Der Kollege Hannes Stein hat meine Einschätzung, Donald Trump handle nicht irrational, in einem Beitrag zurückgewiesen. Warum er damit recht haben könnte und doch völlig falsch liegt, das erklärt dieser Widerwiderspruch.

Der wirre bis irre Herrscher ist eine archetypische Gestalt der Geschichte. Die Liste dieser gemeinhin gefährlichen Potentaten ist stattlich und lässt keine Epoche aus. Oft wurden diese Herrscher ob ihrer willkürlichen und sprunghaften Entscheidungen, ob ihrer Grausamkeit oder ihres Egos als Geisteskranke angesehen, wenn man mit auf Vernunft und Moral fußenden Erklärungen für das unmäßige Verhalten scheiterte. Der römische Kaiser Nero ist der Prototyp solch eines Herrschers: er habe sich, wie es heißt, am Brand Roms, dessen Feuer er möglicherweise selbst legen ließ, ergötzt. Sein Kollege Caligula, von 37 bis 41 römischer Kaiser, ist ebenso bis heute der Inbegriff eines irren Tyranns. Er wollte sein Pferd zum Konsul machen und das Zentrum des römischen Reiches von Rom nach Alexandria verlegen. Sein Biograph Sueton hielt ihn deswegen für wahnsinnig, ebenso der Philosoph Seneca – die Liste der angesehenen Zeugen ließe sich verlängern. Allein, heute hat man seine wissenschaftlich begründeten Zweifel, ob das alles stimmte. Es könnte sich vielmehr um eine gezielte Propaganda Oppositioneller gehandelt haben: ein Versuch, das Ansehen des Kaisers in den Schmutz zu ziehen. Aber so ganz sicher kann man da auch nicht sein, und deshalb werden wir auf ein niet- und nagelfestes Urteil noch warten müssen. Aber selbst bei solchen Figuren wie Idi Amin oder Muammar al-Gaddafi, zwei üble Schlächter mit einer Vorliebe für Operettenuniformen, deren Wirken noch nicht lange zurück liegt, ist der Verdacht auf – zumindest – Größenwahn nicht ganz von der Hand zu weisen und doch nicht zu erhärten.

Aber vielleicht taugen all diese Erklärungen für das scheinbar irrationale, übersteigerte, sinnlose Tun dieser Herrscher einfach nichts, bringen sie uns nicht näher an die Motivlage, die da in den Tiefen der Psyche verborgen liegen mag und vielleicht bloß Sadismus heißt oder Machtkalkül oder fehlende Empathie oder visionäre Überzeugungen.

EIN HEXER?

Aktuell ist es der amerikanische Präsident Donald Trump, der unter dem Verdacht steht, wenigstens eine Schraube locker zu haben – zu inkohärent erscheine seine Politik, zu despotisch gegenüber seinem Umfeld, zu undiplomatisch, linkisch, vulgär, stümperhaft, dumm, pathologisch sein Verhalten. Er schaue ununterbrochen fern, könne sich nicht auf wesentliche und schwierige Probleme der nationalen Sicherheit konzentrieren; er regiert per Twitter und spricht in kurzen, simplen Kindersätzen. Da erweist er sich allerdings als Meister der Elocutio, der sprachlichen Gestaltung mithilfe rhetorischer Figuren, die ihm nicht nur die Redenschreiber eingebimst haben können. Vor ein paar Monaten beschäftigte man sich sogar mit einer Ferndiagnose, die als Ergebnis bei Trump die Folgen einer verschleppten Syphilis meinte erkennen zu können.

Seit seiner Wahl zum US-Präsidenten wollen uns Bücher, Artikel, Kommentare weismachen, Donald Trump handle irrational. Sie lassen sich quasi in dem Ausruf zusammenfassen: „Der ist ja irre!“ Vielleicht liegt ja auch ein Fünkchen Wahrheit in dem Gedanken, die Trumpsche Art derber, beleidigender, scheinbar irrationaler Vereinfachung hätte die Mehrheit des amerikanischen Volkes verhext und ihm zum Amt verholfen. Näher an der Wahrheit liegt allerdings die Feststellung, dass es ein kolossales Versagen des linksliberalen Establishments, der Demokratischen Partei, der Kandidatin Hillary Clinton war, die Trump den Sieg gesichert hat. Clinton hatte die Mehrheit der Wähler, hatte die große Mehrheit des Industrie- und Finanzkapitals, hatte die meisten Medien auf ihrer Seite – trotzdem hat sie verloren. Sie hat vor allem verloren, weil sie einen schlechten Wahlkampfslogan und in den wichtigsten Staaten die falsche Strategie gewählt hatte; weil sie zutiefst unbeliebt war; weil sie Themen bevorzugte, die eher zur Mobilisierung von Trumps Wählern führte; und weil es da außerdem für ihren Gegner ein paar Hilfeleistungen aus dem fernen Osten gab. Bis heute haben sich die Demokraten nicht von dieser Niederlage erholt, und es scheint, dass die Rede von der Irrationalität Trumps das linksliberale Establishment davor schützt, sich mit den eigenen Fehlern intensiv zu beschäftigen, denn es lenkt die Niederlage ins Unerklärliche und erspart die eingehende Analyse – was ungemein bequem ist. (Dessen ungeachtet tragen aber selbstverständlich in erster Linie seine Wählerinnen und Wähler die Verantwortung dafür, dass dieser Kerl der 45. Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist.)

FUTTER FÜR DIE SCHAULUST

Gibt es denn keine Anzeichen für ein irrationales Handeln Trumps? Doch, ja, es gibt sie. Hannes Stein hat sie in seinem starken Beitrag aufgezählt (obwohl ich nicht jede der aufgezählten Verhaltensweisen als irrational eingeordnet hätte). Außerdem kann man jede Politik, die man für definitiv falsch, ja, verheerend hält, als irrational bezeichnen, denn wann man selbst den einzig wahren Weg für die Zukunft erkannt hat und überzeugt ist, dass ein jeder ihn erkennen kann und muss, der vernunftbasiert handelt, dann kann ein Abweichen von diesem Weg nur irrational sein. Das setzt aber natürlich voraus, dass man selbst mit dem Weltgeist im Bunde steht und mit einer höheren Weisheit begabt ist und jeder Andersdenkende ein Schwachkopf oder ein Teufel.

Ich halte die Politik des amtierenden amerikanischen Präsidenten für falsch. Aber woher soll ich die sicheren Informationen und die Voraussicht nehmen, dass zum Beispiel das bislang gültige Iran-Abkommen nicht doch vom Iran hintergangen wird und eher zu einem ganz großen Krieg im Nahen Osten führt? Andererseits, um ein anderes aktuelles Beispiel zu nehmen, scheint mir die Lage in Sachen Klimaabkommen, das Trump auch abservierte, ganz klar, denn der Klimawandel lässt sich nur als gemeinsame Anstrengung aller Nationen meistern. Seien wir ehrlich: Wir können nicht jede Folge unseres Tuns voraussehen, wie auch jede Folge unseres Nichtstun. In der Realität, die Leben heißt, gibt es meist mehrere Optionen.

Das Beharren auf einer Irrationalität (oder gar eines Irrsinns) des amerikanischen Präsidenten hilft uns jedenfalls nicht weiter. Sie ist nicht der Motor seines Handelns. Seine Impulsivität, seine Sprunghaftigkeit, seine Angeberei, seine Launen, seine Triebgesteuertheit – das alles ist ein Teil Trumps, aber entscheidend für sein Handeln und seine Entscheidungen sind in erster Linie seine Weltanschauung, seine Ideologie, seine Strategie. Es ist das Dilemma, ja, geradezu die Tragik der Betrachtung des Phänomens Trump, dass man sich viel zu lange mit seinen Tweets, seinen Lügen, seinen Widersprüchen beschäftigt hat. Der Grund dafür liegt in dem raffinierten Trick Trumps, uns und die Medien mit allerlei Allotria abzulenken. Und zu allererst liegt es an dem Trieb, der unsere Augen auf den Lebensmüden auf dem Hochhaussims oder auf die rauchenden Wracks beim Autobahnunfall heftet: der Schaulust.

EIN AMERIKANISCHER SIEGFRIED

Trump hat es geschafft, sein Programm, das er nun abarbeitet, auf einen einfachen, kaum schlagbaren Slogan zu reduzieren: „Make America Great Again!“ Der letzte, der das schaffte, hieß – Barack Obama mit seinem „Yes we can.“ Bei diesem – es ist eine Ermutigung – gibt es das verbindende „Wir“, das, zusammen mit dem Präsidenten, eine bessere Welt erschaffen will; bei jenem ist es eine Aufforderung an das Individuum (bzw. ein Ego) oder an jene im Lande, die sich angesprochen fühlen und zu einer verloren gegangenen Größe zurückwollen. Es steckt in diesem Slogan eine mythenstarke populistische Kraft, die den Satz in eine Parole verwandelt und die Gleichgesinnten unter einem programmatischen Dach versammelt, das auf folgenden Säulen ruht: auf der Wiederbelebung Amerikas als einer großen Nation, auf den Ressentiments gegen Andersdenkende und Migranten, auf dem amerikanischen Streben nach Vorherrschaft bzw. Unilateralismus.

In gewisser Weise erscheint Trump als moderner Siegfried (Wagner’scher Spielart), der das zerbrochene Schwert, die Größe Amerikas, wieder zusammenschmieden will. Seine Methoden entstammen nicht dem Handbuch der Diplomatie, des internationalen Rechts, des Multilateralismus. Da, wo Obama folgenlos rote Linien zog, setzt Trump auf riskante Verfahren der Spieltheorie wie dem „Spiel mit dem Feuer“ („Brinkmanship“), was der andere von den Medien für verrückt erklärte politische Führer, Nordkoreas Kim Jong-un, ebenso gut beherrscht und daher auch provozierte. Das hat zwar eine irrationale Note, aber das Mittel haben die Kennedy-Brüder während der Kuba-Krise auch angewendet, weil sie keine andere Wahl hatten. Und die Verwendung der internationalen Leitwährung Dollar, des amerikanischen Bankensystems und der Wirtschaftskraft zur Durchsetzung der eigenen Interessen ist gewiss nicht irrational, allerdings skrupellos und auf lange Sicht schädlich für die internationalen Beziehungen und die globale Wohlfahrt. Diese Art engstirnigen, kurzfristigen, egomanischen Denkens mag man irrational nennen. Dann besäßen wir den Trost, auf der vernünftigen Seite der Geschichte zu stehen, und würden wie gehabt unterschätzen, wie weit sich diese Art disruptiver Politik eigene Bedingungen schafft, eine eigene Realität. Und in dieser würden wir uns mit Trumps Ego, Entschlossenheit und möglicherweise auch seinem Erfolg abfinden müssen – und wahrscheinlich damit, dass er wiedergewählt wird.

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Hannes Stein gibt sich immer noch nicht zufrieden und erläutert hier, warum er Donald Trump für den Totengräber Amerikas hält.