Es ist ein offenes Geheimnis: Alle Redaktionen haben Nachrufe für die Großen der Welt in der Schublade. Wir natürlich auch. Wir allerdings veröffentlichen unsere Abschiedsworte vorab, damit sich schon die Lebenden an unserem Lob erfreuen können. Denn für Nachrufe gilt: Über Tote redet man nicht schlecht. Folge 3: Vandana Shiva.

Vandana Shiva war mehr als nur die bekannteste Ökofeministin der Welt, sie war mehr als eine Ikone der Umweltschutzbewegung, sie war, wie es die „Deutsche Welle“ 2015 beschrieb, „eine philosophisch-spirituelle Instanz.“ Das Publikum brach bei ihrem Erscheinen regelmäßig in Tränen aus, denn niemand beschrieb das Elend der von der Moderne geknechteten indischen Kleinbauern und den „Schmerzensschrei der Erde“ so zornbebend und doch mit so sanften Worten wie sie. Sie konnte so wundervolle Sätze sagen wie: “Es gibt zwei Trends. Der eine: ein Trend zu Diversität, Demokratie, Freiheit, Freude, Kultur – Menschen, die ihr Leben zelebrieren“, um dann nach einer Besinnungspause fortzufahren: „Und der andere: Monokulturen, Leblosigkeit. Jeder ist deprimiert. Jeder nimmt Prozac. Mehr und mehr junge Menschen sind arbeitslos. Wir wollen keine Welt des Todes.“

Aber immer wusste sie Trost: „Wenn du mit der Erde arbeitest, Samen pflanzst, das gibt dir viel Hoffnung. Denn aus einem Samen werden Tausende. Und die Erde gibt uns so viel mehr, als wir ihr geben.“

Doch sie konnte auch Klartext sprechen. Dem britischen Autor Mark Lynas, der sich für Gentechnik in der Landwirtschaft einsetzte, entgegnete sie: „Wer sagt, dass Bauern die Freiheit haben sollten, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen, ist wie jemand, der sagt, Vergewaltiger sollten die Freiheit haben, zu vergewaltigen.“

Eine globale Globalisierungsgegnerin

Kein Wunder, dass kaum ein grüner Parteitag, kaum ein evangelischer Kirchentag und kaum ein UN-Gipfeltreffen zur Rettung des Planeten ohne sie auskam. So viele Konferenzen und Tribunale wollten die Stimme der Kleinbauern dieser Welt hören, so viele Städte, Gemeinden, Regierungen und internationale Komitees suchten ihren Rat, dass die „Ein-Frauen-Bewegung für Frieden, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit“ (Beloit-College) gezwungen war, mehr als die Hälfte ihres Lebens in den First-Class-Kabinen von Großflugzeugen und den Suiten von Luxushotels zu verbringen, um sich auf ihre kräftezehrenden Vorträge vorbereiten zu können. Schließlich verlangte sie 40.000 Dollar Honorar für ihre Auftritte – ein hilfloser Versuch, die Flut der Anfragen zu begrenzen und Zeit für ihr wichtigstes Anliegen zu haben.

Denn wenn sie nicht zwischen Melbourne, Sao Paulo, Tokio, Mailand, San Francisco und Berlin unterwegs war, um vor den Folgen der Globalisierung zu warnen, lehrte sie Frauen in indischen Elendsdörfern, wie man Pflanzen sät, Schädlinge auf natürliche Weise verjagt, Samen erntet und daraus wieder neue Pflanzen zieht – traditionelles Wissen, das wegen des schädlichen Einflusses von Monsanto in Indien fast gänzlich verloren gegangen war.

Märchenhaftes Leben, märchenhafte Fakten

So märchenhaft wie ihr Leben war auch ihre Biographie. Sie war eine der führenden Quantenphysikerinnen Indiens, obwohl sie nie als Physikerin gearbeitet hatte und ihre philosophische Arbeit über Quantenphysik in die Irre ging. Sie war Expertin für Landwirtschaft, Pflanzenzucht und Biodiversität, obwohl sie nie eine biowissenschaftliche oder landwirtschaftliche Fakultät besucht oder eine Farm geführt hatte.

Solche Widersprüche taten ihrer Anerkennung im Westen keinen Abbruch – im Gegenteil: Die Frau mit dem riesigen roten Bindi auf der Stirn, dort, wo das energetische dritte Auge, das sechste Chakra und das geheime Wissen seinen Sitz hat, erlangte eine Bekanntheit und Beliebtheit, die ihr in Indien immer versagt blieb. Shiva erkannte schnell, dass die Menschen im Westen den romantischen Blick auf die Landwirtschaft bevorzugten. So schmückte sie die Geschichte vom ehemals glücklichen Leben der indischen Kleinbauern immer weiter aus. In ihren Erzählungen hatte erst die Grüne Revolution den Hunger gebracht, Pestizide den Krebstod, Dünger den Untergang der Umwelt und Gentechnik das Schlimmste von allem: eine Selbstmordepidemie unter indischen Bauern, von denen sich Jahr für Jahr hunderttausende aus Verzweiflung über den Totalausfall des teuer eingekauften gentechnisch veränderten Saatguts umbrachten. Am Ende konnte sie sogar behaupten, in Indien hätte es vor der Grünen Revolution niemals eine Hungersnot gegeben und  Gentechnikpflanzen verursachten zweifelsfrei Autismus, so dass im Jahr 2050 die Hälfte aller Kinder in den USA autistisch sein werde.

Kleinbäuerliche Gr0ßfamilie statt Monsanto

Als ihren größten Gegner sah sie die Hersteller von Pestiziden und Saatgut wie Monsanto, für sie der Inbegriff der Moderne und des westlichen Imperialismus. „Diese Firmen haben nur eine Expertise: Wie man Menschen tötet. Das sind ihre Wurzeln“, sagte sie. Der zerstörerischen Moderne setzte sie das Bild der Natur als nährender Mutter entgegen, die von den Frauen dieser Welt von alters her gehegt und behütet werden muss. Sie beschrieb in mehreren Büchern, dass in allen heilen traditionellen Gesellschaften dieser Welt die Frauen für Reproduktion und Ernährung zuständig sind, eine Rolle, die in ihren Augen der wahren Bestimmung der Frau entsprach. Das brachte ihr den Beifall grüner und linker Feministinnen ein.

Shiva lehrte dementsprechend, dass nur die althergebrachte Wirtschaftsweise der traditionellen kleinbäuerlichen Großfamilien ohne Einsatz von modernen Methoden in der Lage sein würde, die Menschheit auf lange Sicht zu ernähren. Intensivlandwirtschaft, so betonte sie immer wieder, würde den Tod der Menschheit und den Untergang des Planeten nach sich ziehen, sie sei „die größte destruktive Kraft auf diesem Planeten“. Schädlinge würden keine Bedrohung mehr sein, der Klimawandel würde rückgängig gemacht und Hungersnöte werde es nicht mehr geben, sobald die Welt restlos auf Ökolandbau umgestellt sei. Dann würden auch Kriege und Konflikte zwischen Klassen, Rassen und den Geschlechtern aufhören.

Fakten und Menschen, die ihren Thesen und Geschichten widersprachen, konnte sie mit stoischer Geduld ebenso ausblenden wie kritische Fragen. Sie bezog einfach keine Stellung. Sie wusste, dass sie im Westen alles behaupten konnte, solange sie damit die Erwartungen ihrer Zuhörer traf. Und das konnte sie auf wunderbare Art und Weise.

Vielfach ausgezeichnet

So erhielt sie den alternativen Nobelpreis (Right Livelyhood Award), wurde von Time als „Heldin des Grünen Jahrhunderts“ ausgezeichnet, war u.a. Vorsitzende des International Forum on Globalization, Mitglied des Club of Rome, Mitglied der Internationalen Organisation für ein Partizipatorische Gesellschaft (IOPS), Mitglied des Exekutivkomitees des Weltzukunftsrats, Trägerin des Save the World Award, des Sydney-Friedenspreises, des Calgary Peace Prize, des Thomas Merton Award, des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“ sowie Citizen of the Next Century. Das Liberty Institut in Indien verlieh ihr den Bullshitpreis für die Erhaltung der Armut.

Auf einem ihrer letzten Vorträge sagte sie: “Wir hätten keinen Hunger in der Welt, wenn das Saatgut in den Händen von Farmern und Gärtnern und das Land in den Händen der Bauern wäre. Sie wollen das beenden.“

Weltweit wird jetzt befürchtet, dass SIE jetzt siegen werden.

 

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Damit sich schon die Lebenden an unserem Lob erfreuen können, veröffentlichen wir unsere Nachrufe ante mortem. Sämtliche Nachrufe können hier nachgelesen werden.