Der UN-Migrationspakt gilt als eine völkerrechtlich nicht bindende internationale Übereinkunft. Dem Populismus von links wie rechts wird das egal sein – er kann leider seinen miesen Gewinn daraus ziehen.

Eigentlich wird immer über das Falsche geredet: Da will ein Anwalt zurück in die Politik, aber vielen verdient er zu viel, zu falsch, zu schmutzig; da mag eine Kolumnistin ihr liebes Buch nicht in Anwesenheit einiger böser Bücher lesen, und schon fühlen die Debattenmacher wieder Frühling im Herbst. Und dann gibt es ja noch auf allen Kanälen diesen Diesel – der läuft und läuft und läuft.

Derweil teilen die medial ausgefuchste AfD und ihre völkischen Vorfeldorganisationen die Fake-News- und Ressentiment-Munition an ihre Bataillone aus und bringen ein nicht ganz unwichtiges Instrument globaler Governance, den UN-Migrationspakt (und demnächst wohl auch den UN-Flüchtlingspakt), vor den Volksgerichtshof der Sozialen Medien. Rund ein halbes Jahr wurde um den Text gerungen – jetzt, wenige Wochen vor der Verabschiedung, ist er durchlöchert von Unterstellungen, Befürchtungen und Vorwürfen.

Nun geht die Ablehnung viral, haben auch Israel und Polen mitgeteilt, dass sie den UN-Migrationspakt nicht unterzeichnen wollen. Und es werden wahrscheinlich nicht die letzten Staaten gewesen sein. Ob bei der Ablehnung wirklich nachvollziehbare, lautere Gründe das Motiv bilden, darf bezweifelt werden – man will wohl vor allem seinem nationalistischen Ruf gerecht werden und keine Schwäche zeigen. Denn eine internationale Übereinkunft – mag sie auch noch so unverbindlich sein – gilt unter den nationalstaatlichen Einzelgängern im Moment als schlechter Deal. Wo früher rational war, ist heute national.

Dabei ist der UN-Migrationspakt natürlich nicht fehlerlos, ist sein teilweise angestimmtes Hohelied der Migration fragwürdig, weil sie für die Betroffenen doch Verlust und meist Entbehrungen mit sich bringt und für Zielländer auch Probleme; aber er ist doch ein guter Kompromiss, weil er auch Staaten wie die vom Golf und Afrikas zum Beispiel in die Verantwortung nimmt. Der Pakt ist im Großen und Ganzen einfach eine Anerkennung von Realitäten und der Versuch, eine Verbesserung der Situation von Individuen und Staaten hinzubekommen. Es wäre ein erster guter Schritt, wenn, ja, wenn da eben nicht die Semantik wäre…

FRAMING STATT FAKTEN

Hier scheint es mal wieder so, als hätten die Bundesregierung und auch die Koalition nichts gelernt in den vergangenen drei Jahren. Es gäbe den Pakt nicht, wenn nicht die Notwendigkeit für solch ein Werk der unverbindlichen Selbstverpflichtung vorläge. Jedem in Europa dürfte klar sein, dass die Migration vor allem aus Afrika auch in den kommenden Jahren ein großes Thema sein wird. Und wenn die Zahl der Neuankömmlinge an Europas Küsten einmal abnimmt, dann ist immer noch die AfD da, die das Thema warm hält. Wobei das Schweigen der Bundesregierung zum Pakt und das lange Desinteresse der Medien der AfD et al. natürlich wunderbar in den weltverschwörerischen Plan passt. Bei jeder kleinen sozialen Erleichterung mobilisieren die Ministerien Werbemittel, um die neuen Errungenschaften für die eigene Klientel auf die Plakatwände zu bringen. Aber für eine rechtzeitige Aufklärung in Sachen Migrationspakt war anscheinend – trotz der Kalamitäten vom Herbst 2015 – keine Kostenstelle, über die man falschen Eindrücken früh hätte entgegentreten können, weit und breit zu finden. Allein, wahrscheinlich hätte es auch nicht viel genutzt. Denn da ist ja die Sache mit der Semantik.

Auf dem Feld heiß umstrittener politischer Themen geht es ja schon länger nur noch um die Zeichen, die man setzt, um das richtige „Framing“, nicht die Fakten und Argumente. Da werden von links alle Migranten, Asylsuchenden und Flüchtlinge einfach einheitlich zu „Flüchtenden“ umdefiniert und die Aufnahme aller, ja, einfach aller als von den Menschenrechten diktiert; und von rechts hat man den Herbst 2015 immer als „Grenzöffnung“ und „Rechtsbruch“ deklariert, wider besseres Wissen. Der populistische Zweck heiligt auf allen Seiten die semantischen Mittel. Und so wird es bei diesem UN-Migrationspakt, nachdem die Regierung die Aufklärung mittels politischer Bildung verschlafen und sich der Bundestag mangels völkerrechtlicher Verbindlichkeit des Pakts als nicht zuständig verstanden hat, wie in den vergangenen Jahren zu einem intensiven populistischen Rosinenpicken kommen – und es wird gleich nach dem 11. Dezember beginnen. Kampagnenorganisationen wie Pro Asyl werden aus dem Pakt jede Menge Druckmittel konstruieren, um das Ziel von offenen Grenzen und Niederlassung für alle und jeden als eine Verpflichtung, die die Bundesrepublik jetzt eingegangen ist, darzustellen. Die Rechtspopulisten wiederum werden jeden Fortschritt mit einem Einwanderungsgesetz als aus dem Pakt abgeleitet erklären und diesen selbst als ein schmähliches Diktat von Marrakesch. Es wird eine gehörige Portion Autorität brauchen, um diese doppelte Propaganda zum Wohl des Landes in die Schranken zu weisen. Die jetzige Regierung hat sie nicht mehr.