Ob bürokratisch, umgangssprachlich oder einfach falsch – es gibt Wörter und Redewendungen, die es nicht geben darf. Im Lexikon der schlimmen Sprache werden sie gesammelt. Und danach hoffentlich für immer vergessen. Diesmal: „Wir müssen reden“ als Texteinstieg

Das Lexikon der schlimmen Sprache

In diesem Land ist viel Aufregung. Meist lohnt sie nicht. Besser, sich über etwas zu echauffieren, das die Mühe wert und doch harmlos ist: verbrecherischen Sprachgebrauch. Inklusive Urteilsbegründung und Strafmaß.

Folge 1

Reden, wir müssen

Begründung

Wir müssen reden. Drei Wörter, drei Lügen. „Wir“ meint „Ich“. „Müssen“ heißt „will“. „Reden“ bedeutet übersetzt: „einen Vortrag halten und du hältst dabei das Maul“.

„Wir müssen reden“ ist der Einstieg in eine große Aussprache. Das „Schatz“ am Anfang ist dabei stimmlos, wird aber mitgedacht. Es gibt die Redewendung vielfältig als Buchtitel, als Name für diverse Talkformate und sogar als Film. Konnte man mal machen, wenn es wirklich um Gespräche ging. Musste man nicht. Und darf man nicht mehr. Denn inzwischen ist „Wir müssen reden“ wie und warum auch immer zu einem Standard-Einstieg deutschsprachiger Meinungspublizistik geworden, wenn jemand dringenden Mitteilungsbedarf hat. Genau darum geht es dabei: Nicht reden, sondern mitteilen. Hinter dem pseudo-lockeren Psychologenton stecken in der Regel Vorwürfe und missionarischer Eifer aus der Position des moralisch Bessergestellten. „Deutschland, wir müssen reden“ – danach wird es garantiert nie locker. Und nie witzig. Wie auch, wenn schon der erste Satz eine nachgeplapperte und deshalb strafverschärfende Marotte ist? Es folgt immer eine Predigt, dass „wir“ irgendwas tun oder lassen sollen. Genau genommen nicht „wir“, sondern „ihr“. Denn die predigende Person tut oder lässt es ja schon. 

Wenn Sie also das nächste Mal auf Twitter oder von einem Text mit dem Einstieg „Wir müssen reden“ überfallen werden, denken Sie daran, was wirklich gemeint ist. „Ich will einen Vortrag halten und du hältst dabei das Maul.“ Und dann wissen Sie: Muss ich nicht lesen.

Herkunft

Vielleicht aus der Paartheraphie. Hätte dort bleiben sollen.

Strafe*

In den See, mit einem Gewicht an den Füßen.

* Dr. Deutsch schlägt für das Verwenden schlimmer Wörter jeweils eine Körperstrafe vor. Sie ist an „Asterix bei den Schweizern“ angelehnt dreistufig: Fünf Stockhiebe, 20 Peitschenhiebe oder „In den See, mit einem Gewicht an den Füßen“. Dieser Vorschlag ist ein Scherz. Niemand muss sich darüber aufregen.

Im Namen des Volkes

Welches Wort hassen Sie? Welche Floskel macht Sie krank? Vorschläge werden jederzeit gern entgegengenommen.

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Gegenüber

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