Donald Trump arbeitet sein Programm ab – und die Welt tut überrascht. Tatsächlich ist sein Handeln vor allem ein Affront gegen Europa. Aber es bleibt keine Zeit, beleidigt zu tun. Die Zeit der Soft Power ist vorbei.

Für alle Kalamitäten und Konflikte im Weltgeschehen besitzt die etwas unscharfe Gestalt, die wir „Internationale Gemeinschaft“ nennen, letztlich vier Instrumente: militärische Gewalt (sprich: Krieg), Sanktionen, Verhandlungen (sprich: Diplomatie) und Nichtstun. Wenn man die letzten hundert Jahre zurückblickt, also quasi bis zum Beginn der versuchten institutionellen Einhegung zwischenstaatlicher Konflikte durch den Völkerbund, dann wird man feststellen, dass man alle vier Instrumente aus den unterschiedlichsten Gründen im einen oder anderen Fall angewendet hat. Der Völkerbund, auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson unter dem Eindruck des ersten großen Weltenbrandes 1920 gegründet, überlebte den zweiten Weltkrieg nicht – er hatte sich als untauglich erwiesen, den Aufstieg und die Aggression Nazi-Deutschlands zu verhindern. Die Vereinten Nationen sollten es ab 1945 besser machen, was ihnen mehr schlecht als recht gelang – zu abhängig sind sie von den Interessen der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Immerhin, Anfang der neunziger Jahre, nach dem Ende des Kalten Krieges und der Sowjetunion, war man sich soweit einig, dass die Besetzung Kuwaits durch den Irak und die Massenmorde des Hussein-Regimes an kurdischen und schiitischen Mitbürgern nicht länger hinnehmbar waren, und erlaubte einer Koalition unter Führung der USA die militärische Befreiung Kuwaits und die Verhängung von umfangreichen Sanktionen gegen den Irak. Beides war in Europa, vor allem in Deutschland, umstritten: Es gab die berühmten „Kein Blut für Öl“-Kampagnen, Verständnis für den Irak, intensive Aufklärung darüber, dass unsere Zahlen aus dem Arabischen stammen – alles sonderbare Reaktionen auf solche Tatsachen wie den Giftgas-Einsatz des Hussein-Regimes gegen die eigene, nur zum Teil aufmüpfige Bevölkerung. Als die verhängten wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak das Leben der Bevölkerung beeinträchtigten, kam auch dieses Instrument in Misskredit. Tatsächlich abgestellt haben die Attacken gegen die Schiiten und Kurden die Einrichtung von Flugverbotszonen, überwacht von überwiegend britischen und amerikanischen Streitkräften.

Das war die Zeit, als man begann, von der Soft Power Europas zu schwärmen: einer Mischung aus hartnäckiger Diplomatie und Nichtstun. Vor allem Deutschland mit seiner Schwarz-Gelben Regierung hatte mit Außenminister Genscher die glaubhafte Inkarnation des Good Guy – und tatsächlich muss auf der internationalen Bühne ja auch diese Rolle von irgendjemandem übernommen werden.

DER GESCHÄFTSMANN IM WEISSEN HAUS

Warum ist das alles für die heutige Situation bedeutsam? Weil es erklärt, warum die EU und vor allem Deutschland so konsterniert, so geschockt wirken angesichts des Beschlusses des US-Präsidenten, das Iran-Abkommen aufzukündigen, weil es in den Augen Trumps ein miserabler „Deal“ war. Donald Trump hat eigentlich nie Zweifel daran gelassen, dass er dieses Vorhaben in die Tat umsetzt. Es ist ein gefährliches Spiel. Aber Trump ist gewiss nicht irrational, wie es der langjährige Europapolitiker und ehemalige Kanzlerkandidat Martin Schulz unterstellte. Trump nutzt Sanktionen und Zölle als Instrument der Außen- und Wirtschaftspolitik wie kaum jemand zuvor. Damit ist er weit entfernt von der Utopie, die Woodrow Wilson in seinem 14-Punkte-Programm von 1918 formulierte: „Möglichste Beseitigung aller wirtschaftlichen Schranken und Herstellung einer Gleichheit der Handelsbedingungen für alle Nationen, die dem Frieden beitreten und sich zu seiner Aufrechterhaltung verbinden.“

Der Geschäftsmann im Weißen Haus sieht in der Wirtschaftsmacht der USA die Waffe seiner Wahl, und er ist es, der sie nicht nur in der Hand hält, sondern sie auch entsichert und scharf macht. Natürlich ist das ein gefährliches Spiel, weil man nie weiß, wie der Gegner, der sich so unter Druck gesetzt sieht, reagieren wird. Doch das ist bei der Drohung mit militärischer Gewalt kaum anders. Aber weil die USA auch eine starke Militärmacht sind, kann Trump so rücksichtslos agieren, denn er hat so noch ein Blatt in Hinterhand.

Strafzölle gegen China und Europa, Sanktionen gegen Nordkorea, Iran, Russland – Wirtschaft, Handel und Dollar sind Trumps erste Wahl, um seine Vorstellung von „America first“ durchzusetzen. Dabei kennt er weder Freund noch Feind. Der US-Botschafter in Deutschland muss den Unternehmen gar nicht erklären, was das alles bedeutet – sie wissen das. Selbst amerikanische Unternehmen sind bei Trumps Mission nicht immer Gewinner und müssen im Handel immer öfter zurückstecken und Sanktionen folgen.

Man muss das alles nicht mögen – aber es ist die Realität: China führt seine expansive Politik durch weltweite strategische Investitionen und zielgenaue militärische Mikrookkupationen in Asien fort; Russland pflegt seine Desinformationskriege und imperialistischen Langzeitprojekte weiter; und die USA unter Trump gieren nach einer Suprematie, die sie eigentlich nie verloren haben, aber die tatsächlich im Begriff war, sich aufzulösen. Trump macht seine Egozentrik zu der seines Landes. Das ist mehr, als ein Autokrat in einem autoritären Staat erreichen kann. Und ein Erfolg ist nicht auszuschließen. Wer jetzt noch Trump unterschätzt oder ihn für irrational hält, dem ist nicht zu helfen.

ACH, EUROPA

Womit wir wieder bei Europa wären. Schauen wir mal auf die Potenzen: Die EU erwirtschaftet jährlich das weltweit zweithöchste Bruttoinlandsprodukt nach den USA und noch deutlich vor China (über Russland müssen wir in diesem Zusammenhang gar nicht reden). Im Welthandel ist Europa sogar der Gigant, nicht zuletzt wegen Deutschland. Trump weiß das und handelt in seiner rücksichtslosen Art entsprechend. Aber machen wir uns nichts vor: Auch die EU schützt ihre Märkte durch Zölle; gegen Afrika waren wir nie zimperlich. Wirtschaft und Politik kennen dann auf einmal auch ihre Interessen. Aber wie heißen unsere Interessen gegenüber China, Russland und den USA? Wer formuliert eine Strategie, damit Europa politisch und wirtschaftlich nicht ins Hintertreffen gerät? Diese Fragen zu beantworten – dafür braucht es nicht erst eine Vertiefung der EU, die eh vorerst nicht kommen wird. Es ist unsinnig über die Form zu reden, wenn man sich kein Bild vom Inhalt machen kann. Nur soviel: Es kann sich doch nur um Wohlstand, Souveränität, Frieden, Freiheit, Gestaltungskraft und auch Stärke drehen.

So bleibt uns vorerst nichts übrig, als das Vorgehen Trumps als einen möglichen Weckruf für die EU zu erhoffen. Wenn dies denn so wäre, dann wäre Trump tatsächlich ein Erzieher, der durch seine Egozentrik und seinen Narzissmus seine Schutzbefohlenen zur Selbstständigkeit zwingt (egal, wer nach ihm irgendwann kommt). Sie müssen sie nur wählen, auch wenn der Weg der Emanzipation lang ist, mühsam und teuer. Aber alles andere ist selbst gewählte Unmündigkeit.

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Von wegen: Hannes Stein kommt auf sieben Konstanten bei Donald Trump, von denen keine irgendwas mit Rationalität zu tun hat. Hier seine Replik