Es gab mal so etwas wie einen Knigge für den Umgang mit Andersdenkenden. Man blieb in der Sache hart, aber im Ton höflich, mit einem Schuss Ironie. Nicht so jedoch Joachim Nikolaus Steinhöfel. Der operiert am liebsten giftig und laut. Daher an dieser Stelle ein offenes Wort.

Bis Mitte der Achtziger war Radiohören in Schleswig-Holstein eine relativ unspektakuläre Angelegenheit. Man hörte den „Fünf-Uhr-Club“ (NDR) mit Henning Venske – das war’s. Doch dann ging Joachim Nikolaus Steinhöfel on air. Und von da an musste man aufpassen, dass man nicht versehentlich im falschen Kanal landete. Die Jingles klangen wie eine Kommandoerklärung der RAF: „Hier ist Radio-Schleswig-Holstein mit Joaaachim! Nikolaaaaus! Steeeiiinhööfel!“ Man hatte Glück, wenn man bei „Steeeiiin!“ den Ausknopf erwischte.

Für uns Lübecker Punk- und Rockfans war Steinhöfel der lebende Beweis, dass der Äther schwer vergiftet war. Feinstaub und Stickoxide spielten noch keine Rolle, aber Steinhöfels nervige Dauerpräsenz mit gesundheitlichen Risiken nah am Hörsturz verlangte nach einem akustischen Emissionsschutzgesetz. Seine Moderationen waren keine An-, sondern Durchsagen, unterbrochen von dumpf quengelnder Popmusik, die einem „die Lieblingssongs der Sechziger, Siebziger und Achtziger“ um die Ohren haute. Steinhöfel wollte nichts weniger als „der monopolistischen akustischen Notversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ein Ende zu bereiten“ Das ging offensichtlich nur über Penetranz, Lautstärke und schlechte Musik. Der Publizist Hans Norbert Janowski erkannte in ihm einen ersten Vertreter des moderierenden „Antitypen“ in Deutschland, bei welchem sich der „Trend zum Provokateur und Publikumsbeschimpfer, zum unsympathischen Scheusal und Fiesling“ zeige.

Merkel durch ein Privatradio ersetzen

Auch später als Werbefigur für Media Markt blieb er seinem Motto treu: Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht. In seinen latent gewaltbereiten Werbespots erklärte er jeden für bekloppt, der nicht bei Media Markt einkaufte: „Wer nicht vergleicht, ist blöd!“. Und da Steinhöfel mit dieser Art Öffentlichkeitsbelästigung immer noch nicht ausgelastet war, mahnte er als Jurist mit eigener Kanzlei auch noch im Auftrag des Elektronikhändlers arglose Mittelständler ab.

Doch erst mit den sozialen Medien begann der unaufhaltsame Aufstieg des Joachim Nikolaus Steinhöfel: Facebook, Twitter, die Welt der Blogs, wunderbar und zugleich eine Art Disneyland für Demagogen. Und auf der anderen Seite die öffentlich-rechtlichen Anstalten, gegen die Steinhöfel einen Grundhass pflegte – ebenso wie gegen die Regierung Merkel, die er vermutlich am liebsten durch ein Privatradio ersetzt hätte. Und während er als Jurist randständige Krawalleros wie Matthias Matussek oder Akif Pirinçci vor Gericht vertrat, mit durchaus preiswürdigen Schriftsätzen wie „Herr Matussek hat weder Herrn Peters noch Herrn Poschardt als „durchgeknallt“ und/oder „Arschloch“ und/oder „durchgeknalltes Arschloch bezeichnet“, twitterte er sich ansonsten ohne Rücksicht auf Verluste durch den politischen Alltag: „Bring uns noch eine Million ins Land, Angela. Danke. Paris ist überall“ (nach dem Anschlag im Bataclan).

Resterampe für den rechten Schnäppchenjäger

Sein Blog mit dem irreführenden Namen „Liberal – Konservativ – Unabhängig“ wurde zur Resterampe für den nationalpopulistischen Schnäppchenjäger, der sich hier kostenlos mit Steinhöfel-Gutachten, etwa zum Schießbefehl bei illegalem Grenzübertritt durch Flüchtlinge, eindeckte, ehe er damit auf große Trollfahrt im Internet ging.

Kein Wunder, dass der Rechts-Experte irgendwann die Meinungsfreiheit als Thema entdeckte – oder zumindest das, was er unter „Meinungsfreiheit“ verstand. Weil Steinhöfel es offensichtlich für selbstverständlich hielt, dass man ihm irgendwann den Posten des Justizministers anbieten würde, veröffentlichte er einen Gegenentwurf zum NetzDG. Nicht Facebook soll für mehr Netiquette sorgen, sondern der Staat, was angesichts der Fülle der bei Facebook stattfindenden zivil- und strafrechtlich relevanten Rechtsverstöße einem Kollaps unseres Rechtssystems gleichkommen würde. Dagegen sollen laut § 4, Abs. 1 im Steinhöfel-Gesetz Anbieter sozialer Netzwerke auf Unterlassung und sogar Schadensersatz in Anspruch genommen werden können, „wenn sie Inhalte Dritter entfernen, deren Veröffentlichung nicht gegen deutsches Recht verstößt“, oder die Profile sogar gleich ganz löschen.

Das ist in etwa so, als würde sich ein Gast, der nach einer Kneipenschlägerei Lokalverbot erhalten hat, wieder Zutritt erstreiten, wenn er nachweisen kann, dass er nach deutschem Recht nur in Selbstverteidigung handelte. Und als Ausgleich für die erlittene Schmach muss der Kneipier ihm auch noch das umgestoßene Bier ersetzen. Man kann nur hoffen, dass Steinhöfel nie in Gefahr gerät, an der Erstellung eines deutschen Gesetzes mitzuwirken.

Viel Sturm und Drang im Wasserglas

Sein neuester Coup ist der Fall Greta: „Ein 16 jähriges Mädchen, altklug und verhaltensgestört, von Untergangsphantasie verfolgt und von der Idee besessen, die Welt retten zu müssen wird innerhalb weniger Wochen zur Ikone einer neuen Jugendbewegung“, schreibt Stinkstiefel Steinhöfel aus gefährlicher Glashaus-Position. Genau genommen hat er die Sätze abgeschrieben, bei Thomas Rietzschel, ohne Quellenangabe, wie es in diesen Kreisen so üblich ist. Also ein 56-jähriger Mann, altklug und verhaltensgestört, der nebenbei gesagt auch noch sämtliche anderen Charaktereigenschaften aufweist, die 16-jährige Jugendliche an den Erwachsenen so abstoßend finden.

In der Pubertät ist die Empfindsamkeit für Ungerechtigkeit und Intoleranz, für persönliche, soziale und ökologische Verletzungen riesig, der Weltschmerz ein essentieller Bestandteil des Erwachsenwerdens. Die Amerikaner nennen es „Coming Of Age“. Liebe, Kitsch und großes Gefühl gehen eine dramatische Verbindung ein. Den Klassiker dazu lieferte Goethe mit dem ersten Bestseller der Belletristik: „Die Leiden des jungen Werthers“. Man hätte also die Causa Greta Thunberg, wenn man ihren Klimaängsten keinen Glauben schenken will, kurz und bündig mit einem Satz abschließen können: Viel Sturm und Drang im Wasserglas! Man kann sich auch, wenn es einem das wert ist, inhaltlich mit dem Hype, dem Hass und der Instrumentalisierung rund um die Leiden der jungen Greta auseinandersetzen.

Nicht so jedoch Joachim Nikolaus Steinhöfel. Dem reichten seine klebrigen Herrenphantasien über junge Ikonen nicht aus. Er hat sich einen Satz aufgespart, den er bei Thomas Rietzschel entdeckt hat und der ihm so gut gefallen hat, dass er damit bei seinem säftelnden Anhang punkten will. Was fällt einem zu einem 16-jährigen Mädchen ein, das mit seinen Zöpfen und großen Augen eher wie eine 12-Jährige aussieht? Sexueller Missbrauch. Und weil es dazu auch einen Täter geben muss, denkt Steinhöfel ganz weit um die Ecke und halluziniert die Grünen herbei: „Mit Missbrauch kennen sich die Grünen aus.“ Darauf einen Schmierlappen für den Stammtisch!