Ausstieg aus der modernen Pflanzenzucht
Der Europäische Gerichtshof hat eine Entscheidung mit gravierenden Folgen für die Pflanzenforschung getroffen. Der Exodus von Wissenschaftlern beginnt, kleine und mittelständische Saatgutfirmen werden ihre Auslandsmärkte verlieren. Richterschelte ist aber nicht angebracht. Das Problem ist die Politik.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jüngst ein Urteil darüber gesprochen, welche Pflanzen in Europa als genetisch veränderte Organismen (GVO) gelten. Vordergründig ging es um Pflanzen, die mit neuen, präzisen Methoden der Mutationsauslösung (Mutagenese), dem so genannten Genome Editing produziert werden. Pflanzenforscher, die Saatgutindustrie, viele Bauern und nicht wenige Verbraucher hatten gehofft, dass diese Pflanzen so behandelt werden könnten wie die, die in den vergangenen sechs, sieben Jahrzehnten mit alten, weniger präzisen Verfahren der Mutagenese produziert wurden und mittlerweile fast alle Gemüse- und Getreidesorten ebenso wie viele Obstsorten umfassen.* Das hätte bedeutet, dass die neuen Pflanzen nicht den strengen, millionenteuren und jahrzehntelangen Zulassungsverfahren unterliegen wie Sorten, denen mit Hilfe von Gentechnik neue Eigenschaften zugefügt wurden.
Der EuGH sieht das anders und hat geurteilt, dass die neuen Pflanzen so zu behandeln sind wie solche, die mit klassischer Gentechnik erzeugt wurden. Das bedeutet für die Technologie, die in den USA, Kanada und vielen anderen Ländern schon ohne entsprechende Auflagen angewandt wird, in Europa das faktische Aus. In vielen europäischen Ländern sind Erprobung und Anbau von GVO schon jetzt verboten. Ausnahmebestimmungen würden so genannte „Feldbefreier“ auf den Plan rufen, die schon in der Vergangenheit praktisch jedes Versuchsfeld, jedes Gewächshaus und jeden Acker mit „Gen-Pflanzen“ verwüsteten. Da zudem Biobauern wegen möglicher „Gen-Kontamination“ ein Recht auf Klage und Entschädigung haben, besteht die Möglichkeit, solche Pflanzen in Europa anzubauen, nur auf dem Papier – selbst wenn es selbstverständlich möglich wäre, eine Zulassung zu erreichen. Dieses Risiko wird kein Wirtschaftsunternehmen eingehen.
It’s the Directive, stupid!
Versierte Juristen hatten die Hoffnungen auf ein Genome-Editing-freundliches Urteil trotz eines anderslautenden, positiven Vorentscheidungsersuchens des EuGH-Generalanwalts Michal Bobek nicht geteilt.
Zum einen sind die Richter des Europäischen Gerichtshofs als besonders verbraucherfreundlich und als ignorant gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen bekannt. Vergangenes Jahr verurteilten sie den Impfstoffhersteller Sanofi-Pasteur zu Schadenersatz, weil ein Mann, der sich gegen Hepatitis B impfen ließ, Monate später an Multipler Sklerose (MS) erkrankte. Dieser Erkrankung geht bekanntlich ein jahre- bis jahrzehntelanges Krankheitsgeschehen voraus, bevor sie erstmals diagnostiziert werden kann. Auch gibt es keinen plausiblen Mechanismus, wie eine solche Impfung binnen weniger Monate zu MS führen sollte. Dies war dem Gericht bekannt, es urteilte aber dennoch zugunsten des Angeklagten und begründete dies u.a. mit dem Fehlen „unwiderlegbarer Beweise“ für einen Nichtzusammenhang – ein wissenschaftlich unmögliches Unterfangen.
Zum anderen hatte das Gericht angesichts des Wortlauts der 2001 von EU-Parlament und Rat verabschiedeten Richtlinie 2001/18/EG nur wenig juristischen Spielraum, denn die Direktive bestimmt, dass praktisch jede denkbare Innovation in der Pflanzenforschung, die im Labor stattfindet, als Eingriff zu gelten hat, der maximale Vorsicht gebietet und daher in aufwändigen Verfahren auf Risiken für Gesundheit und Umwelt geprüft und zugelassen werden muss. Die Richtlinie stellt ausschließlich Gefahren und Risiken in den Vordergrund, keine Chancen, und geht davon aus, dass alle Neuerungen grundsätzlich erst einmal unbekannte Gefahren in sich bergen.
Damit hat das Gericht den schwarzen Peter zurück an die EU-Kommission und das Parlament geschoben. Die müssen nun entscheiden, ob sie den angerichteten Flurschaden begrenzen oder ihn durch Nichtstun vergrößern wollen.
Denn so, wie im Biolandbau alle landwirtschaftlichen Innovationen des 20. Jahrhunderts abgelehnt werden, verhindert die Direktive jede Pflanzenzucht-Innovation, die seit 2001 stattgefunden hat und in Zukunft stattfinden wird. Jedes Verfahren, an dem Labore und Menschen in weißen Kitteln beteiligt sind, wird in Zukunft unter die Bestimmungen der Richtlinie fallen; Ausnahmen sind ausgeschlossen. Das ist aber noch nicht alles.
Panik bei Pflanzenzüchtern
Alarmierend an diesem Urteil ist folgendes: Die Richter rücken die in der Richtlinie stehende Definition von GVO wieder ins Blickfeld. GVO im Sinne der Direktive heißt nämlich nicht, wie es in den Medien zumeist zu lesen ist, „gentechnisch veränderter Organismus“, sondern „genetisch veränderter Organismus“.
Folgerichtig stellen die Richter unmissverständlich fest, dass auch Verfahren, die seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Pflanzenzucht angewandt werden, zu genetisch veränderten Organismen im Sinne der Richtlinie führen.
„Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass die mit Verfahren/Methoden der Mutagenese gewonnenen Organismen genetisch veränderte Organismen im Sinne dieser Bestimmung darstellen.“
Damit steht fest, dass die Richtlinie die gesamte Pflanzenzuchtpraxis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Generalverdacht stellt – nämlich zu Pflanzen zu führen, die aufgrund der Eingriffe in ihr Erbgut eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt darstellen, und zwar unabhängig davon, ob dieser Eingriff gezielt oder ungezielt stattgefunden hat.
Seit mindestens den 1950er Jahren praktizieren Pflanzenzüchter Mutagenese. Dabei erhöhen sie die natürliche Mutationsrate durch den Einsatz von mutagenen Chemikalien und radioaktiver Strahlung, so dass ihnen schneller mehr genetische Varianten für die Selektion zur Verfügung stehen (seit Neuestem wird auch Space-Breeding betrieben, bei dem Saatgut in eine Erdumlaufbahn geschossen und kosmischer Strahlung ausgesetzt wird). Auch diese Techniken, so der EuGH, erzeugen GVOs im Sinne der Richtlinie. Es ist wohl davon auszugehen, dass auch Hybridpflanzen als GVO gelten müssen.
Bislang verfolgten Europas Pflanzenzüchter die Strategie, Pflanzen, die andere mit Gentechnik herstellten, durch intensive Mutationszucht auf die in der EU bislang tolerierte Art herzustellen, um die aufwändigen Zulassungen zu vermeiden. Das gelang z. B. mit einer Industriekartoffel mit veränderter Stärkezusammensetzung. Forscher haben inzwischen gezeigt, dass sich mit Mutationszucht sogar Herbizid-resistente Pflanzen herstellen lassen. Damit dürfte es nach dem Urteil jedoch vorbei sein.
Zwar seien bei der Mutationszüchtung Ausnahmen erlaubt, weil die Technologie seit Jahrzehnten in Gebrauch sei und als einigermaßen sicher anzusehen sei. Allerdings betont das Gericht, das heiße nicht,
„dass interessierte Personen solche Organismen nach Belieben absichtlich in die Umwelt freisetzen oder in der Union als Produkte oder in Produkten in den Verkehr bringen dürfen.“
Das bietet Spielraum für neue Kampagnen und politische Gängelungen. Bei Pflanzenzüchtern ist die Enttäuschung daher inzwischen Panik gewichen.
Anlass, auch solche Sorten streng auf gesundheitliche Folgen und Konsequenzen für die Umwelt, auf mögliche Auskreuzungen und Effekte auf Insekten und Bodenbakterien zu prüfen, werden „zivilgesellschaftliche Organisation“ schnell finden. Mehrfach mussten in der Vergangenheit Sorten, die mithilfe von atomaren Gärten oder krebsauslösenden Chemikalien gezüchtet wurden, vom Markt genommen werden. Sie produzierten Giftstoffe, die Verbraucher krank machten (z. B. Lenape-Kartoffel oder Zucchini) oder verursachten bei Erntearbeitern und Verkaufspersonal allergische Ausschläge (Sellerie). Es ist daher nur folgerichtig, dass der grüne Gentechnikexperte und Bundestagsabgeordnete Harald Ebner die Erlaubnis, mutationsgezüchtete Sorten ohne Zulassung und Kennzeichnung auf den Markt zu bringen, inzwischen als „Fehler“ bezeichnet.
Atom-Obst, nein danke?
Einige Biolandbau-Verbände, allen voran die anthroposophisch orientierten, fordern schon lange das Verbot von jedem Saatgut, bei dessen Erzeugung technische Verfahren im Spiel waren. Dazu gehören alle mutationsgezüchteten Sorten ebenso wie seit fast hundert Jahren üblichen Hybridpflanzen, die sie auch deswegen ablehnen, weil sie zwar ertragreich sind, aber immer wieder neu gekauft werden müssen. Folgerichtig entfernten viele Bioläden vor ein paar Jahren CMS-Hybride wie Chicorée aus den Regalen. Streng genommen gehören dazu auch sehr viele Kohl-Sorten. Die CMS-Sorten dieser beiden Pflanzen enthalten jeweils ca. 50 Gene von der Sonnenblume bzw. vom Rettich. Manche Bio-Verbände lehnen sogar die markergestützte Selektion ab, denn in ihrer Vorstellung ist ein Bauernhof als „Betriebsorganismus“ anzusehen und nur, was dieser Organismus auf natürliche Weise hervorbringt, ist akzeptabel. Damit fallen alle Verfahren flach, bei denen ein Labor im Spiel war. Analog zu den Pflanzenschutzmitteln des Biolandbaus soll nur zulässig sein, was in der Natur vorgefunden wird.
Die Gerichtsentscheidung gibt diesen Verbänden Recht. Sie führt aber auch dazu, dass die Obst-, Gemüse-, Getreideprodukte-, Marmeladen- und Müsli-Regale der Bioläden nun voller GVOs stehen, die nach dem Selbstverständnis der Bio-Verbände in der Biokost nichts zu suchen haben. Vom Markt genommen werden müssten auch fast alle Biersorten, denn nach dem deutschen Reinheitsgebot darf Bier keine GVOs enthalten. Die in Deutschland angebaute Braugerste ist aber, ob Bio oder nicht, mutationsgezüchtet und damit ein GVO im Sinn der Richtlinie.
Dennoch ist kaum damit zu rechnen, dass sogenannte „zivilgesellschaftliche Organisationen“ wie der BUND, Greenpeace, Campact und ähnlich jetzt „Atomobst, nein danke!“ rufen oder fordern, dem Biolandbau oder Deutschlands Brauereien mutationsgezüchtete Sorten als „genetisch manipuliert“ zu verbieten. Die Bioläden wären leer und Gastwirte, Kioskbesitzer und Biertrinker würden wahrscheinlich Unruhen vom Zaun brechen. Die Organisationen haben aus ihren Kampagnen gegen die rote Gentechnik gelernt. Leere Regale wären ebenso wenig vermittelbar wie Apotheken ohne lebensrettendes Insulin, Medikamente zur Behandlung von Krebs, Herzinfarkten und Schlaganfällen oder Medizin gegen Rheuma, Fruchtbarkeit- und Wachstumsstörungen.
Ohnehin geht es ihnen weder um die Gesundheit von Verbrauchern noch um die Umwelt. Sonst kämen fragwürdige Methoden des Biolandbaus auf den Prüfstand. Längst ist bekannt, dass die im Biolandbau so beliebten Kupfersalze Bodenlebewesen schaden, Gewässer vergiften und im Boden antibiotikaresistente Bakterien selektieren. Andere Pestizide, die der Biolandbau einsetzt, sind krebserregend oder verursachen Parkinson. Thematisiert würde auch die fragwürdige Praxis, Ernteausfälle zu tolerieren statt Schädlinge zu bekämpfen und so Lebensmittelverschwendung zu betreiben. Auch würden die NGOs nicht den Goldenen Reis blockieren, der jährlich hunderttausende Kinder vor dem Erblinden und zehntausende vor dem Tod durch Vitamin A-Mangel bewahren könnte. Sie würden auch nicht gegen insektenresistente Pflanzen opponieren, die den Einsatz von Insektiziden drastisch reduziert, wovon Nützlinge ebenso profitieren wie benachbarte Bio Bauern – ganz zu schweigen von Kindern in Asien, die, wie das Beispiel Bangladesh zeigt, dank insektenresistenter Auberginen jetzt in die Schule gehen können statt täglich auf den Feldern mit den bloßen Händen Insektizide auszubringen.
Den Organisationen geht es um Spenden. Greenpeace gibt offen zu, eine politische Organisation zu sein, die sich vor allem deswegen an öffentlich diskutierte Themen hängt, weil damit Einnahmen zu erzielen sind. Dazu dient den NGOs die in allen Wohlstandsgesellschaften verbreitete Skepsis gegenüber der Moderne, die sie nach Kräften schüren. Sie predigen wider besseres Wissen, dass nur eine Landwirtschaft, die zu 100 Prozent den esoterischen Vorstellungen des Biolandbau entspricht, gesunde und umweltverträgliche Produkte erzeugen kann: Verzicht auf Mineraldünger, Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide und Verzicht auf moderne Hochleistungssorten. Landwirtschaft, so predigen sie, müsse unproduktiv sein, weil sie angeblich nur so „im Einklang mit der Natur“ wirtschaften könne. Den gleichen Unsinn haben sie mit der Gentechnik in der Medizin versucht, scheiterten jedoch, weil Patienten das verteufelte „Gen-Insulin“ als Segen betrachteten. Greenpeace ließ das Thema daraufhin fallen wie eine heiße Kartoffel.
Zur Erinnerung: Noch in den 1990er Jahren wollten Greenpeace, Grüne und zahlreiche andere Organisationen auch keine Gentechnik in der Medizin. Die Produktion von Medikamenten mithilfe von genmanipulierten Bakterien sei inhärent unsicher, es lasse sich grundsätzlich nicht ausschließen, dass diese Bakterien aus den Anlagen freigesetzt würden. Einmal in die Umwelt entlassen, könnten die Fremdgene auf Bakterien im Boden oder in Oberflächengewässer übertragen werden und ihren Weg in die Nahrungskette finden, sodass sie auch auf Darmbakterien übertragen werden könnten. Die könnten dann beispielsweise unkontrolliert mit der Produktion von Insulin beginnen und die Betroffenen ins Koma schicken würden. Wem dieses Szenario heute lächerlich vorkommt, dem sei das Zeichentrickfilmchen empfohlen, mit dem die ominöse Organisation TestBiotech heute gegen Genome Editing zu Felde zieht.
Ausweg nicht in Sicht
Gibt es einen Ausweg? Vorläufig nicht. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich politische Mehrheiten finden, um die Direktive von 2001 zu ändern. Außer liberalen Parteien wie der FPD hat sich das gesamte Spektrum von ganz links bis ganz rechts darauf verständigt, alle auf moderner Genetik basierende Innovationen in der Pflanzenforschung rundheraus als gefährlich zu betrachten.
Von der Forschung ist ebensowenig zu erwarten wie von der Politik. In den Biologenverbänden sind die Spannungen zwischen den mehrheitlich grün orientierten Ökologen und den Genforschern schon jetzt mit den Händen zu greifen. Forschungsorganisationen, Instituts- und Universitätsleitungen drucken sich weg, weil schlichtweg die Angst umgeht. Schließlich arbeiten ihre Forscher mit Genen, verwenden Chemie und Versuchstiere, und sie wissen, dass diejenigen, die Versuchsfelder und Gewächshäuser zerstören und Labore verwüsten, in praktisch allen Fällen milde Richter finden. Zudem: Wer je auch nur eine Reisekostenbeihilfe der Industrie erhielt, gilt für den Rest seiner Karriere als gekaufter Lügner, auf dessen Argumente man nicht hören sollte.
Landwirte stehen auf verlorenem Posten, weil ihre Abnehmer, die großen Handelsketten, längst zum verlängerten Arm der NGOs verkommen sind. Sie haben sich die Ruhe vor „zivilgesellschaftlicher Organisationen“ wie dem WWF, Friends of the Earth oder anderen erkauft, indem sie Jahr für Jahr Millionenbeträge an die NGOs überweisen.
Auch die Medien haben an dem Thema nur Interesse, solange es sich skandalisieren lässt. Nachdem jahrelang Artikel über die Gefahren des Genome Editings für die Pflanzenzucht erschienen waren, werden jetzt, wo es zu spät ist, Artikel gedruckt, die die Gerichtsentscheidung kritisieren und mehr Mut für Innovationen einfordern. Spätestens bei der nächste Kampagne gegen den Import eines Lebens- oder Futtermittels, das mittels Genome Editing gezüchtet wurde, wird sich das Blatt wieder wenden und Greenpeace und Co. werden Schlagzeilen und Tenor der Berichte bestimmen.
Die einzige Möglichkeit wären Sorten mit echten Verbrauchervorteilen, die so beliebt wären, dass die Opposition wie bei der roten Gentechnik in sich zusammenfallen würde. Vorläufig sind sie nicht in Sicht und selbst wenn es sie einmal geben wird, dann werden sie woanders entwickelt worden sein, beispielsweise in den USA, in Kanada, in China und möglicherweise in Großbritannien, wenn es beim Brexit bleibt. Denkbar wäre ein Stimmungswechsel auch, wenn es in Europa zu katastrophalen Missernten durch Schädlinge kommt. Das könnte z. B. der Fall sein, wenn der Heerwurm in einigen Jahren Europa erreichten sollte.
Aktivisten bieten Urteil und Richtlinie daher auf längere Sicht viel Spielraum für Kampagnen, und zwar:
- gegen Importzulassung von Pflanzen aus verdächtigen Ländern (Pflanzen, die mit Genome Editing gezüchtet wurden, lassen sich nicht von Pflanzen unterscheiden, die mit Mutationszüchtungsverfahren erzeugt wurden),
- gegen Saatgutbetriebe, die konventionelle Mutationszüchtung einsetzen und damit Pflanzen erzeugen, die Aktivisten ablehnen (z. B. CMS-Hybride, Pflanzen mit veränderter Stärkezusammensetzung und andere „Industriepflanzen“ oder mit Resistenzen gegen Herbizide) – hier lassen sich wegen „besonderer Umweltaspekte“ gesonderte Zulassungsverfahren fordern, die das Gericht in seiner Entscheidung durchaus erlaubt hat,
- kolonialistische Interventionen, d.h. Bestrafung von Ländern, die Verfahren des Genome Editings anwenden und solche Pflanzen anbauen, durch Entzug von Entwicklungshilfe usw.
Konsequenzen
In Europa wird sich nach dieser Entscheidung vieles ändern. Konzerne wie Bayer und BASF haben bereits die Verlagerung ihrer Forschung angekündigt und investieren außerhalb Europas. Viele kleine und mittelständische Saatgutbetriebe werden in den kommenden Jahren ihre Auslandsmärkte verlieren, weil absehbar ist, dass nicht nur die USA und China, sondern auch mehr und mehr afrikanische und asiatische Länder dem europäischen Beispiel nicht folgen werden. Zu verlockend ist die Aussicht, im eigenen Land an Universitäten und Forschungseinrichtungen mit Genome Editing lokale Sorten an Schädlinge, Klimaveränderungen usw. anzupassen, Erträge zu steigern und die heimische Landwirtschaft von teuren Chemie-Importen unabhängig zu machen. Das Beispiel Bangladesch zeigt: Allein der Anbau der insektenresistenten Auberginen (Bt-Brinjal) spart Tausende Tonnen Insektizide ein, führt zu besseren Ernten, bringt Verbrauchern Auberginen ohne Schädlinge und ohne Pflanzenschutzmittelrückstände und ermöglicht es tausenden bäuerlichen Familien, ihre Kinder endlich in die Schule statt auf die Felder zu schicken. Diese Länder werden auf die neuen Pflanzen setzen und Saatgut aus Europa wird dann nicht mehr gefragt sein. Und natürlich werden nicht nur Firmen, sondern auch Forscher entweder das Forschungsfeld oder Europa verlassen und in die USA und zunehmend nach Asien auswandern. Das alles ist politisch so gewollt, und zwar nicht nur von Grünen und Linken. Inzwischen wollen auch SPD und CDU lieber Forscher und ganze Industriezweige verlieren, als eine Auseinandersetzung mit der Empörungsindustrie zu wagen.
Das Geschäft mit der Angst bleibt lukrativ und die Politik gestaltet nicht mehr.
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*In einer gemeinsamen Datenbank der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und der Welternährungsorganisation FAO sind bislang über 3.000 GVO-Sorten verzeichnet, die mit künstlicher Mutagenese erzeugt wurden. Die Datenbank beruht auf freiwilligen Meldungen, so dass von mehr Sorten ausgegangen werden muss. Bestrahlt wurde das gesamte Spektrum unserer pflanzlichen Nahrungslieferanten: praktisch sämtliche Getreidearten, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Vermarktet werden unter anderem durch Bestrahlung mutierte Getreide wie (Brau)Gerste, Hafer, Hartweizen, Mais, Raps, Reis, Soja und Weizen. Hinzu kommen Äpfel, Aprikosen, Birnen, Grapefruits (auch die beliebte Pink Grapefruit), Melonen, Kirschen, Orangen, Papayas, Pfirsiche, Wein und Zitronen – ebenso wie Bohnen, Erdnüsse, Kartoffeln, Oliven, Pfefferminze, Tomaten und Zuckerrüben. Hinzu kommt, dass zahlreiche Getreide wie Roggen, Mais und Weizen ebenso wie Zuckerrüben und Raps, Obst und mehr als 90% aller Gemüsesorten – auch im Biolandbau – Hybride sind. Sie alle gelten nach der Klarstellung durch den EuGH als GVO im Sinne der EU-Richtlinie.