Angeblich „vertritt“ Uwe Tellkamp „AfD-Positionen“. Sein Verlag Suhrkamp distanziert sich bei Twitter. Diese Logik ist gefährlich für die deutsche Gesellschaft. Wer ständig zu hören bekommt, er sage etwas, das die AfD angeblich auch sage, der kriegt die Wahlempfehlung beim Abschied aus der wohligen Mitte der Gesellschaft quasi hinterhergeworfen.

Wer, wie so viele Nutzer das tun, eher oberflächlich die Schlagzeilen der Onlinemedien scannt, der stolperte am Freitag über einen Skandal: Schriftsteller Uwe Tellkamp („Der Turm“) hat, so der Eindruck, bei irgendeiner Veranstaltung in Dresden Dinge gesagt, die den Verdacht nahelegen, er hänge rechtsradikalem Gedankengut an. Zu lesen ist, er habe „AfD-Positionen vertreten“.

Sein Verlag Suhrkamp distanzierte sich gar bei Twitter von seinem Autor.

Beim Anschauen des Mitschnitts des Auftritts – es handelte sich um eine Diskussion zwischen Tellkamp und Schriftsteller-Kollegen Durs Grünbein im Dresdner Kulturpalast am Donnerstag – wartet man lange auf die möglicherweise rechtsradikalen Passagen. Genau genommen kommen sie einfach: gar nicht.

Tellkamp beklagt die Asylpolitik der deutschen Bundesregierung, ärgert sich darüber, dass Meinungen, die diese Politik kritisieren, allzu pauschal in die rechte Ecke gestellt und die Kritiker diffamiert werden. Der Bundestag habe nicht abgestimmt über die Aufnahme Hunderttausender Menschen seit September 2015, Angela Merkel habe im Alleingang entschieden. Das kann man alles anders einschätzen, die Aussagen aber bewegen sich unzweifelhaft auf dem Boden des Grundgesetzes.

Herausdrängen, Verächtlichmachen und Brandmarken

Vollkommen zutreffend analysiert Tellkamp, dass die Beschimpfung von Menschen, die den Kurs der Bundesregierung hinterfragen oder ihn ablehnen, dem rechten Rand in die Hände spielt. Er kritisiert dafür die Medien scharf. „Was da auf Dresden niedergegangen ist, als würden da nur Irre wohnen, glaube Sie das hat keine Wirkung?!“, fragt er die Diskussionsleiterin rhetorisch. Eine Anspielung darauf, wie das Herausdrängen, Verächtlichmachen und Brandmarken von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft deren Abdriften an den rechten Rand – mitunter bis ins Extrem – befördert.

Wer ständig zu hören bekommt, er sage da etwas, was die AfD angeblich auch sage, der kriegt die Wahlempfehlung beim Abschied aus der wohligen Mitte der Gesellschaft ja gleich noch hinterhergeworfen. Man sieht sich dann früher oder später an der Wahlurne wieder.

Dass Suhrkamp es für nötig hält, klarzustellen, der Autor spreche nicht für das Verlagshaus, ist absurd. Zum einen geht niemand davon aus, ein Schriftsteller teile bei öffentlichen Äußerungen Positionen seines Verlages mit, zum anderen hatte er nichts gesagt, was auch nur im Ansatz auf eine extremistische Gesinnung schließen ließe.

Vielleicht will Tellkamp sich weder von linksliberalen Medien, noch von der AfD vorschreiben lassen, was seine Sicht auf die Flüchtlingspolitik zu sein hat. Denn genau das wäre die Konsequenz: Wer künftig seine Argumente und Positionen aufgeben soll, weil sie möglicherweise auch von irgendwelchen Pegidisten irgendwo geäußert wurden, dessen diskursive Bewegungsfreiheit endet plötzlich am Jägerzaun der AfD-Anhänger, die so immer tiefer in die demokratische Mitte ausgreifen und die Debatte immer weiter einengen und bestimmen können. Probleme ansprechen darf dann nur noch die AfD.

Die Linksliberalen definieren das logische Schließen völlig neu 

Früher ging logisches Schließen ja so: Man stellt eine Prämisse auf, nimmt mindestens eine weitere Prämisse hinzu und zieht daraus die Konklusion. Das sieht dann etwa so aus:

  • Prämisse P1: „Islamistische Gefährder haben es besonders leicht, nach Deutschland zu kommen, wenn man die Identität von Menschen an der Grenze nicht überprüft.“
  • Prämisse 2: „Die deutsche Bundesregierung hat Zehntausende Menschen ins Land gelassen, ohne deren Identitäten zu prüfen.“

Gehen Sie da noch mit? Vielleicht kommen Sie dann zur Konklusion: „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass im Zuge der Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung islamistische Gefährder ins Land gekommen sind.“

Doch halt! In neuer linksliberaler Suhrkamp-Logik sind Prämisse 1 und Prämisse 2 zwar möglicherweise gültig, sie wurden aber sicherlich auch schon aus den Reihen der AfD geäußert. Damit sind sie hinfällig. Und Sie sind fällig, wenn Sie sie verwenden. Es ist offenbar genau solche verquere Logik, die Tellkamp zu seiner – zugegeben drastischen – Warnung vor einer „Gesinnungsdiktatur“ veranlasste.

Witzigerweise scheint Suhrkamp mit seinem Tweet ihm nun auch noch zu bescheinigen, er hätte recht. Ist das nun tragisch oder geradezu genial? Jan Böhmermanns Versuchsaufbau der „Schmähkritik“ an die Adresse des türkischen Staatschefs Erdogan – bis heute als solcher übrigens von vielen völlig unverstanden – funktionierte nach ähnlichem Muster, wenngleich ausdrücklich intendiert (und in der Wirkung letztlich viel heftiger detoniert als gedacht).

Tellkamp sagt auch Fragwürdiges und Falsches

Unsinnig ist freilich diese Behauptung Tellkamps: „Die meisten (Anm. d. Red: Flüchtlinge) fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“ Die Zahl scheint absurd zu hoch gegriffen. Das kann man Tellkamp allemal vorwerfen, radikal ist aber auch diese Aussage nicht. Sondern einfach falsch.

Tellkamp sagt noch mehr Fragwürdiges, versteigt sich etwa zu der kühnen Aussage, „niemand in diesem Land“ lehne „eine moralische Verpflichtung ab, verfolgten Menschen zu helfen.“ Das ist offenkundig falsch. Dennoch sagt er zugleich ausdrücklich, dass er zu genau diesem Asylrecht stehe. In AfD-Kreisen dürfte das – wenn das jetzt der Maßstab ist – auf wenig Gegenliebe stoßen.

Der Schriftsteller fragt auch, was man denn wählen solle, wenn man mit der Flüchtlingspolitik nicht einverstanden ist. Es blieben einem dann nur AfD und Linkspartei. „Und dann sind Sie Populist.“ An dieser Stelle lohnt ein genauer Blick. Tellkamp bemängelt damit nämlich gerade nicht, dass AfD- und Linkspartei-Wähler als „Populisten“ gesehen werden, er beklagt vielmehr den Mangel an einer Alternative innerhalb des eindeutig demokratischen Spektrums. Explizit benennt er selbst das Phänomen, dass viele AfD-Wähler genuin aus der Mitte der Gesellschaft stammten.

Problematisch ist, dass Tellkamp bei seinen Ausführungen zum Islam zumindest in der ausgesprochenen Formulierung nicht scharf zwischen der Religion und deren extremistischer Pervertierung, dem Islamismus, trennt. Ihm geht es darum, wie nach seinem Erleben mit Menschen umgegangen wird, die sich kritisch über den Islam äußern. Die Reaktion auf Islamkritik sei: „Hass, Häme, in die Ecke schieben, populistisch sein, Nazi sein, braun sein. Und was mir auch Angst macht ist, wenn man das weitertreibt, und es wird leider in vielen Medien so getrieben: Dann entstehen die Nazis erst, die Sie vorher gar nicht hatten.“

Noch mal ganz deutlich: Tellkamp macht es Angst, dass eine Entwicklung im Gange sei, die Nazis hervorbringe. Deutlicher kann man sich vom Rechtsextremismus kaum abgrenzen. Der Schriftsteller warnt vielmehr eindringlich vor einer Tendenz, die er als gefährliche Fehlentwicklung erkannt hat.  Dass er nun selbst Opfer dieses Prozesses wird, der ihm Angst macht, ist nicht ohne bittere Ironie.

In der Folge ist Tellkamp in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem heutigen Tag gebrandmarkter Rechtsaußen. Was sein Kegelclub übrigens von seinem Auftritt hält – vielleicht erfahren wir es bald bei Twitter.