stickoxide aus Dieselabgasen sinkt seit Jahrzehnten (nur die Aufregung darüber nimmt zu). Plastikmüll wird in Asien und Afrika ins Meer gekippt, nicht in den norddeutschen Seehäfen. Und selbst wenn es Deutschland gelänge, den Ausstoß von Kohlendioxid massiv zu senken, hätte dies einen kaum messbaren Einfluss aufs globale Klima.

Es scheint, die Öko-Deutschen ängstigen sich lieber vor Prognosen und düsteren Prophezeiungen als vor konkreten Übeln, die hier und heute stattfinden. Sonst würde ein ganz anderes Thema Talkshows und Stammtische beherrschen: das Verschwinden der Wiesen. Ja, Sie haben richtig gelesen, das Wiesensterben ist das folgenreichste ökologische Problem zwischen Flensburg und Berchtesgaden. Der artenreichste Lebensraum unserer Breiten geht verloren. Über 1.000 Pflanzen- und mehr als 3.000 Tierarten sind auf Wiesen als Lebensraum angewiesen. 

Immerhin hat eine der Folgen des Wiesenschwunds den Sprung ins öffentliche Bewusstsein geschafft: der Rückgang der Insekten. Doch die Hauptursache dafür, ist den meisten Bürgern nach wie vor unbekannt. Warum ist das so? Es bedarf eines geschulten Blickes und einem Minimum botanischer Kenntnisse, um wahrzunehmen was in der Kulturlandschaft vor sich geht. Wir fahren übers Land und sehen grüne Wiesen. Oft ist das Grün schön gelb getupft vom Löwenzahn. Wo ist das Problem? Gras wächst doch überall? Stimmt, aber was wir sehen sind keine Wiesen mehr, sondern „Grasäcker“.  Landwirte bauen oft nur noch eine einzige Sorte Gras an, die sich besonders gut als nahrhaftes Rinderfutter eignet. Verschwunden sind die bunten Blumen, die Kräuter und die Artenvielfalt der Wildgräser. Selbst ein Fußballfeld besteht aus mehr Grasarten als eine Hochertragswiese. 

Und die schönen gelben Tupfen im Grün? Das sind doch Blumen? Ja, der Löwenzahn gehört zu den wenigen Wildpflanzen, die mit reichlicher Düngung gut zurechtkommen. Fast alle anderen verschwinden, wenn die Gülledusche über sie kommt. Denn im Laufe der Evolution haben sie sich an magere Böden angepasst. Dass eines Tages der Mensch auftaucht und freigiebig eine extra Portion Stickstoff spendiert, war nicht vorgesehen. Die mageren Wiesen sind die artenreichen, nicht die fetten.

In Städten steigt die Artenvielfalt

Etwa die Hälfte der Fläche Deutschlands wird landwirtschaftlich genutzt. Das meiste davon ist Ackerland, auf dem unsere Nahrungsmittel, Tierfutter und Energiepflanzen wachsen. Etwa ein Drittel der Agrarfläche (4,7 Millionen Hektar) ist Grünland, also das, was umgangssprachlich „Wiese“ oder „Weide“ genannt wird. In Deutschland ist der Anteil magerer (also artenreicher) Wiesen um mehr als 90 Prozent geschrumpft, sagt das Bundesamt für Naturschutz. Und mit den Pflanzen verschwinden die Tiere. Wildbienen, Heuschrecken, Zikaden und vor allem Schmetterlinge können auf Grasäckern nicht existieren. Um zwei Drittel gingen die Bestände der auf Wiesen spezialisierten Tagfalterarten im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zurück. Auch die im Gras brütenden Vögel werden von Jahr zu Jahr weniger. Feldlerche, Kiebitz und Rebhuhn sind nur noch selten zu sehen und zu hören. Bestandverluste von 90 Prozent sind bei typischen Wiesenvögeln keine Ausnahme.

Während es den meisten Tiere des Waldes relativ gut geht und die Artenvielfalt in den Städten ansteigt, ist die Agrarlandschaft zur ökologischen Problemzone geworden. So gut wie alle Tierarten, die momentan in Deutschland seltener werden, sind auf Wiesen und Feldränder spezialisiert. 

Zwischen 1990 und 2013 wurden 600.000 Hektar Grünland umgepflügt. Wichtigster Treiber dieser Entwicklung war die Energiewende. Viele Landwirte errichteten subventionierte Biogasanlagen und wandelten ihr Grünland in Maisäcker um. Heute wächst auf über 2,5 Millionen Hektar Fläche Mais. Die Landschaft ganzer Regionen wird von Mais geprägt. Im Mais fühlen sich Wildschweine wohl. Fast alle anderen Tiere leider nicht. 

Seit 2013 darf Grünland nicht mehr umbrochen werden. Doch die verbliebenen Wiesen sind größtenteils ökologisch verarmt. Sie werden zu stark gedüngt (ob mineralisch oder organisch ist dabei egal). Wildblumen, Wildgräser und Kräuter verschwinden. Zurück bleibt ein Grasacker – grün aber leblos. Das mit Stickstoff gemästete Gras wächst am Boden viel zu dicht. Dadurch wärmt sich die Erde nicht mehr auf. Trotz Klimaerwärmung ist es auf solchen Hochertragswiesen zu kalt und nass für die meisten Insekten. Auch die Küken der am Boden brütenden Vögel gehen in dem feuchtkalten Klima ein.

Und weil das Gras so gut gedeiht, können die Landwirte häufig mähen, um Futter für die Kühe einzufahren. Bis zu sechs Mal im Jahr ist auf ertragreichem Grünland üblich. Grundsätzlich ist die Mahd notwendig. Ohne sie, oder die Beweidung durch Rinder, Schafe oder Pferde, gäbe es keine Wiesen. Mit der Zeit würde alles Grünland von Bäumen erobert.  Wiesen, die nicht mehr genutzt werden, verwandeln sich innerhalb weniger Jahre in Wald. Doch wenn sechs Mal jährlich die Mähmesser durch das Grasland sausen, verschwinden die meisten Wiesenbewohner. Die am Boden nistenden Vögel verlieren ihre Brut, wenn vor Juni geschnitten wird.

Man muss es nur wollen

Der Wandel in der Agrarlandschaft hat Arten auf die Roten Listen gebracht, die noch vor wenigen Jahrzehnten häufig waren. Das zeigt, wie schnell Tier- und Pflanzenpopulationen verschwinden können. Die gute Nachricht: Sie können sich auch wieder erholen, wenn man ihre Lebensräume wiederherstellt. Das wäre im Falle der Wiesen einfach. Die Subventionierung des Energiepflanzenanbaus hat gezeigt, dass Landwirte in kürzester Zeit ihre Wirtschaftsweise umstellen, wenn es ökonomische Anreize dafür gibt. Würde ein Teil der Agrar-Milliarden zur Rettung der Artenvielfalt eingesetzt, kämen die bunten Wiesenblumen, die Schmetterlinge und Lerchen wieder zurück. Seltener Mähen und weniger Düngen ist alles, was getan werden müsste. Eine politische Weichenstellung, die dies unterstützt, könnte eine sichtbare und messbaren ökologische Verbesserung bewirken – im Gegensatz zur unendlich teuren deutschen Energiewende, die am Weltklima nichts ändert.

Naturschutz muss nicht vergeblich sein, auch wenn es manchmal den Anschein hat. Zweimal schon wurden fast ausgestorbene Tierarten durch politisches Umsteuern gerettet.  In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwanden die Großtiere. Die Ursache war simpel: übermäßige Jagd. Man wollte sie los werden. Als Mitte des 20. Jahrhunderts ein kultureller Wandel eintrat, und sich die Einstellung zu wilden Tieren grundlegend änderte, stellte man sie unter Schutz. Etliche Großtierarten erholten sich wieder: Biber, Steinbock, Wildkatze, Fischotter, Kegelrobbe, Steinadler, Seeadler, Fischadler, Wanderfalke, Uhu, Kolkrabe, Kormoran und viele andere. Selbst Luchs und Wolf, die in Deutschland einst komplett ausgerottet waren, kehrten zurück. 

Mitte des 20. Jahrhunderts führte die Umweltverschmutzung zu neuen Verlusten, insbesondere bei Fischen, Amphibien und anderen Wasserlebewesen. Sie verschwanden aus industriell vergifteten Flüssen und Seen. Auch dies wurde mit der Zeit von Wissenschaftlern und Politikern als Problem erkannt und gelöst. Flüsse und Seen in Deutschland sind heute sauberer als zu Großmutters Zeiten.

In der Gegenwart spielen übermäßige Jagd und industrielle Umweltverschmutzung keine große Rolle mehr, wenn hierzulande wilde Tierarten seltener werden. Das große Naturschutzdilemma der Gegenwart ist der Wandel in der Agrarlandschaft, und insbesondere das Verschwinden magerer Wiesen. Die Allerweltsarten von gestern, sind die Verlierer von heute. Es ließe sich relativ einfach ändern. Man muss es nur wollen. Die Landwirte produzieren unsere Nahrungsmittel in noch nie dagewesener Quantität und Qualität. Das ist ihr Job und den machen sie gut. Von Schmetterlingen können sie nicht leben. Wenn wir das Jubilieren der Lerchen und das Konzert der Heuschrecken weiterhin hören wollen, wenn wir bunte Wiesen sehen und riechen wollen statt Einheitsgrün, müssen wir den Bauern ihren Ertragsverlust erstatten. So einfach ist das.

Am Donnerstag, den 4. April 2019 startet ein Film in den Kinos, der erklärt und sichtbar macht, warum das Verschwinden der Wiesen ein ökologisches Desaster ist. Er heißt „Die Wiese – Ein Paradies nebenan“. Die Deutsche Wildtier Stiftung hat vor über drei Jahren den Naturfilmer Jan Haft beauftragt, mit den technischen Mitteln eines modernen Dokumentarfilms die sechsbeinigen, vierbeinigen und geflügelten Bewohner artenreicher Wiesen vorzustellen. Haft lässt das Publikum in den Mikrokosmos Wiese eintauchen und porträtiert die Bewohner des Grünlandes aus ungewöhnlichen Perspektiven und so nah wie nie zuvor. Sein Film zeigt aber auch, warum dieser Lebensraum so bedroht ist und was geschieht, wenn Wiesen überdüngt, zu häufig gemäht oder umbrochen werden.

Jan Haft ist der wohl erfolgreichste deutsche Naturfilmer. Seine Filme wurden mit 200 Preisen im In- und Ausland auf allen international bedeutsamen Naturfilmfestivals ausgezeichnet. Sie laufen in den großen Fernsehsendern und erreichen dort Millionen Zuschauer. Nach „Das grüne Wunder- Unser Wald“ und „Magie der Moore“ ist „Die Wiese – Ein Paradies nebenan“ Hafts dritter Kinofilm. Die Deutsche Wildtier Stiftung hofft, mit diesem Werk möglichst viele Menschen für den Schutz der Wiesen zu begeistern.


Hinweis: Ich habe keine journalistische Distanz zum Thema dieses Artikels. Denn ich arbeite für die Deutsche Wildtier Stiftung und habe den Film „Die Wiese“ auf den Weg gebracht.