Ob bürokratisch, umgangssprachlich oder einfach falsch – es gibt Wörter und Redewendungen, die es nicht geben darf. Im Lexikon der schlimmen Sprache werden sie gesammelt. Und danach hoffentlich für immer vergessen. Diesmal: Räumlichkeit.

DAS LEXIKON DER SCHLIMMEN SPRACHE

In diesem Land ist viel Aufregung. Meist lohnt sie nicht. Besser, sich über etwas zu echauffieren, das die Mühe wert und doch harmlos ist: verbrecherischen Sprachgebrauch. Inklusive Urteilsbegründung und Strafmaß.

FOLGE 4

Räumlichkeit, Räumlichkeiten

BEGRÜNDUNG

Mit dem Suffix „keit“ werden im Deutschen Eigenschaftswörter substantiviert. Wie bei Heimlichkeit oder Wichtigkeit. Heimlich und wichtig sind Adjektive. Wenn man daraus ein Nomen machen will, dann nutzt man das Suffix und kann fragen: Was soll die Heimlichkeit? Diese Übung ist aber nicht dazu da, ein Substantiv ein zweites Mal zu substantivieren. So wie es viel zu oft dem schönen, einfachen und vielfältig nutzbaren Wort Raum angetan wird.

Ein Raum kann klein sein oder riesig, man kann ihn kaufen, mieten, nutzen, füllen und deklinieren. Es gibt keinen Grund, aus einem Raum eine Räumlichkeit und aus Räumen Räumlichkeiten zu machen. Der Raum wird dadurch in keiner Weise verändert – nur das Wort wird aufgebläht wie ein toter Körper im Wasser. Genauso ästhetisch ist die Räumlichkeit denn auch: Wie eine Wasserleiche, wie die stinkenden, gedunsenen Überreste eines armen Wichts, den vermutlich Soziologen oder andere geisteswissenschaftlich durchdrungene Sprachmörder in den Fluss gestoßen haben. Und weil sie damit durchgekommen sind, findet diese Tat überall Nachahmer. Jede Hinterhofkneipe bietet inzwischen „Räumlichkeiten“ zum Vermieten an in dem Glauben, dadurch würde aus der Kneipe ein Schloss. 

Dass selbst Goethe schon von Räumlichkeiten geschrieben hat und selbst Nachschlagewerke die Räumlichkeiten ganz selbstverständlich als Plural von Raum verzeichnen, ist schlimm. Was es besonders schlimm macht: „Räumlichkeit“ in dem Sinne, wie es fast immer verwendet wird, ist nicht nur hässlich, sondern mindestens missverständlich, um nicht zu sagen falsch. Nach der grammatikalischen Logik wäre das Wort, das durch das Suffix substantiviert wird, ein Adjektiv. Es kann als gar nicht „Raum“ heißen, sondern, genau, „räumlich“. So wie beim räumlichen Sehen oder dem räumlichen Eindruck von Musik. Exakt in diesen Zusammenhang gehört die Räumlichkeit. Sie ist ein kunstwissenschaftlicher Begriff und beschreibt die Dreidimensionalität einer Zeichnung oder auch eine Komponente des akustischen Raumeindrucks. Mit dem Raum, den wir für unsere Party gemietet haben, hat die Räumlichkeit also dann etwas zu tun, wenn wir uns professionell über die Verteilung des Klangs in eben diesem Raum unterhalten.  

Weil das nur sehr wenige Menschen tun, können alle anderen ganz friedlich in eine wunderbare neue Dimension der sprachlichen Korrektheit vorstoßen. Die Deutschen, ein Volk ohne Räumlichkeit. Der Weltfrieden ist nah!  

HERKUNFT

Räumlichkeit hat im Deutschen mehrere Bedeutungen. Die geduldete Bedeutung als Aufblähung von Raum oder Räumen sollte dringend verboten werden.

STRAFE*

Nach der Revolution: 20 Peitschenhiebe. Bis dahin, als Abschreckung: In den See, mit einem Gewicht an den Füßen.

* Dr. Deutsch schlägt für das Verwenden schlimmer Wörter jeweils eine Körperstrafe vor. Sie ist an „Asterix bei den Schweizern“ angelehnt dreistufig: Fünf Stockhiebe, zwanzig Peitschenhiebe oder „In den See, mit einem Gewicht an den Füßen“. Dieser Vorschlag ist ein Scherz. Niemand muss sich darüber aufregen.

IM NAMEN DES VOLKES

Welches Wort hassen Sie? Welche Floskel macht Sie krank? Vorschläge werden jederzeit gern entgegengenommen.

ALLE WEITEREN FOLGEN DES LEXIKONS

Reden, wir müssen

Sohnemann

Gehangen statt gehängt

Abholen, die Menschen

Ablachen, abfeiern, abtanzen

Gegenüber

Das pädagogische Wir

Vater Staat und Mutter Natur

US-Administration